Flüchtlingsdebatte in den Niederlanden: Drohungen statt Argumente

In den Niederlanden werden inzwischen Politiker jeder Partei bedroht. Die Grenzen zwischen Wut und Gewalt verschwimmen.

Ein Mann spricht vor einem Mikrofon. Vor ihm sitzen Menschen und hören zu.

Hätte am liebsten, dass die Niederlande die Grenzen schließen: Rechtspopulist Geert Wilders. Foto: dpa

AMSTERDAM taz | Der Protest gegen die Unterbringung von Flüchtlingen nimmt in den Niederlanden zunehmend militante Formen an. In den letzten Wochen kam es in zahlreichen Kommunen zu Übergriffen und Bedrohungen gegen vermeintliche Befürworter von Notunterkünften. Negativer Höhepunkt war Ende Oktober ein nächtlicher Brandanschlag auf zwei Autos des linksgrünen Lokalpolitikers Harold Halewijn in Oostknollendam in der Provinz Nordholland. In der Gemeinde sollte am nächsten Abend eine öffentlich Diskussion zum Thema stattfinden.

Halewijn ist nicht das einzige Opfer des Volkszorns: In Rijswijk bei Den Haag empfingen mehrere Stadträte anonyme Briefe, in denen sie aufgefordert werden über den Bau eines Flüchtlingsheims „gut nachzudenken”, andernfalls drohten ihnen oder ihrer Familie Konsequenzen. Auch die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen der Parteien D66, Groen Links und CDA wurden bedroht, über den Inhalt ist allerdings nichts näher bekannt.

Halbe Zijlstra, Fraktionschef der rechtsliberalen Regierungspartei VVD, erhielt Ende Oktober einen Brief mit einem Projektil. Zijlstra hatte sich zuvor für Leistungskürzungen für Asylbewerber ausgesprochen und herablassend über ihre Fluchtgründe gesprochen.

Letzte Woche verfassten sämtliche Fraktionsvorsitzenden einen offenen Brief, in dem sie das Ende der Einschüchterungen in der Asyldebatte fordern. „Verwechselt Drohungen und Beleidigungen nicht mit Argumenten”, heißt es. „Das passt nicht in einen demokratischen Rechtsstaat.” Der Appell beginnt mit dem Verweis auf Geert Wilders, Chef der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV), der wegen islamistischer Todesdrohungen seit Jahren unter Bewachung lebt.

Schlüsselfigur Geert Wilders

In der jüngsten Debatte ist Geert Wilders eine Schlüsselfigur. Unter dem Motto „Wehrt euch!” fordert er die Niederländer seit Wochen zum Protest gegen die Unterbringung von Flüchtlingen auf – allerdings „nie mit Gewalt”, wie er mehrfach betonte. Seine Partei, die PVV, klettert seit Wochen auf immer neue Umfragerekorde. Ende Oktober lag sie bei über 25 Prozentpunkten, mehr als beide Parteien der sozialliberalen Koalition zusammen. Dass dies direkt auf die Flüchtlingskrise zurückgeht, ist deutlich, denn die PVV inszeniert sich als „einzige Partei, die den Bürgern zuhöre” – offenbar erfolgreich.

Insgesamt wurden 2015 bislang rund 50.000 Asylbewerber registriert, mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014. Die Zahlen der Neuankömmlinge aber sind aktuell rückläufig: Ende Oktober lagen sie bei 300 täglich, gegenüber 700 zwei Wochen zuvor. Niederländische Medien verwiesen auf soziale Netzwerke, in denen sich Flüchtlinge gegenseitig warnten, nicht in die Niederlande zu kommen.

Offener Brief der Fraktionsspitzen

„Verwechselt Drohungen nicht mit Argumenten”

Im Oktober beschloss das Parlament, den bisherigen Vorzug für Asylbewerber für eine Wohnung abzuschaffen. Tenor quer durch das politische Spektrum ist, dass „einfacher Unterbringung” abschreckend wirken soll.

Demo mit Hitlergruß

Die Wut der BürgerInnen hat in den Niederlanden zur Zeit vielfältige Erscheinungsformen. Am Wochenende etwa beendeten in Enschede die Veranstalter einer Demonstration – eine lokale Initiative gegen eine Flüchtlingsunterkunft – diese vorzeitig, weil die Situation zu eskalieren drohte. Zuvor hatte es mehrere Festnahmen von Teilnehmern gegeben, die den Hitlergruß gezeigt hatten.

Und zum Thema Einschüchterung von politischen Gegnern fand sich dieser Tage eine vielsagende Reaktion im Online-Forum der Boulevardzeitung Telegraaf: „Die Fraktionsvorsitzenden werden bedroht. Aber sie bedrohen uns mit ein paar hunderttausend Asylbewerbern. Das ist die wirkliche Bedrohung.”

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