Forscherin über Klimakrise und Rassismus: „Nicht alle sitzen im selben Boot“

In der Klimakrise spiegeln sich Ungerechtigkeiten wie Rassismus, sagt die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen. Darauf müsse die Bewegung reagieren.

Menschen sitzen mit ihren Möbeln in einem Holzboot

Nach Überschwemmungen transportieren Menschen in Kenia ihren Hausrat auf einem Boot Foto: Thomas Mukoya/reuters

taz: Frau Ituen, Sie haben mal gesagt, Fridays for Future habe die nördliche Perspektive schon im Namen. Wieso?

Imeh Ituen: Der Name verweist auf die Zukunft. Er lässt die Klimakrise wie ein Problem aussehen, das vor allem jüngere Menschen oder kommende Generationen betrifft. Das blendet aus, dass Menschen im globalen Süden seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben. Das hat hier im Norden noch nicht wirklich Gehör gefunden und das spiegelt sich auch in diesem Begriff „for Future“ wider.

Die Klimaaktivistin Tonny Nowshin hat kürzlich in einem Gastbeitrag in der taz angeprangert, dass die deutsche Klimabewegung die Perspektiven von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) oft nicht richtig ernst nehme. Sehen Sie das auch so?

Ja, aber das ist auch nicht überraschend. Die Klimabewegung hier ist überwiegend weiß – warum sollte diese Zusammensetzung nicht zu denselben Problemen führen wie im Rest der Gesellschaft auch?

Wichtig ist, dass das in der Bewegung immer mehr anerkannt wird. Ich sehe da Fortschritte, allerdings erlebe ich auch immer wieder Enttäuschungen. Ich werde zum Beispiel oft gebeten, erst mal zu erklären, ob es Rassismus in der Klimabewegung überhaupt gibt, und wenn dem so sei, was die Schritte zu einer Klimabewegung ohne Rassismus sind.

Sie sollen also die Komplettlösung präsentieren.

Genau, dabei habe ich natürlich nicht alle Antworten parat. Wie auch? Es geht hier um eine Alternative zu einem System, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Hinter dieser Diskussion steht häufig der Gedanke: Wir kämpfen doch schon gegen die Klimakrise, manchmal auch ein bisschen gegen den Kapitalismus – und jetzt sollen wir auch noch den Rassismus abschaffen?

In der Klimakrise spiegeln sich aber nun mal alle Ungerechtigkeiten, die es sonst auch gibt: Rassismus, aber zum Beispiel auch Sexismus. Deswegen ist es so spannend, für Klimaschutz und vor allem Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Das richtet sich gegen alle Dimensionen von Unterdrückung. Letztendlich hängt das alles zusammen und muss intersektional gedacht werden.

Imeh Ituen, Jahrgang 1987, ist Sozialwissenschaftlerin und Klimaaktivistin. Ihr Fachgebiet ist die internationale Klimapolitik. Sie engagiert sich beim Berliner BIPoC-Klimakollektiv „Black Earth“.

Es ist zum geflügelten Wort geworden, dass beim Klimawandel alle im selben Boot säßen, weil niemand nicht betroffen sein wird. Stimmt das nicht?

Ich finde, das Bild passt nicht. Es ist doch so, dass die reichen Länder des Nordens die Klimakrise größtenteils verursacht haben, die Hauptleidtragenden leben aber im Süden.

Ich saß neulich auf einem Podium. Dort fiel der Vergleich, wir säßen schon alle in einem Boot, aber das Boot habe halt verschiedene Etagen. Die ganz unten haben schlechtere Chancen, wenn das Boot sinkt. Aber selbst dieses Boot kann ich mir nicht vorstellen. Wie viele Stockwerke soll das denn haben? Nein, das Bild passt nicht, auf dieser Welt sitzen nicht alle im selben Boot.

