Fraktionschef Dietrich Wersich: "Die CDU regiert am besten allein"

Hamburgs Parteien suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich im taz-Interview über die Konsenssucht im Rathaus.

Setzt auf eine liberale Großstadt-CDU: Dietrich Wersich, Fraktionschef. Bild: dpa

taz: Herr Wersich, was ist in der Hamburger CDU geblieben von dem gescheiterten Rechtsaußen-Experiment unter Christoph Ahlhaus?

Dietrich Wersich: Christoph Ahlhaus ist sicher ein anderer Typ als Ole von Beust, aber es gab kein Rechtsaußen-Experiment. Unsere neuen Leitlinien, die nach einer ungewöhnlich intensiven und lebhaften innerparteilichen Diskussion beschlossen wurden, haben den Kurs der liberalen Großstadtpartei eindeutig bestätigt. Alles andere wäre für die CDU in Hamburg auch verkehrt.

Also die Hamburger CDU als moderne Großstadtpartei? Können Sie das an zwei Beispielen erläutern?

Wir wollen, dass Hamburg die Stadt der Chancen ist. Das heißt, alle Hamburgerinnen und Hamburger sollen ihre Lebenschancen so entfalten können, wie sie es möchten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer durch Kinderbetreuung und eine flexiblere Arbeitswelt, aber auch die Förderung von Exzellenz, etwa in der Wissenschaft, sind dafür zentrale Ziele. Gleichzeitig stehen wir für Hamburg als Heimat, in der man sich wohlfühlt – in allen Stadtteilen und egal, woher man kommt.

Dennoch ist der Kurswechsel in Ihrer Partei nicht unumstritten. Marcus Weinberg wurde im Juni mit gerade mal 82,3 Prozent als Vorsitzender im Amt bestätigt. Sowas wird gewöhnlich ein „ehrliches Ergebnis“ genannt. Warum immer noch so viel Widerstand?

Fraktionsübergreifende Beschlüsse der Bürgerschaft im Jahr 2012:

Volksgesetzgebung I: Reform der bezirklichen Bürgerbegehren am 25. Januar einstimmig beschlossen von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken.

Transparenzgesetz: Am 13. Juni von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken einstimmig beschlossen.

Schuldenbremse: Verfassungsänderung am 14. Juni von SPD, Grünen und FDP beschlossen.

Nichtraucherschutz: Am 14. Juni von SPD, Linken und Teilen der CDU beschlossen.

Volksgesetzgebung II: Reform von Volksentscheiden wollen SPD, CDU, Grüne, FDP und Linke im Herbst einstimmig beschließen.

Wahlrecht: Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre wird im Herbst wahrscheinlich von SPD, CDU und Grünen und eventuell FDP beschlossen; für die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre werden SPD und Grüne und eventuell FDP und Linke stimmen.

Bisher im Interview: Katja Suding (FDP), Dora Heyenn (Linke), Andreas Dressel (SPD), Jens Kerstan (Grüne).

Letztes Interview: Jens Kerstan (Grüne).

Das Ergebnis für Marcus Weinberg war für eine lebendige demokratische Partei, die im Erneuerungsprozess nach einer verheerenden Wahlniederlage steht, hervorragend. Und auch unterschiedliche Meinungen gehören in einer vitalen Partei dazu. Neuer Erfolg kann nur aus diesem offenen Ringen um den richtigen Weg entstehen.

Sie selbst wurden mit 77,1 Prozent zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Kurz zuvor mussten Sie mächtig kämpfen, um erstmals Kreisvorsitzender in Hamburg-Nord zu werden: Glänzende Ergebnisse sehen anders aus.

Es gab mehrere Interessenten, nichts Ungewöhnliches. Und dann haben wir den personellen Neuanfang im Kreis Nord ohne Streit geklärt, damit bin ich sehr zufrieden. Derartige Entscheidungen werden und wurden auch in Parteien schon ganz anders ausgetragen.

In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine neue Konsenssucht?

Es gibt immer Sachfragen, bei denen sich alle einig sind. Ich sehe da keinen Unterschied zu früher, nicht einmal zu unserer Alleinregierung. Die großen Entscheidungen zum Haushalt, zum Rückkauf der Energienetze, zum Anteilskauf von Hapag-Lloyd und sogar die Frage des Schuldenstopps waren jedoch sehr umstritten, keine davon wurde einstimmig gefasst. Die Kompromisse zur Volksgesetzgebung hingegen sind richtig, weil sie weit über das Parlament hinausreichen.

