Freispruch für Antifa-Aktivist in Hamburg: Ein Tierabwehrspray ist keine Waffe

Polizei und Staatsanwaltschaft klagen Verstöße gegen das Waffengesetz an, die gar keine sind. Ein Freispruch dürfte Folgen auch für die G20-Verfahren haben.

Eine alte Frau steht in einem Hauseingang in einer Türöffnung und hält eine Spaydose in der Hand

Wenn er mal wieder „nur spielen“ will, hilft Tierabwehrspray aus der Dose Foto: Steffen Schellhorn/imago

HAMBURG taz | Überziehen die Hamburger Polizei und die hanseatische Staatsanwaltschaft linke Aktivisten vorsätzlich mit Strafverfahren, um diese einzuschüchtern, obwohl der vorgeworfene Straftatbestand laut höchster Rechtsprechung gar keine Straftat ist? Dieser Verdacht drängt sich auf, wenn man das Verfahren gegen Martin F. beäugt. In diesem Fall wurde – was nicht selbstverständlich ist – selbst die damit befasste Amtsrichterin Heike Valentin nach einigen Monaten stutzig, sodass der Prozess unmittelbar vor Weihnachten mit einem Freispruch endete.

Der junge Antifaschist war am 15. April am Rande einer Demonstration gegen einen neuen Neonazi-Klamotten-Laden der Marke Thor Steinar in der Fuhlsbüttler Straße in Barmbek von Zivilfahndern der Polizei dabei beobachtet worden, als er Antifa-Spuckies klebte. Die Polizisten nahmen Martin F. alle restlichen Sticker und auch seine Antifa-Plakate ab und sagten, sie würden diese sofort vernichten. Der 30-Jährige musste seine Taschen leeren, wobei ein Tierabwehrspray sichergestellt wurde. Die Polizisten erklärten F., dass er mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen habe.

In der Tat verhängte das Amtsgericht Barmbek auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 1.200 Euro wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Waffengesetz, wogegen der Beschuldigte Widerspruch einlegte, sodass es zum Verfahren gekommen ist.

Doch am ersten Verhandlungstag verblüffte Amtsrichterin Valentin die Prozessbeteiligten. Obwohl sie den Strafbefehl selbst unterzeichnet hatte, zitierte sie aus einer bislang nicht veröffentlichten Revisionsentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, nach der Tierabwehrspray eindeutig nicht als Waffe nach dem Waffengesetz anzusehen und das Mitführen auf einer Demon­stration nicht verboten sei.

Die Richterin räumte indirekt ein, das Asservat Tierabwehrspray vor dem Strafbefehl gar nicht in Augenschein genommen zu haben. Sie habe sich „auf die Polizei verlassen, dass es eine verbotene Waffe sei“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, was sich als Fehler herausstellte.

Tierabwehrsprays fallen nicht unter das Waffengesetz

Denn seit 2008 ist laut einem Feststellungsbescheid des Bundeskriminalamts (BKA) klar, dass Tierabwehrsprays nicht unter das Waffengesetz fallen. Im jenem Fall hatten die Bundeskriminalisten ein Pfefferspray mit der Aufschrift „Pfeffer Ko Jet“ zu begutachten, das auf der Banderole nur beiläufig als Tierabwehrspray bezeichnet worden war. „Die Richterin kannte das Gutachten nicht und war beeindruckt“, berichtet F.s Verteidiger Gerrit Onken.

„Nach Paragraf 48 Waffengesetz ist ausschließlich das BKA zuständig für die Beurteilung dieser Rechtsfragen, trotzdem trägt die Staatsanwaltschaft Hamburg immer wieder ‚Gutachten‘ der Polizei Hamburg vor“, erläutert der Journalist und Waffenexperte Lars Winkelsdorf die Hamburgensie.

„Diese Gutachten sind faktisch wertlos, da von einer unzuständigen Behörde.“ Pikant sei, dass der Staatsanwaltschaft dies bekannt sei, sagt Winkelsdorf, sie das Problem aber weiterhin ignoriere, „weil sie sonst nicht anklagen könnte“.

Um das Gesicht zu wahren und diesen Knackpunkt nicht entscheiden zu müssen, hat die Richterin die Notbremse gezogen. Da die Zivilfahnder nicht belegen konnten, dass sich Martin F. überhaupt in der Demonstration aufgehalten hatte, sei für sie nicht festzustellen, ob Martin F. Versammlungsteilnehmer gewesen sei. Er müsse bereits aus diesem Grund freigesprochen werden – eine geschickte Hilfsbrücke, die auch die Staatsanwältin vor Ort nutzte und einen Freispruch beantragte.

Schon während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg ist der Verdacht der „Verfolgung Unschuldiger“ aufgekommen, als der 24-jährige Pole Stanislaw B. am 8. Juli in der Innenstadt weitab vom Demonstrationsgeschehen festgenommen wurde und sieben Wochen lang in Untersuchungshaft schmoren musste.

In seinem Rucksack hatten Polizisten polnische Knallkörper und ein Reizgassprühgerät gefunden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm daraufhin vor, gegen Versammlungs- sowie gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben. Ein Amtsgericht verurteilte ihn dafür zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

Im Januar findet der Berufungsprozess vor dem Landgericht statt. Bei der Verhandlung will der Angeklagte zeigen, dass die Hamburger Justiz keine Ahnung von Waffenrecht hat, weil sie europäisches Recht missachtete.

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