First Solar entlässt 1.200 Arbeiter: Paintball in der Solarhalle

Das US-Unternehmen First Solar entlässt 1.200 Arbeiter. Für die Region um Frankfurt/Oder eine Katastrophe – wenn auch nicht die erste. Eine Reportage aus den Werkshallen.

Demnächst nur noch im Museum zu bestaunen: Solarmodulfertigung in Frankfurt/Oder. Bild: dapd

FRANKFURT/ODER taz | Was tun, wenn diese wunderbaren Hallen leer stehen? Werk 1, keine fünf Jahre alt, und Werk 2, vor einem halben Jahr eröffnet? Betriebsrat Sven Hennig und ein paar Auszubildende bei First Solar in Frankfurt (Oder) stehen ratlos vor den Toren ihres Arbeitgebers. Am Dienstag teilte er ihnen mit, dass der Standort mit seinen 1.200 Beschäftigten dichtmacht. Rot-orange-gelbe Streifen zieren die Fassade des Werkes, als gehe hier für immer die Sonne auf. „Paintball wäre nicht schlecht. Man könnte Paintball in der Halle spielen“, sagt Hennig. „Oder eine richtig große Gokart-Bahn eröffnen“, wirft Azubi Neels Wied in die Debatte ein.

Es ist wahrhaft bittere Ironie. First Solar ist eines der weltgrößten Solarunternehmen. Als sie hier 2007 Werk 1 eröffneten, war es der große Heilsbringer in einer gebeutelten Region. 45 Millionen Euro an Zuschüssen gab es von der EU und dem Land Brandenburg für die Ansiedlung mit der Verpflichtung, mindestens fünf Jahre für sichere Arbeitsplätze zu sorgen.

Am 31. Oktober 2012 macht Werk 1 dicht. Es sind ziemlich exakt fünf Jahre. Die 24 Millionen Förderung für Werk 2 muss First Solar ohnehin komplett zurückzahlen. Hier wird nicht mehr gearbeitet. „Wir halten uns an unsere Verpflichtungen“, sagt Werksleiter Burghard von Westerholt am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

Es gibt zwei Versionen, wie es so weit kommen konnte. Die eine stammt von First Solar: Sie handelt von „nachhaltigen Märkten“ wie dem Nahen Osten, Indien und Nordafrika, in denen Solarenergie in zwei Jahren ohne die unberechenbaren Launen staatlicher Förderung von Solarstrom konkurrenzfähig ist. „Der europäische Markt ist für First Solar innerhalb kürzester Zeit zusammengebrochen“, sagt Westerholt. Weil die EU-Staaten die Förderung für Solarstrom zusammengestrichen haben. Das Werk in Frankfurt ist nun mal für diesen Markt konzipiert gewesen, und wenn es nicht mehr ausgelastete ist, wird es dichtgemacht, so muss man das verstehen. Auch wenn die Maschinen in Werk 2 gerade mal seit einem halben Jahr laufen.

Geballte Wut

Der parteilose Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), Martin Wilke, spricht fatalistisch von „globalen Mechanismen“, denen die Region zum Opfer fällt. „Man kann nicht sagen, die Schließung liege nur an der staatlichen Förderpolitik. Damit macht man es sich zu einfach“, so Wilke gegenüber der taz. Auf Bundesebene läuft der Streit etwas plakativer: „Dank Rösler und Röttgen wird die zweite Deindustrialisierung Ostdeutschlands erfolgreich in die Wege geleitet“, sagte der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin in Richtung Wirtschafts- und Umweltminister der Berliner Zeitung.

Förderung: Schon die Regierung Kohl förderte erneuerbare Energien mit dem „Stromeinspeisungsgesetz“ von 1991. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unter Rot-Grün aus dem Jahr 2000 ging der Boom der Ökostromerzeugung los. Es garantiert Betreibern unter anderem von Windparks, Solar- und Biogasanlagen einen auf 20 Jahren garantierten Abnahmepreis für ihren Strom.

Solardebatte: Der Preis von Solarmodulen fällt rapide, die Vergütung ebenso. Für große Solarparks auf Freiflächen gibt es bald keine Förderung mehr, was de facto ihr Aus bedeutet.

Insolvenzen: In letzter Zeit gingen mehrere deutsche Solarunternehmen in Insolvenz, etwa Solon, Solar Millennium und Q-Cells. Ursachen: weltweiter Preisverfall wegen Überproduktion, chinesischer Konkurrenz und europaweiter Kürzungen der Solarförderung.

Norbert Röttgen (CDU) konterte erwartungsgemäß, solche Vorwürfe gingen an der Realität vorbei. Schuld sei der Preisverfall der Module. „Die Weltmarktsituation ist dramatisch: Herstellungskapazitäten von bis zu 70 Gigawatt stand 2011 ein Absatz von etwa 27 Gigawatt gegenüber“, ließ er mitteilen.

Die andere Version ist die von Menschen, die sich verarscht fühlen. Betriebsrat Hennig nimmt solche Worte schon mal in den Mund, wenn er in Fahrt ist. Neels Wied ist auch so einer, er ist 21 Jahre alt, im ersten Lehrjahr als Maschinenanlagenführer und gerade in seine erste WG gezogen. Vor den Toren des Werks nimmt er kein Blatt vor den Mund. Neels trägt Schwarz, Hose, Jacke, Nasenringe, Haare – nicht aus Trauer um First Solar, es ist sein Stil.

„Das Thema Solarenergie ist für mich erst mal abgefrühstückt“, sagt er. Es ist ja nicht nur First Solar, auch die ortsansässige Odersun ist insolvent, das Solarunternehmen Conergy, mit einem Werk 500 Meter Luftlinie weit weg, schreibt seit Jahren rote Zahlen. Odersun, Conergy, First Solar, das waren die drei Solarwunder hier.

Parallel zu Bitterfeld

Die Entwicklung läuft parallel zu der in der Region Bitterfeld, Ostdeutschlands zweitem großen Solarstandort, wo kürzlich der ehemalige Weltmarktführer Q-Cells Insolvenz anmeldete. Was alle diese Niedergänge bedeuten, für die Regionen und das Renommee der Solarbranche, lässt sich auch in Frankfurt ermessen. „Nach dem ganzen Theater in der Fotovoltaik glaube ich nicht, dass uns noch jemand übernehmen würde“, sagt Daniel Oberbäumer, auch im ersten Lehrjahr. Wenn es sein muss, wollen hier alle weg aus der Region: Nach Berlin, nach Hamburg oder in den Süden in die Automobilindustrie. Und was machen sie heute noch? „Heute gehen wir erst mal in meine WG und lassen alles sacken“, sagt Neels Wied. Sie haben einen Tage frei bekommen, zum Verdauen.

Den Schock in der Region haben sie noch lange nicht verdaut, „Schock“ steht in jeder zweiten Pressemitteilung. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck hat mit First Solar immerhin vereinbart, den Mitarbeitern mit einer Transfergesellschaft die Vermittlung anderer Arbeitsplätze zumindest zu erleichtern. Azubis wie Neels Wied könnten vielleicht von anderen Firmen aus der Region übernommen werden.

Den Frankfurter Oberbürgermeister erinnert das alles an die Pleite der Chipfabrik Communicant, ein großes Drama für Frankfurt im Jahr 2003. Damals sprach man auch von Gokart-Bahnen in ehemaligen Fabrikhallen. Am Ende kam Conergy. „Wir haben schon vieles überstanden. Auch diese Krise werden wir überwinden“, sagt Wilke.

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