Ist das eine Frage der politischen Hygiene, nicht Opposition um jeden Preis zu betreiben?

Die Kontrolle des Senats durch die Opposition ist enorm wichtig, wir müssen über die Fehler und die Folgen falscher Politik dieser SPD-Alleinregierung aufklären. Aber mir geht es um Entscheidungen, die gut sind für die Stadt, nicht um Opposition um jeden Preis.

Die SPD hat eine eigene Mehrheit. Sind ihre Kooperationsangebote ein Versuch, die Opposition zu spalten?

Ich glaube schon, dass die SPD keine Lust hat, ständig einen Vier-Fronten-Kampf zu führen, allein gegen alle. Wenn die SPD unsere Ideen gut findet und unterstützt, freut uns das. Sie macht ja auch nicht alles anders, knüpft zum Beispiel an die erfolgreiche CDU-Politik der wachsenden Stadt an, auch wenn Bürgermeister Olaf Scholz dafür immer wieder neue Begriffe erfindet.

Aber die SPD regelt das ja mit wechselnden Konstellationen: Schuldenbremse mit Grünen und FDP, Nichtraucherschutz mit Linken und einigen Christdemokraten ...

Ich sehe da kein Problem, wir sind ein lebendiges Parlament, in dem viele Meinungen vertreten sind.

Vielleicht will die SPD ja schon mal potenzielle Koalitionspartner für die nächste Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein Leckerli dort?

Natürlich will es sich die SPD nicht mit allen verderben. Sie weiß ja auch, dass sie mit der derzeitigen Politik die nächste Wahl leicht verlieren kann, von der absoluten Mehrheit mal ganz zu schweigen.

FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte vor vier Wochen im taz-Interview, sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der SPD vorstellen. Wundert Sie das?

Nein.

Offenbar hat die FDP die CDU als möglichen Partner bereits abgeschrieben. Enttäuscht Sie das?

Quatsch, die FDP muss sich ernsthafte Sorgen um ihre politische Existenz in Hamburg machen.

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel bestritt vor zwei Wochen an dieser Stelle, auf Brautschau zu sein. Wo bleibt da noch eine Perspektive für die CDU?

Meine Güte, es sind doch erst eineinhalb Jahre der Legislatur um, da ist keiner auf Brautschau! Die Wähler entscheiden 2015, wer regieren soll, und wir wissen ja, wie schnell sich die Stimmung in Hamburg drehen kann. Angesichts der schweren Fehler der SPD in Bereichen wie Bildung und Wissenschaft, aber gerade mit ihrer kalten Sozialpolitik und der Vernachlässigung der Bezirke bin ich für die Zukunft sehr zuversichtlich, dass die Hamburger „König Olaf“ bald satt haben werden.

Politik ist doch ein Wunschkonzert – was wäre Ihnen am liebsten: Rot-Schwarz, Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Gelb?

Ich finde, die CDU hat in Hamburg am besten allein regiert, diese Zeit hat der Stadt richtig Aufwind gegeben.

Wenn die CDU aktuell in Hamburg regieren würde, was wäre dann besser als es jetzt unter Rot pur ist?

Ich halte die finanzielle Schwerpunktsetzung der SPD für völlig falsch. Wegen der teuren Wahlversprechen wird jetzt massiv bei Kindern und Jugendlichen, beim Bürgerservice in den Bezirken und bei Umwelt- und Klimaschutz gekürzt, auch für die Kultur bleibt nichts übrig. Es ist zwar nett, wenn die Studiengebühren abgeschafft werden, schlecht aber für die Studenten und Hamburgs Zukunft, wenn dann nicht genügend Geld für die Qualität des Studiums und eine exzellente Wissenschaft da ist. Und wir hätten sicherlich nicht so einen selbstzufriedenen und mit absoluter Machtfülle regierenden Bürgermeister, sondern jemanden, der auf die Menschen hören würde.

Bleiben wir beim Haushalt: Warum wollen Sie die Schuldenbremse früher als verfassungsrechtlich gefordert?

