Flüchtlingsbeauftragter schlägt Alarm: Seebrücke statt Seehofer

Schleswig-Holstein Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt war ehemals Kapitän der Cap Anamur und legt sich nun mit Innenminister Horst Seehofer an.

Stefan Schmidt steht vor dem neuen Boot einer Flüchtlingsinitiative.

Will nicht ruhig sein: Schleswig-Holsteins Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt Foto: dpa

NEUMÜNSTER taz | Tausende offenbar falscher Entscheidungen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) getroffen – nein, nicht in Bremen, sondern in allen seinen Amtsstellen. Zumindest sehen das deutsche Gerichte so, die Geflüchteten, die gegen ihre Ablehnungsbescheide geklagt haben, in 40 Prozent der Fälle Recht gaben und damit die Entscheidungen des Bundesamtes aufhoben.

Stefan Schmidt, Flüchtlingsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, findet es seltsam, dass sich Politik und Öffentlichkeit über diese Zahlen so gar nicht aufregen. Außerdem ärgert ihn, dass Ehrenamtliche für die Rettung von Schiffbrüchigen unter Anklage stehen.

In einem Brief an Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat der Flüchtlingsbeauftragte seinem Unmut Luft gemacht. Eine echte Antwort darauf hat Schmidt nicht erhalten. Nun legt er mit einem weiteren Brief ans Ministerium nach und hofft auf Unterstützung: Für Freitag, 20. Juli, ist in Kiel eine Demo unter dem Motto „Seebrücke statt Seehofer“ geplant.

Es sei sicher richtig, die Vorkommnisse im Bremer Bamf zu klären, heißt es in Schmidts erstem Schreiben in Bezug auf die Vorwürfe, dort seien Geflüchtete ohne rechtliche Grundlage anerkannt worden. „Einen ähnlichen Aufklärungswillen hätte ich mir auch gewünscht, wenn es um die Vielzahl von Entscheidungen geht, die von Gerichten aufgehoben wurden“, heißt es in dem Brief weiter.

Bundesinnenministerium

„Eine Unterstützung privater Initiativen führt zur Unterstützung der Schleuseraktivitäten und damit zu einem Pullfaktor“

Im März hatte eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergeben, dass im Jahr 2017 fast jede zweite Klage gegen einen abgelehnten Asylantrag vor Gericht Erfolg hatte. Insgesamt, so zeigt es die Asylstatistik des Bundes, lehnte das Bamf im Jahr 2017 deutlich mehr Menschen ab als noch 2016: 71 Prozent im Vergleich zu 53 Prozent.

Die Quote in Bayern lag noch über dem Bundesschnitt. Doch das Innenministerium betonte in seinem Antwortbrief, der der taz vorliegt, nur seinen Willen, „Versäumnisse und strafrechtlich relevantes Verhalten“ aufzuklären.

Erstaunt sei er nicht darüber, sagt Schmidt: „Politiker gehen nie auf Dinge ein, die ihnen nicht passen.“ Fast wie Realsatire klingt die ministerielle Antwort auf Schmidts Hinweis, es stünde dem Staat gut an, sich für ehrenamtliche Lebensretter einzusetzen: „Eine Unterstützung privater Initiativen führt zur Unterstützung der Schleuseraktivitäten und damit zu einem zusätzlichen Pullfaktor.“ Private Initiativen betrieben damit „ungewollt auch das Geschäft der Schleuser“.

Lob für Innenminister Hans-Joachim Grote

Offenbar war dem Unterzeichner des Schreibens nicht bekannt, dass Stefan Schmidt als ehemaliger Kapitän des Hilfsschiffes „Cap Anamur“ selbst drei Wochen im Sommer 2004 drei Wochen lang mit 37 Geretteten durchs Mittelmeer kreuzte, bevor er einen Hafen anlaufen durfte. Für die Hilfsmission stand der Kapitän in Italien vor Gericht und wurde 2009 freigesprochen. Seit 2011 ist er Flüchtlingsbeauftragter.

Die Politik der schleswig-holsteinischen Jamaika-Regierung im Umgang mit Flüchtlingen sieht der Beauftragte mit etwas gemischten Gefühlen: Dass CDU, FDP und Grüne den Bau einer Abschiebehaft planen, ist kein Grund zur Freude, „aber wir kommen wohl nicht drumherum“, sagt Schmidt.

Lob gibt es für die Haltung des Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU), der angeboten hatte, Schiffbrüchige des in Malta beschlagnahmten deutschen Rettungsschiffes „Lifeline“ in Schleswig-Holstein aufzunehmen. Das Schiff hatte erst nach mehreren Tagen die Erlaubnis zum Einlaufen erhalten, nachdem sich verschiedene EU-Staaten bereit erklärt hatten, Flüchtlinge aufzunehmen.

Solidaritätsdemo am Freitag

Seit seinem Einsatz auf der Cap Anamur habe sich vieles geändert, sagt Schmidt. Nicht nur die Haltung der Regierungen sei rigoroser geworden, sondern auch die der Küstenwache: „Damals gab es unter der Hand manchmal einen Hinweis oder Hilfe für die Retter“, erinnert er sich. Heute sei es notwendig, immer wieder auf die Lage auf dem Mittelmeer hinzuweisen: „Man muss viel mehr auf die Straße gehen. Wir sind nicht ruhig.“

Die Solidaritäts-Demo für Menschen auf der Flucht startet am Freitag um 17 Uhr am Kieler Bahnhof. Hinter der Aktion „Seebrücke statt Seehofer“ stehen unter anderem der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, die Grünen, die Linke, der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg und Gewerkschaften. „Unterstützung für Organisationen wie Jugend rettet, Lifeline oder Seawatch müsste Bürgerpflicht sein, statt die Ehrenamtlichen zu kriminalisieren“, findet der Kapitän.

Aktuell liegen mehrere Rettungsschiffe wie die „Lifeline“ oder die „Aquarius“ in Häfen fest. So schreibt Schmidt in seinem zweiten Brief an den „sehr geehrten Herrn Minister“: Die Pullfaktor-These sei wissenschaftlich widerlegt – oder habe das Ministerium andere Erkenntnisse? Und was bitte tue die deutsche Regierung für die Rettung Schiffbrüchiger, wenn NGOs an ihrer Arbeit gehindert werden? Eine Antwort auf dieses Schreiben steht noch aus.

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