Frankreich nach der Präsidentschaftswahl: Keine Schonfrist für Macron

Der neue Staatschef ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Für eine Reform der EU braucht er die deutschen Konservativen.

Drei Fahnen auf einem Hügel - die europäische, die französische und die deutsche.

Derzeit weht jede Fahne allein im Wind – können sie wieder näher zusammenrücken? Foto: imago/PPfotodesign

BERLIN taz | Emmanuel Macrons Amtszeit wird alles andere als ruhig. Der neue Präsident ist mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Die erste, und nicht die einfachste, ist die Suche nach einer stabilen Parlamentsmehrheit. Am 11. und 18. Juni sind die Franzosen erneut an die Wahlurnen gerufen, um das Unterhaus ihres Parlaments zu wählen, die Nationalversammlung.

Emmanuel Macron, dessen Bewegung “En Marche“ gerade mal ein Jahr alt ist, muss für die 577 Wahlkreise 577 Kandidaten finden, die gegen eine zerrupfte politische Klasse antreten. Die Macron-Kandidaten sollen zur Hälfte politische Neulinge sein; 50 Prozent werden Frauen.

Die Pforten von „République En Marche“, wie die Bewegung jetzt heißen wird, stehen allen offen, die die traditionelle Rechte oder Linke verlassen wollen. In beiden Lagern hat das Werben um Überläufer begonnen. Ex-Premierminister Manuel Valls, gescheiterter Vorwahlkandidat der Sozialisten, hat sich bereit erklärt, zum Zentrum zu stoßen.

Ebenso auf der Rechten Bruno Lemaire, gescheiterter Vorwahlkandidat der Republikaner – ein guter Deutschland-Kenner, der sich besten Beziehungen zu Peter Altmaier rühmt und sicherlich für Emmanuel Macron eine Kriegsbeute erster Güte darstellt.

Besseres Casting

Diese Übertritte ermöglichen Macron zugleich, sein Casting zu verbessern, und die Spaltung und damit die Schwächung der Sozialisten und der Republikaner zu vollenden. Das wird er umso mehr brauchen, als sich an den politschen Extremen Marine Le Pen und Jean Luc Mélenchon die Rolle des Oppositionsführers streitig machen.

Das Wahlergebnis vom Sonntag zeigt, wie schwer es sein wird, eine stabile Mehrheit zu bilden. Nur ein Drittel der etwa 21 Millionen Franzosen, die für den Kandidaten von En Marche stimmten, taten das aus programmatischer Überzeugung. Ein Drittel tat es, um Marine Le Pen zu verhindern, und ein Drittel mangels Alternative. Diese beiden Drittel bei den Parlamentswahlen zu behalten, wird besonders hart, zumal an den Rändern die Extreme lauern.

Selbst wenn der Front National es nicht geschafft hat, in der Stichwahl über die 40-Prozent-Marke zu kommen, hat er im Vergleich zum ersten Wahlgang drei Millionen Stimmen dazugewonnen und damit sowohl Wähler der traditionellen Rechten als auch Mélenchonisten um sich geschart. Der FN, der das Land aus dem Südosten und dem Osten anknabbert, könnte erstmals eine eigene Fraktion in der Nationalversammlung stellen, ebenso die Bewegung „La France insoumise“ von Mélenchon.

Macron will aus der Mitte heraus regieren, wie Angela Merkel. Aber sobald er beginnt zu regieren, wird die Rechts-Links-Spaltung wieder aufbrechen, analysiert der politische Think Tank Cevipof. Staatshaushalt, Steuerreform, Rentenreform – wenn man Franzosen fragt, in welchem politischen Lager sie stehen, erklären sie Rechts und Links für überholt. Aber wenn man sie fragt, was gut für Frankreich ist, taucht das Lagerdenken wieder auf. Reformen, um das Land flexibler zu machen, also Macrons Projekt? Oder Reformen für mehr soziale Gerechtigkeit, also die Projekte von Marine Le Pen oder Jean-Luc Mélenchon?