Weil jedes Kind weiß, dass wir so schnell wie möglich aufhören müssen, neue Schulden zu machen, und nicht noch weitere acht Jahre, wie es die SPD will. Hamburg kann mehr, wir sind wirtschaftlich stark, haben sehr gute Einnahmen – ein früherer Schuldenstopp ist absolut möglich, würde die SPD nicht falsche Prioritäten setzen.

Aber wie wollen Sie das gegenfinanzieren? Müssten dann die Ausgaben nicht noch rascher und noch kräftiger gekürzt werden, als die SPD das schon tut?

Nein. Das Kernproblem der SPD sind die millionenschweren Versprechungen aus dem Scholz-Wahlkampf. Alleine jetzt schon über 200 Millionen Euro neue Ausgaben, weitere 200 Millionen sollen noch im Laufe der Amtszeit dazu kommen. Und dann fast eine Milliarde Euro für fragwürdige Unternehmensankäufe. Hier wäre Verzicht angesagt und nicht Angebote für Jugendliche und zur Familienförderung streichen – das trifft die Schwächsten und kostet diese Menschen Chancen für ihre Zukunft.

Und wo wollen Sie das einsparen? Mal wieder bei den Ärmsten der Armen?

Kann es sein, dass Sie da etwas verwechseln? Wir haben in Kinderbetreuung, Bildung, in die Stadtteile und Integrationsförderung investiert und es wurden 70.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, weil wir glauben, dass die wachsende Stadt Chancen und Beschäftigung für alle bringen soll. Deshalb steigen Steuereinnahmen und die Armutsquote ist während der CDU-Senate in Hamburg sogar gegen den Bundestrend gesunken. Außerdem hatten wir den Mut, konkrete – auch unpopuläre – Entscheidungen zu treffen. Olaf Scholz vermeidet klare Beschlüsse, welche Konsequenzen seine teuren Wahlversprechen haben – tatsächlich hat er für die kleinen Leute nichts übrig.

Aber Sie halten doch am Bezahl-Studium fest und lehnen kostenloses Mittagessen in der Kita als Luxus ab!

Stimmt, weil ich finde, dass Studenten von 40 Millionen Euro Steuergeldern im Jahr für bessere Qualität unserer Hochschulen mehr profitieren als von der Abschaffung der Studiengebühren, die erst fällig werden, wenn man nach dem Studium gut verdient. Und der 1-Euro-Elternbeitrag für das tägliche Mittagessen hat keinen überfordert, die Stadt zahlt jetzt aber 20 Millionen Euro im Jahr mehr – und schließt dafür Jugendtreffs und Angebote zur Familienförderung. Das halte ich für falsch und ungerecht.

SPD-Faktionschef Andreas Dressel hat angeregt, die Arbeit der Härtefallkommission transparenter zu machen. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ich weiß nicht, was er sich da konkret vorstellt. Im Endeffekt geht es immer um ganz persönliche Dinge, sodass die Betroffenen auch einen Anspruch auf den Schutz ihrer Daten haben.

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan erklärte vorige Woche im taz-Interview, der SPD fehle Menschlichkeit und deshalb mache sie eine Ausländerpolitik wie zu Schills Zeiten. Teilen Sie diesen Vorwurf?

Na ja, da spitzt der Kollege Kerstan sicherlich zu. Aber manche Entscheidung der SPD und deren Rechtfertigung war schon fragwürdig.

In zweieinhalb Jahren sind schon wieder Bürgerschaftswahlen. Ihre Prognose?

Ich bin zuversichtlich. Die Wähler geben gerne Kredit, und wenn das Ergebnis nicht überzeugt, wählen sie nächstes Mal wieder die anderen. Wir arbeiten jedenfalls hart daran, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in der CDU wieder eine inhaltlich und personell überzeugende und wählbare Alternative für die Zukunft unserer schönen Stadt haben.

Sie wollen also am liebsten regieren?

Klar, die CDU will gestalten und regieren. Wir haben in Hamburg gezeigt, dass wir das können, und nach dem langen SPD-Dornröschenschlaf seit 2001 eine Aufbruchsstimmung erzeugt, die Hamburg zu einer der attraktivsten Städte in Europa gemacht und viele Menschen angezogen hat.

Und was machen Sie persönlich am 1. März 2015? Vorfreude empfinden auf den Job des Zweiten Bürgermeisters?

Schaun mer mal.

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