Fremdenfeindlichkeit in Griechenland: „Gestorben wird hier schnell“

Die Gewalt gegen Migranten in Griechenland nimmt stetig zu. Die Polizei rät, selbst zurückzuschlagen. Ein Bericht von „Human Rights Watch“.

Ali Kaser sagt, er sei von Mitgliedern der „Goldenen Morgenröte“ angegriffen worden. Bild: dapd

„Mir wurde klar, wie schnell man hier sterben kann. Wir kommen von so weit her und können hier einfach getötet werden“, erzählte Ali Rahimi, ein afghanischer Asylbewerber, der im September 2011 mit fünf Messerstichen niedergestreckt wurde.

Rahimi ist nur eines von vielen Gewaltopfern in Griechenland. Im Zuge der Wirtschaftskrise und zunehmender sozialer Spannungen werden Asylbewerber immer häufiger zum Ziel von blinder Fremdenfeindlichkeit. Bei den Recherchen zu unserem Bericht über xenophobe Gewalt in Griechenland sprachen wir mit Dutzenden Migranten, die in den vergangenen Monaten geschlagen, getreten, aus Bussen gezerrt oder durch die Straßen gehetzt wurden, darunter auch zwei schwangere Frauen.

Seit Anfang Mai allein meldeten die Medien sieben solcher brutalen Übergriffe. Doch viele Opfer – wie unser somalischer Übersetzer Saleh Ibrahim, dem bei einem Angriff Ende Juni die Hand gebrochen wurde – erstatten niemals Anzeige.

Judith Sunderland ist Westeuropa-Expertin und Autorin des Human-Rights-Watch-Berichts „Hate on the streets. Xenophobic Violence in Greece“.

Jan Egeland ist Europa-Direktor von Human Rights Watch mit Sitz in New York. Von 1990 bis 1997 war er Staatssekretär im norwegischen Außenministerium.

Jagd auch auf Schwangere

Rahimis Schicksal ist keinesfalls eine Ausnahme. Der Bezirk Agios Panteleimonas im Athener Stadtzentrum, wo Rahimi gemeinsam mit einer Gruppe Afghanen von einem mit Flaschen bewaffneten Mob angegriffen wurde, wird von Migranten und Asylsuchenden gemieden, seit sich dort vor einigen Jahren eine „Bürgergruppe“ gegründet hat, um die Anwohner zu schützen. Human Rights Watch hat zahlreiche gewaltsame Übergriffe in dem Viertel dokumentiert.

Das einzig Ungewöhnliche an Rahimis Geschichte ist, dass seine mutmaßlichen Angreifer verhaftet wurden. Den meisten Opfern werden beträchtliche Hindernisse in den Weg gelegt, wenn sie die Justiz einschalten wollen. So rät die Polizei oft ausdrücklich von einer Anzeige ab, mit der Begründung, diese sei aussichtslos. Stattdessen empfehlen die Ordnungshüter den Gewaltopfern, einfach zurückzuschlagen, oder sie warnen Migranten ohne gültige Aufenthaltspapiere, eine Anzeige könne sie selbst ins Gefängnis bringen.

Wer dennoch auf eine Anzeige besteht, muss eine Gebühr von 100 Euro bezahlen. Verhaftungen wie jene im Juni sind die klare Ausnahme – in der Regel bleibt die Polizei tatenlos.

Obwohl der Prozess wegen der Messerattacke auf Ali Rahimi im beschleunigten Verfahren geführt wird, wurde er bereits sechsmal vertagt und ist nun für September 2012 vorgesehen. Ob die Staatsanwaltschaft ein rassistisches Motiv für die Tat zugrunde legen wird, ist offen. Das vor vier Jahren in Griechenland eingeführte Gesetz gegen Hasskriminalität ist bislang noch nicht angewendet worden.

Enormer Migrationsdruck

Für all das kann es keine Entschuldigung geben. Es bleiben allenfalls Erklärungsversuche. Griechenland steht zweifellos unter einem enormen Migrationsdruck. Schätzungen zufolge gelangen täglich etwa 300 Migranten aus der Türkei ins Land. Obwohl die meisten von ihnen in andere europäische Staaten weiterreisen möchten, verpflichtet das EU-Recht Griechenland, die Durchreise irregulärer Migranten zu verhindern und alle Asylanträge vor Ort zu prüfen.

Da das schlecht funktionierende griechische Asylsystem der Antragsflut jedoch nicht gerecht werden kann, erleben viele Migranten Griechenland mittlerweile als „ein einziges großes Gefängnis“, wie ein sudanesischer Flüchtling treffend beschrieb.

Es kann nicht sein, dass diese Wiege der westlichen Zivilisation in eine Epoche institutionalisierter Gewalt gegen Migranten zurückfällt. Die EU sollte alles daran setzen, die grundlegenden Menschenrechte jener zu schützen, die in der Hoffnung auf eine besseres und vor allem sichereres Leben nach Europa kommen.

Der Zustrom mittelloser Migranten, die größtenteils auf der Straße leben, verändert Griechenlands Städte, allen voran Athen, in beunruhigender Weise. Im Vorfeld der jüngsten Parlamentswahlen standen die Zunahme der Kriminalität und der Verfall von Städten hoch auf der Agenda. Nationalistische und rechtsextreme Parteien wie die „Goldene Morgenröte“ konnten in den letzten Jahren an Einfluss und Popularität gewinnen, indem sie auf die migrationsfeindliche Stimmung setzen. Bei den Wahlen im Mai und Juni 2012 gelang der Partei erstmals der Einzug ins Parlament, wo sie nun über 18 Sitze verfügt.

Die Goldene Morgenröte

Es gibt Anzeichen dafür, dass Mitglieder und Sympathisanten der „Goldenen Morgenröte“ in Angriffe auf Migranten und Asylsuchende verwickelt waren, auch wenn die Partei die Übergriffe nicht selbst geplant oder durchgeführt hat. Eine wegen des Angriffs auf Ali Rahimi angeklagte Frau hatte zuvor für die „Goldene Morgenröte“ bei den Parlamentswahlen kandidiert. Anfang Juni wurden drei Parteimitglieder zu gewaltsamen Übergriffen gegen Migranten vernommen; es kam jedoch nicht zur Anklage. Mitglieder der Goldenen Morgenröte sollen auch an anderen Übergriffen beteiligt gewesen sein.

Die wirtschaftlichen Belastungen und das unfaire EU-Asylrecht nehmen Griechenland nicht aus der Verantwortung. Die neue Regierung von Antonis Samaras muss gegen fremdenfeindliche Gewalt vorgehen. Sie muss dafür sorgen, dass die Polizei verstärkt präventiv handelt und Berichte über ausländerfeindliche Gewalt sorgfältig prüft und verfolgt. Ferner muss sie den Opfer einen uneingeschränkten Zugang zu Rechtsmitteln verschaffen. Daran sollte die EU das Land immer wieder aufs Neue erinnern.

Griechenland braucht aber auch die Hilfe der Europäischen Union. Sie soll technische und finanzielle Hilfe für die griechische Polizei und Justiz zur Verfügung stellen. Und das Dubliner Übereinkommen reformieren, wonach das Land für das Asylverfahren verantwortlich ist, in dem der Flüchtling das erste Mal EU-Boden betritt. Die damit für Griechenland verbundene Belastung ist absolut unfair.

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