Enger Terminkalender

Es wird für Emmanuel Macron also keine Schonfrist geben. Man wird von ihm das Unmögliche verlangen, weil er ja schon einmal das Unmögliche geschafft hat, indem er zum Präsidenten gewählt wurde, obwohl ihn vor drei Jahren keiner kannte und seine Bewegung vor einem Jahr nicht existierte.

Sein Terminkalender wird eng. Er hat versprochen, das politische Leben in Frankreich zu „normalisieren“ – vor der Sommerpause. Die Etappen stehen bereits fest: Überprüfung der Staatsfinanzen umgehend nach der Amtsübernahme am Sonntag; Vorlage eines Fahrplans für jedes Ministerium mit „klaren Zielen“; Gesetzentwurf über die Moralisierung der Politik mit Verbot des Nepotismus für Parlamentarier.

Parlamentarische Ermächtigung, per Dekret regieren zu dürfen; Vereinfachung des Arbeitsrechts per Dekret; eine Parlamentsdebatte über die Verlängerung des Ausnahmezustands; eine Europa-Tour zum Vorschlagen eines Fahrplans für eine Regierung der Eurozone – eine Hyperaktivität, nach der sich niemand mehr an Nicolas Sarkozy erinnern dürfte. Vor allem, da internationale Termine im Galopp aufeinanderfolgen: EU-Gipfel in Brüssel am 25. Mai, G7-Gipfel auf Sizilien direkt hinterher, G20 in Hamburg Anfang Juli.

Harte Diskussionen erwarten den neuen Präsidenten, vor allem mit Deutschland. Sicher begrüßt Berlin den Sieg von En Marche, der für Frankreich die lang erwarteten Reformen sichtbar werden lässt. Aber die Bundesregierung weiß genau, dass Macron alles andere als ein gemütlicher Partner sein wird.

Unüberwindbare Mauer

Denn der Erfolg seiner Reformen hängt weitgehend von seiner Fähigkeit ab, die deutschen Konservativen zu überzeugen. „Die Kanzlrin wünscht seinen Erfolg und steht bereit, die politische Stabilität Frankreichs zu fördern. Sie erwartet Reformen, aber wird nichts tun, um dem neuen Präsidenten das Leben schwer zu machen“, versicherte zwar Francois Hollande nach einem letzten Vier-Augen-Dinner mit der Kanzlerin am Montag Abend im Berliner Restaurant Paris-Moskau.

Doch seit Sonntag spekulieren französische Beobachter, wie unüberwindbar die Mauer ist, auf die Macron in Berlin stoßén wird. „Angela Merkel hat große Angst vor einem Sieg Marine Le Pens gehabt, die Deutschland vollends isoliert hätte“, meint Jean-Marie Colombani, ehemaliger Chefredakteur von Le Monde. Deutschland, das nicht mehr auf das liberale Großbritannien zählen könne, brauche die deutsch-französische Achse mehr denn je, um seine diplomatische Isolation zu durchbrechen. Der Sieg Emmanuel Macrons werde schwere Zerwürfnisse zwischen den Koalitionspartnern in Berlin hervorrufen.

Emmanuel Macron will innerhalb von anderthalb Jahren einen „Reformvertrag“ für die EU vorbereiten, und er sieht für die Eurozone einen gemeinsamen Haushalt, ein gemeinsames Parlament und ein gemeinsames Finanzministerium vor. Aus Berliner Sicht kommt das einer Vergemeinschaftung der Schulden der Krisenländer gleich.

All diese Punkte stoßen bei Angela Merkel und der CDU auf Zurückhaltung, selbst wenn der französische Präsident auf die Unterstützung eines Teils der Koalitionsregierung zählen kann, also der sozialdemokratischen Minister. Siegmar Gabriel rief bereits am Sonntag die Kanzlerin auf, beim Drängen auf Haushaltsdiziplin nachzulassen. Emmanuel Macrons Sieg, sagte er, sei für Deutschland eine Verpflichtung, denn wenn er scheitere, sei in fünf Jahren Le Pen Präsidentin und Europa werde verschwinden. 0,5 Prozent Haushaltsdefizit mehr in Frankreich kämen für Deutschland billiger als die Machtergreifung des Front National.

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