Flüchtling und Mentor für Geflüchtete besprechen Aufführung: „Das Stück verengt die Debatte“

Sedef Ecers „Am Rand“ erzählt vom Leben Flüchtender in den Vorstädten europäischer Großstädte. Die Rezensenten kritisieren, dass es keine Perspektive biete.

Rosige Bilder vom westlichen Lebensstil: Flüchtlinge vorm Fernseher. Foto: Krusebild/dpa

taz: Herr Daoud, Herr Eilts, erzählt Sedef Ecers Theaterstück „Am Rand“ Wichtiges über die Gründe von Flucht und Elend, offenbart es etwas über die Sehnsüchte und Hoffnungen der Auswanderer?

Omid Daoud: Das Stück verengt die Debatte, gezeigt werden Menschen, die vor der fehlenden Arbeit und finanziellen Perspektivlosigkeit fliehen, die raus wollen aus der Armut. Aber es fliehen ja alle, auch Ärzte, Wissenschaftler und Menschen wie ich, die gegen die politischen Situationen in ihrem Lande gekämpft haben, die verfolgt wurden und nicht im Bürgerkrieg sterben wollten. Alle erstreben ein anderes, besseres Leben.

Hilko Eilts: Man merkt den Menschen im Stück nicht an, dass irgendwer in wahnsinniger Not ist. Auch auf der Kostümebene ist davon nichts zu sehen. Alles ist adrett und picobello. Wie in der deutschen Mittelschicht. Fast gewinnt man den Eindruck, das Flüchten sei für die Figuren nur ein Spiel. Ein Abenteuer. So bedient „Am Rand“ problematische Vorurteile.

Das Stück ist schon vier Jahre alt. Ist es noch aktuell?

Daoud: Die Flucht selbst wirkt hier fast schon idyllisch im Gegensatz zur heutigen Situation. Die Boote sind in einem immer schlimmeren Zustand, der Zusammenhalt der Flüchtlinge ist nicht mehr so groß.

Herr Eilts, aus Ihrer Perspektive als Mentor von Geflüchteten: Gibt das Stück Menschen eine authentische Stimme, von denen man sonst nichts gehört hätte?

Eilts: Von den Erfahrungen, die wir mit Geflüchteten machen, habe ich kaum etwas auf der Bühne wiedergefunden. Es geht ja erst mal um Kritik an durchkommerzialisierten Medien. Das Bühnensetting lässt einen an ein TV-Studio denken: die Scheinwerfertürme am linken und rechten Bühnenrand, die zahlreichen Bildschirme, die tatsächlich live gefilmten Auftritte der Showmasterin. Alles ist mit Plastikfolie ausgelegt, sodass der Bühnenraum zugleich ein hermetischer Fernsehkunstraum ist. Darin bewegen sich die Akteure, darin gehen sie fast vollständig auf.

19, Assyrer aus Qamischli im kurdischen Nordosten Syriens, lebt seit 2015 in Deutschland und hat beim Theaterkollektiv „Das letzte Kleinod“ als Autor, Schauspieler und Regieassistent mitgearbeitet.

Werden sie im Stück von diesem Medienapparat gesteuert?

Eilts: Ja, sie bewegen sich in einem totalen Verblendungszusammenhang: Was sie erreichen wollen, sind keine Ziele, die ihrer Lebensrealität, ihren Erfahrungen und lebensweltlichen Bedürfnissen entspringen, sondern vollständig medial vermittelte Ziele bestimmen ihr Denken. Das Fernsehen zeigt rosige Bilder vom westlichen Lebensstil und simuliert darüber hinaus, dass es in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Aber das Stück denunziert die Identifikation mit diesen medial erzeugten Bildern auch als einen quasi kindlichen Irrglauben.

45, begleitet in Bremen als Mentor Flüchtlinge. Arbeitete als Schauspieldramaturg und promoviert derzeit am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Das zeigt aber, wie die Medien Konsumwünsche wecken …

Eilts: … und diese medial vermittelten Konsumwünsche führen, so wird nahegelegt, zur Flucht. Das stimmt mit keiner meiner Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit überein. Aber man kann auch nicht sagen, dass Konsumwünsche gar keine Rolle spielen.

Im Stück wird behauptet, durch Flucht trete ein Zustand der Wurzellosigkeit ein.

Eilts: Erst heißt es, diese Generation sei wurzellos wie Gras, später ist in Bezug auf flüchtende Menschen sogar von wurzellosem Unkraut die Rede. Ärgerlicherweise bringt die Regie diese Terminologie völlig ungebrochen auf die Bühne.

Herr Daoud, sind Sie mit einem falschen Bild nach Deutschland gekommen?

Daoud: Ich war überrascht, wie schwierig es ist, wieder in die Schule gehen zu dürfen – und niemand hat uns vorher etwas gesagt über all die Papiere, Papiere, Papiere, die man lesen, ausfüllen muss. Gerade bei Facebook wird viel Falsches verbreitet. Deswegen denken einige, man könne hier das Geld von der Straße fegen und würde schnell reich. Die waren natürlich überrascht, dass man hier auch für Geld arbeiten muss.

Das Stück behauptet, Flüchtlinge exportierten den Bürgerkrieg. Wenn sie in Paris ankommen, sind sie gleich mit in die blutigen Kämpfe in den Banlieues verwickelt.

Eilts: Besonders problematisch finde ich die Aussage des Stücks, dass gerade die unteren Schichten nicht in der Lage seien, zu durchschauen, was eigentlich die Ursachen ihres Elends und wie die politischen Zusammenhänge sind. Sie leiden unter den im Stück hervorgehobenen Ausbeutungsmechanismen des Kapitalismus, die auch die Verwüstung der Umwelt bedingen. Sie begreifen diese Welt aber nicht, sondern kanalisieren ihre Angst und ihre Wut, indem sie sich Ersatzopfer suchen, im Stück sind es die Roma.

Das herausgearbeitet zu haben, ist eine Qualität des Stücks.

Daoud: Dadurch wird es trotzdem nicht besser. Es bietet nur Spotlights auf viele Themen, mir fehlt die Lösung, eine Idee, wie mit den Problemen umzugehen ist. Das ist wie bei vielen Syrern, gerade den jungen. Die sagen, sie wollen mit dem System nichts mehr zu tun haben, haben aber einfach keine Idee, wie es anders, besser ginge. Sie werden nichts ändern.

Eilts: Heyme inszeniert in erster Linie Kapitalismuskritik, in der die Figuren nur Mittel zum Zweck sind. Dabei werden all die angesprochenen Klischees produziert und genau das sollte Theater ja am wenigsten tun. Es sollte Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung sein, etwas freilegen, differenzieren, möglicherweise Empathie erzeugen. Dafür müsste es aber echte Erfahrungsräume öffnen, Differenzen zulassen und ihre Austragung, nicht nur auf der Bühne, sondern bereits im Probenprozess.

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