Fotografie in der Alfred Ehrhardt Stiftung: Knallharter Realismus

Die Ausstellung „Über das Ephemere in der Fotografie“ zeigt die Auflösung des Bildgegenstands und überrascht mit einem hohen Frauenanteil.

Verschwommene Bäume durch vereiste Scheibe

Ausschnitt aus Marianne Ostermann, Morphose 14, 2018, Cyanotypie Foto: Alfred Ehrhardt Stiftung

Gefühlt bestreiten diese Ausstellung ausschließlich Fotografinnen. Dabei ist das Geschlechterverhältnis zur Abwechslung einfach mal ausgewogen. Zehn zu acht steht es für die Frauen, unter ihnen Francesca Woodman (1958–1981) mit einem typischen Selbstporträt, das sie nahezu unauffindbar zeigt, hingeworfen auf einem Betonfußboden, neben verblühten Disteln und einer Stoffplane.

Unter den Männern trifft man auf László Moholy-Nagy (1895–1946) mit einer für ihn ebenso typischen kameralosen Fotografie. Das Fotogramm in Form eines Triptychons entstand Mitte der 1920er Jahre und es ist unklar, ob die wenigen Kreisformen aus dem Schwarz des Fotopapiers auftauchen oder eher in ihm absaufen.

Vielleicht ist es die ungewohnte Ausgewogenheit, die das Gefühl weiblicher Übermacht hervorruft. Vielleicht liegt es aber auch am Gegenstand der Ausstellung. Sie handelt „Vom Verschwinden und Erscheinen“, was Marie Christine Jádi, die Kuratorin der Schau, im Untertitel als Untersuchung „Über das Ephemere in der Fotografie“ präzisiert. Die Schau handelt also von der Fotoästhetik. Und zwar jener, die den Moment zelebriert, in dem etwas „genau zwischen seinem Erscheinen und seinem Verschwinden schwebt“, wie die Philosophin Christine Buci-Glucksmann das Ephemere definiert.

Dieser besondere Moment konkretisiert sich in der Auflösung des Bildgegenstands in der Unschärfe, in der Langzeit- oder Mehrfachbelichtung. Aus einem letztlich unerklärlichen Grund scheint nun das Vage und Wolkige dieser Bildästhetik weiblich konnotiert zu sein. Stellt sich die Frage: Wie lange bleibt man eigentlich Opfer kanonbildender Klischees? Doch davon abgesehen ist die Erscheinung des Ephemeren in der Fotografie spannend genug. Gerade weil sich die Schau vor allem auf die zeitgenössische Fotografie konzentriert.

„Vom Verschwinden und Erscheinen. Über das Ephemere in der Fotografie“ läuft noch bis 9. September. Alfred Erhardt Stiftung, Auguststraße 75. Di-So 11 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Am 1. August findet eine Performance mit Vortrag von Prof. Dr. Ferenc Jádi statt.

Arktische Traumlandschaft

Und ausgerechnet hier trifft man nun auf Drucktechniken wie die Photogravüre und den Platindruck, die man mit dem vorletzten Jahrhundert verschwunden glaubte. Der dänische Fotograf Adam Jeppesen (Jahrgang 1978) etwa experimentiert bei „September 5th“ (2013) mit der Photogravüre. Weil er den Druckstock nur einmal mit Farbe bestreicht, werden die (insgesamt acht) Abzüge von Mal zu mal blasser, bis am Ende ein scheinbar leeres weißes Blatt übrig bleibt.

Zu erkennen ist in den ersten Blättern eine Formation von Militärflugzeugen über einer Wüstenlandschaft. Aber der Bildgegenstand interessiert die Fotograf*innen der Ausstellung nur als Mittel einer Bildidee, weshalb er mit allen fotografischen Mitteln verfremdet, dekonstruiert und rekonstruiert werden kann.

Ein altes fotografisches Edeldruckverfahren nutzt auch Marianne Ostermann mit der Cyanotypie, wodurch der Blick durch die vereisten Fensterscheiben ihrer Berliner Wohnung eine ewige l’heure bleue heraufbeschwört.

Beim finnischen Fotografen Jorma Puranen evoziert dann die Reflexion der Landschaft in einem blau lackierten Holzbrett den Eindruck einer gefrorenen arktischen Traumlandschaft. Und in eine Winterlandschaft eingebettet scheinen auch die Personen, die Donata Wenders als schemenhafte Umrissfiguren fotografiert. Gliedmaßen, wie die Beine, lässt sie einfach ins Weiß tropfen.

Atmosphären als Träger von Stimmungen

Zu sehen ist in der Ausstellung der Alfred Erhardt Stiftung also das, was man atmosphärische Bilder nennt. Folgerichtig kam ein Vortrag im Begleitprogramm zur Ausstellung vom Philosophen Gernot Böhme. Er ist ja durch seine Forschung zur Wahrnehmung dessen bekannt, was wir gemeinhin das Atmosphärische nennen.

Für ihn bildet die Atmosphäre die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen, weswegen er Ästhetik auch generell in Atmosphären begründet sieht. Atmosphären lassen sich so als räumliche Träger von Stimmungen bezeichnen, denen − wie die Schau zeigt − auch fotografisch nachgespürt werden kann.

Ganz exzessiv tut das Nicole Ahland in ihren Porträts architektonischer Räume, die sie oft tagelang beobachtet, um ihre spezifische Gestimmtheit ins rechte Licht zu setzen. Atmosphäre kann aber auch ganz instantan und gewaltsam entstehen wie Helena Petersens Pyrographie-Serie belegt.

Dafür belichtete die Künstlerin das Fotopapier allein durch das Abfeuern einer Waffe, wobei das ­Papier auch durch die Schmauchspuren gezeichnet und durch herabfallende Rückstände des Mündungsfeuers individuell verletzt und zum nicht reproduzierbaren Unikate wurde. Die Gewalt des Augenblicks schreibt sich nicht nur visuell, sondern auch haptisch in das Papier ein. Das Ephemere in der Fotografie als wortwörtlich knallharter Realismus.

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