Forscherin über Coronaviren im Abwasser: „Auf die Toilette gehen eben alle“

Abwasserexpertin Susanne Lackner plädiert dafür, auch in Kläranlagen nach Coronaviren zu suchen. Sie führt das bereits in Frankfurt am Main vor.

Abwasser fliesst aus Rohren einer Kläranlage

Schmutz, der viel über die Gesundheit verraten kann: Abwasser in einer Kläranlage in Bottrop Foto: Jochen Tack/imago

taz: Frau Prof. Lackner, die EU-Kommission hat am Wochenende die Mitgliedstaaten aufgefordert, im Kampf gegen die Coronapandemie regelmäßig das Abwasser auf Coronaviren zu untersuchen. Sie praktizieren diese Methode in Frankfurt am Main. Wie genau lassen sich mit dieser Methode Infektionsherde zurückverfolgen?

Susanne Lackner: Es gibt zwei Ansätze. Der eine ist quantitativ und prüft, wie hoch die Viruslast im Abwasser ist. Das macht man mit den gleichen Methoden wie in der medizinischen Diagnostik, also mit dem viel diskutierten PCR-Test, der die Viruskonzentration nachweist. Daraus lässt sich ableiten, ob die Infek­tionszahlen steigen oder zurückgehen.

Unsere Daten aus Frankfurt zeigen, dass man mit dieser Art von Analytik den Zahlen des Robert-Koch-Instituts ungefähr eine Woche voraus sein kann. Bei unserem Verfahren spielen für das beprobte Einzugsgebiet die Teststrategien keine Rolle. Es ist auch irrelevant, ob die Leute Symptome haben oder sich testen lassen. Auf die Toilette gehen dann eben doch alle. Auch internationale Studien von Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass die Trends mit dem Verfahren recht präzise nachgewiesen werden können.

42, lehrt und forscht am Fachgebiet Abwasser­wirtschaft des Instituts IWAR an der TU Darmstadt.

Wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Wir entnehmen unsere Proben aus dem Zulauf der Kläranlagen. Man könnte auch in das Kanalnetz gehen und beispielsweise rückverfolgen, aus welchem Bezirk eine Infektion kommt.

Welche Vorteile hat Ihre Methode gegenüber der Testung am Menschen?

Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir auch Mutationen nachweisen können. Diese Methode weicht von der quantitativen PCR etwas ab, wir gehen dabei aber auch wieder ähnlich wie die Mediziner vor. Die Proben werden auf das Erbgut des Virus untersucht, und durch einen Abgleich mit Datenbanken erhalten wir dann daraus Informationen darüber, welche Varianten in dem Einzugsgebiet der Kläranlage schon existieren. Man sieht aus unseren Daten zum Beispiel, dass die B.1.1.7-Variante schon sehr weit verbreitet ist und seit Dezember kontinuierlich angestiegen ist. Der Vorteil ist, dass wir mit Abwasserproben hier großflächig agieren und so mit relativ wenig Aufwand einen guten Eindruck über die Verteilung von Muta­tionen bekommen könnten.

Haben Sie Ihre Methode dem Gesundheitsministerium vorgestellt, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Was wir bisher festgestellt haben, ist, dass die Trendanalysen mit der PCR zum Teil sehr schwer vermittelbar sind. Das ist zum Teil auch nachvollziehbar. Wir begegnen häufig der Frage: „Was soll ich mit den Zahlen anfangen? Was nützt es mir, wenn ich weiß, dass die Inzidenz in einer Woche wieder steigt?“ Neu ist allerdings, dass die Gesundheitsämter doch einen Nutzen darin sehen, dass wir Muta­tionen nachweisen können. Ich hatte gerade diese Woche Gespräche mit dem Robert-Koch-Institut und mit vier hessischen Ministerien, wo sich zeigte, dass die Leute aus dem Gesundheitsministerium durchaus einen Nutzen sehen.

Wenn wir frühzeitig warnen und zum Beispiel sagen können: „Passt auf, da ist schon die brasilianische Variante unterwegs, die die Medizin vielleicht noch nicht erwischt hat“, dann kann man daraus wirklichen Nutzen ziehen, der auch auf den Gesundheitssektor übertragbar ist. Unser Ziel ist ja, dass unsere Daten genutzt werden. Ich stelle mir pragmatisch vor, dass wir bei häufigem Auftreten einer Mutation dazu auffordern: Überprüft in diesem Einzugsgebiet mehr Humanproben auf das Erbgut des Virus, um zu sehen, ob bestimmte Virus­varianten vorliegen.

Wie sähe die ideale Umsetzung des Verfahrens aus?

Aus meiner Sicht wäre für Deutschland am ehesten umsetzbar, mit den großen Kläranlagen in den Großstädten anzufangen, weil ich damit einen hohen Bevölkerungsanteil abdecken kann. Es gibt rund 10.000 Kläranlagen in Deutschland, darunter etwa 220 für einen Einzugsbereich von mehr als 100.000 Einwohnerwerten. Wenn man dort auch nur alle zwei Wochen Proben untersucht, hätte man für Deutschland zusätzlich zu den Daten des Robert-Koch-Instituts schon ein ganz gutes Bild über die Muta­tionen und man hätte damit unabhängig von Testungen die Entwicklungen auf dem Schirm.

Könnte das, was Sie machen, unmittelbar von anderen Forschungsteams übernommen werden, oder bräuchte es einen zeitlichen Vorlauf?

Es wird oft unterschätzt, wie schwierig es ist, mit der komplexen Matrix Abwasser richtig umzugehen. Ich glaube nicht, dass jedes Labor das mal eben umsetzen kann. Mit der entsprechenden Erfahrung und Ausstattung ist es aber möglich.

Ich frage deshalb, weil durch die Impfungen bis zum Spätsommer das Schlimmste überstanden sein dürfte. Lohnt sich jetzt noch eine Investition?

Absolut. Ich hoffe natürlich auch, dass sich die Pandemie spätestens bis zum Herbst erledigt hat, aber der worst case wäre, dass wir doch noch eine Variante bekommen, bei der nicht alle Impfstoffe anschlagen. Man muss sicher nicht jeden Tag messen, vielleicht reicht bei niedrigem Infektionsgeschehen auch einmal im Monat für ein grob gerastertes Monitoring aus. Davon abgesehen, ist es ja mit Corona nicht vorbei. So ein System ist dann ja auch für andere Viren einsetzbar.

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