Frühjahrsoffensive im House-Sektor: Im Resonanzraum der Musik

Produzenten wie Helena Hauff, Hieroglyphic Being und Romare machen House mit Geschichtsbewusstsein zukunftsfähig.

Genialer Beatschmied: Afrikan Sciences alias Eric P. Douglas. Bild: Celeste Sloman/Promo

Auch nach drei Jahrzehnten ranken sich Mythen um das Dancefloorgenre House. An der Beantwortung der Frage „Wer hat die erste Houseplatte aufgenommen?“ etwa scheiden sich die DJ-Geister. House ist seine eigene Legende, seine „sonic history“ ist Teil der afroamerikanischen Geschichte.

Genau das macht den Stil interessant – für diejenigen, die seit Jahrzehnten House-Tracks produzieren, und diejenigen, die sich behutsam einem Genre annähern, das älter ist als sie. House ist eine urban legend –untrennbar verbunden mit ihren Entstehungsorten Chicago und Detroit, US-Metropolen des Mittleren Westens, die man respektvoll zitiert und dabei immer wieder fortschreibt – von Produzenten der Frühzeit ebenso wie auch von denjenigen, die sich aus heutiger Perspektive die damals entstandene Musik aneignen.

Der Brite Archie Fairhurst alias Romare ist einer von ihnen. Als Kind war er von der Plattensammlung seines Vaters fasziniert: Blues, Jazz, Folk, alles säuberlich geordnet. An der Uni beschäftigte sich der Elektronikproduzent aus Südlondon dann mit afroamerikanischer Kulturgeschichte und schrieb eine Abschlussarbeit über Miles Davis. Sein Alias hat er sich vom Künstler Romare Bearden entliehen, der das afroamerikanische Leben im New York der Bürgerrechtsära in Collagen festgehalten hat. Und seine Musik?

Die klingt, wie man es sich bei diesen Einflüssen vorstellt. Auf seinem Debütalbum „Projections“ sampelt Romare aus und für den Resonanzraum der Geschichte. Auf „Work Song“ erinnert er an die Lieder, die von Sklaven auf den Plantagen oder von Häftlingen bei der Strafarbeit a cappella im Call-and-Response-Modus gesungen wurden. Romare nimmt diesen Modus auf, moduliert seine Samples und legt einen Gesangsfetzen von Nina Simones „Work Song“ darüber.

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Nina Simone arbeitet

„I’m working“, singt sie, wieder und wieder. Schließlich war Singen genau Simones Arbeit. Mit dem Sampling einer einfachen Phrase entwirft Romare ein Geschichtsbild, in denen die Nachfahren der Sklaven zwar singen dürfen, es aber noch einige Jahrzehnte dauern würde, bis sie Astronauten und Präsidenten sein können. Romares Resonanzraum ist zwar geschichtsbewusst, aber zum Glück nicht belehrend. Man kann „Projections“ zuhören, dazu tanzen, whatever.

Nur die Gegenwart darf man hier nicht suchen, denn die Housespielarten vor seiner Londoner Haustür von 2Step bis zu Deep Tech hallen in Romares Musik nicht nach. Dabei besteht kein Widerspruch zwischen einem historisch abstrakten Wissen über Genres und Motive – wie es Romare beweisen will – und der Körperlichkeit eines House-DJ-Sets.

Ein dritter Körper

Schon die ersten, zirka Mitte der Achtziger erschienenen Houseplatten, übertrugen das Körperwissen von Disco mit Hilfe von Sampler, Drummachine und Synthesizer auf einen neuen dritten Körper. Der New Yorker Afrikan Sciences (bürgerlich Eric Porter Douglas) wurde damals DJ, weil er am Aufbrechen von Rhythmen interessiert war. Gerade ist sein drittes Album „Circuitous“ erschienen, und auch hier ist House wieder zunächst ein Resonanzraum für Musikgeschichte. Aber Afrikan Sciences begreift die ungeschriebenen Gesetze des Genres weniger als Blaupause denn als Laboratorium. Auf „Transient Authority“ spielt er mit einem klassischen HipHop-Beat, dessen Bass die Fundamente immer weiter verschiebt, bis daraus schließlich ein schlurfender Paartanz wird.

Afrikan Sciences improvisiert auf „Circuitous“ wie ein Jazzmusiker, dessen Gegenüber die Maschinen sind. Er studiert ihre Eigentümlichkeiten und seziert ihre Parameter, sodass er schließlich mit nur wenigen Modifikationen spontan einen wohlgeordneten Rhythmus mit einer wabernd-kosmischen Melodie kreuzen kann.

Dialog mit HipHop

Dabei übt sich seine Musik in Zurückhaltung; die Maschinen, und damit letztlich ja auch ihre Produktmanager, übernehmen nicht die Kontrolle, sondern bleiben Werkzeug. So gelingt Afrikan Sciences ein Kunstgriff: Der Abstraktionsgrad seiner Musik steht derjenigen von Elektronikproduzenten wie dem britischen Duo Autechre in nichts nach, aber seine Abstraktion entspringt nicht einem Bedürfnis nach Versinken im Sequencer, sondern zuerst einem Dialog mit HipHop, Funk, Afrobeat oder Jazz.