Früher haben die Vereinten Nationen deshalb beim Klimaschutz ganz strikt in Entwicklungs- und Industrieländer unterschieden, nur Letztere waren zum Klimaschutz verpflichtet. Mit dem Paris-Abkommen hat sich das geändert. Da die Emissionen weltweit auf null fallen müssen, ist das doch grundsätzlich sinnvoll, oder?

Ich glaube aber schon, dass das ein bewusstes Bestreben des globalen Nordens war, um die eigene Verantwortung zu verschleiern. Das Prinzip der „Common but differentiated responsibilities“ (zu deutsch „gemeinsame, aber jeweils unterschiedliche Verantwortung“, Anmerkung der Redaktion) ist total verschwommen. Alle dürfen selbst festlegen, was sie leisten wollen.

Der Weltklimarat IPCC hat errechnet, wie viel Treibhausgas die Menschheit noch ausstoßen kann, wenn die Erde sich um höchstens 1,5 oder 2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten aufheizen soll. Das sind ja die Ziele des Paris-Abkommens. Der Vertrag klärt aber nicht, wie dieses Budget zwischen den Ländern aufgeteilt wird.

Genau. Es gibt jetzt nur noch eine moralische Verpflichtung für die Industrieländer, beim Klimaschutz voranzugehen. Das macht es schwer, einzelne Staaten zur Verantwortung zu ziehen, wenn die Rechnung insgesamt nicht aufgeht.

Es geht aber nicht nur darum, wer als Erstes seine Emissionen auf null bringen muss, sondern auch um sehr viel Geld. Die Industrieländer haben Angst, dass die Entwicklungsländer Entschädigungen durchsetzen könnten, wenn deutlich in Verursacher und Betroffene unterschieden wird.

Eine vollumfängliche Haftung für die Klimakrise ist im Paris-Abkommen ausgeschlossen. Muss sich das ändern?

Absolut. Das ist für mich ein zentraler Punkt. Es muss Kompensationszahlungen aus dem Norden an Länder des globalen Südens geben. Kosten und Nutzen der Treibhausgasemissionen sind ungerecht verteilt. Das geht zurück auf eine Geschichte von fast sechs Jahrhunderten.

Normalerweise sprechen wir immer von der Industrialisierung als Startpunkt der Klimakrise.

Nein, ich finde, der Startpunkt war schon 1454. Das ist das Jahr, in dem afrikanische Menschen erstmals auf Plantagen versklavt wurden, und zwar auf der Insel Madeira. Und 1492 wurde der Seeweg in die Amerikas gefunden. Diese Momente markieren den Start des Zeitalters des Kolonialismus.

Diese Ausbeutung von Schwarzen und Indigenen Menschen sowie Menschen of Color, die Genozide an ihnen, das sind die Prozesse, die überhaupt erst dafür gesorgt haben, dass in Europa so viel Kapital angehäuft wurde. Das hat die Industrialisierung hier ermöglicht, den Kapitalismus – und damit auch die Klimakrise. Man kann dieses Problem ohne die Historie und die damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht richtig verstehen.

Um das in der Klimabewegung voranzubringen, wurde das Berliner BIPoC-Klimakollektiv Black Earth gegründet, an dem Sie mitarbeiten. Warum machen Sie das nicht direkt in den bestehenden Klimaorganisationen?

Viele von uns haben das zuerst versucht. Wir waren zum Beispiel alle schon bei den einschlägigen Klimacamps. Unsere Perspektiven waren nicht repräsentiert, wir haben uns dort nicht vertreten gefühlt. Wir hatten auch keine Lust, inhaltlich jedes Mal wieder bei Punkt null anzufangen: Was ist überhaupt Rassismus, was ist Kolonialismus und was hat das mit der Klimakrise zu tun?

Und natürlich haben wir auch alle irgendwelche Rassismuserfahrungen gemacht. Klar, wir beschäftigen uns bei Black Earth mit den Folgen von Rassismus – aber wir sind doch ganz dankbar, ihn während unserer politischen Arbeit nicht ständig praktisch erfahren zu müssen.

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