Afrikan Sciences ist nur einer der Produzenten, der House als Mittel für eine Fortschreibung von Jazz nutzt. Ein anderer ist Jamal Moss aus Chicago. Als Produzent nennt Moss sich Hieroglyphic Being – ein Name mit Geschichte. Schon Jazzpionier Sun Ra bediente sich im alten Ägypten für seine Privatmythologie. Und spielt Hieroglyphic Being nicht einen Midi-Controller, der wie ein Blasinstrument gespielt wird – ähnlich wie das elektronische Saxofon von Marshall Allen, dem jetzigen Bandleader des Sun Ra Arkestras?

Hieroglyphic Being geht jedoch die unterkühlte Seite des Afrofuturismus ab, stattdessen bedient er sich seiner technisch unbedarften Psychedelic. Auf „The Seer of Cosmic Visions“ moduliert Moss seine Synthesizer weit außerhalb der Taktvorgabe, aber niemals so entspannt, dass man ihn des wohltemperierten Eskapismus beschuldigen könnte. Stattdessen improvisiert er seine Tracks in seinem winzigen Studio in langen Sessions.

Hieroglyphic Being. Bild: Sasha Hodges / Promo

Wie eine Block Party

Sie klingen roh, sind nur grob abgemischt, ihnen fehlt der millisekundengenaue Effekteinsatz moderner Musiksoftware. Die Improvisation ist dabei die große Konstante in der Musik von Jamal Moss und seinen vielen Pseudonymen. Ähnlich wie auf einer Block Party hört man in seinen Stücken immer die großartige Musikgeschichte Chicagos: Free Jazz, Industrial vom WaxTrax-Label, Juke und natürlich früher House. Moss besitzt sogar die alte Drummachine von Steve Pointdexter, einem Housepionier, der Moss früh gefördert hat.

In dieser Geste wird die Prekarität sichtbar, die sich durch die Geschichte von House und seinen Subgenres zieht – man unterstützt sich, weil es notwendig ist, um Musik machen zu können. Diese Improvisationsfähigkeit ist es, die House seit Jahrzehnten für Künstler interessant macht, die keine Lust haben, sich entlang der Imperative neu zu erfinden, die gerade als Schlüsselqualifikation gehandelt werden. Dass afroamerikanische Musik dabei im Mittelpunkt steht, ist fast schon gute Tradition.

An der Schnittstelle von Noise und Dance

Auch die kunstaffinen Tracks an der Schnittstelle von Noise, Experiment und Dance, die in den letzten Jahren auf Labels wie L.I.E.S. (New York) oder The Trilogy Tapes (London) erschienen sind, haben House als ihre Grundlage, wenngleich auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Hamburger Produzentin und DJ Helena Hauff etwa hat ein Faible für sämtliche elektronischen Spielarten der Achtziger zwischen belgischem New Beat, Detroit Techno und Chicago House. Auf ihrer neuen EP „Lex Tertia“ wird der prekäre Minimalismus früher Housetracks zur dystopischen Elektrohymne.

Wie jede Hipster-Aneignung der Popgeschichte steckt auch Hauffs Musik voller Nostalgie, aber sie ist intelligent genug, mit Reverb und Hall genügend Distanz zwischen sich und der Geschichte zu schaffen. Im Video zu ihrem Track „The First Time He Thought He Died“ verwendet Hauff grobkörnige VHS-Aufnahmen eines kenternden Schiffs, sodass selbst die Assoziation mit Mittelmeerflüchtlingen noch durch ein Bewusstsein der eigenen Privilegien gefiltert ist.

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Diese hört man im Klang von Hauffs Musik, die auf analogem Vintage-Equipment ohne Computer produziert wird. Ob mit altem Equipment oder Software – der Signatursound der Housespielarten aller hier versammelten Produzenten ist unfertig und intim und wirkt wie eine Antithese zu den großen Dancefestivals, dem millionenschweren DJ-Zirkus der Mixmag-Top-100.

DJ Helena Hauff. Bild: Promo

Von New York nach Berlin

Der US-Produzent und DJ Anthony Naples beginnt sein Debütalbum „Body Pill“ dann auch erst mal mit einem zweiminütigen Gitarrenfeedback, bevor er einen aus alten Soulsongs zusammengesampelten Houserhythmus in den Vordergrund fadet. Naples ist vor einiger Zeit aus New York nach Berlin gezogen, weil die Clubs der Stadt mittlerweile so teuer sind, dass es selbst für einen gefeierten Produzenten schwierig wird, dort auszugehen. Dabei hat Naples vor einiger Zeit gemeinsam mit Produzenten wie Ron Morelli dafür gesorgt, dass New York auf der zeitgenössischen Houselandkarte überhaupt wieder eine Rolle spielt.

„Outsider House“ war damals der etwas unglückliche Oberbegriff für diesen losen Verbund von House-Afficionados. Dabei müsste man bei „Body Pill“ eigentlich von Folk sprechen: Musik, die mit einem Kontinuum kommuniziert und trotzdem eine eigene Geschichte erzählt. Naples’ Sound changiert zwischen krautigen Synth-Flächen und jackenden Beats, mal übersteuert er die Bassdrum, dann wieder lässt er dezent einen Rimshot aufblitzen.

So wird aus der funktionalen Dancemusik House etwas, das der US-amerikanische Bürgerrechtler W. E. B. DuBois einst als „the souls of folk“ bezeichnet hat – egal ob black oder white.

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