Für Karnivore und Veganer: Genfleisch aus der Petrischale?

zeozwei-Kulinarikexperte Jörn Kabisch beantwortet Fragen zum politisch und kulinarisch guten Essen.

In der Petrischale gezogenes Schweinefleisch Bild: Michael Kooren

Gen-Fleisch oder Kulturfleisch, also künstliches Fleisch ist in der Techie-Szene derzeit ungefähr so aufregend wie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Und mit ganz ähnlichen Fantasien verbunden: Lässt sich Fleisch bald ganz nach Bedarf im häuslichen Bioreaktor herstellen und anschließend im 3D-Drucker in Form bringen? Das israelische Start-up „Supermeat“ hat mit dieser Idee eben per Crowdfunding doppelt so viel Geld eingesammelt als gewollt. Es will erst mal „Cultured Meat“ – was für ein cooler Begriff – aus Hühnchen züchten.

Doch bis zum 3D-Drucker ist es noch weit. 2013 haben holländische Forscher eine Handvoll Menschen eingeladen, dieses Kulturfleisch aus der Petrischale zu probieren. Darunter auch Hanni Rützler, die ich für die zeozwei interviewt habe (Ausgabe 1/2016). Es war kein Steak, sondern eine In-vitro-Bulette. Eine dreidimensionale Struktur aus den gezüchteten Fleischzellen herzustellen, stellt die Wissenschaft noch vor Probleme. Es war das teuerste Stück Lebensmittel, das ihr jemals über die Lippen kam, sagte Rützler mir. Geschmeckt habe es, doch, nach Fleisch.

Ein ziemlich einfacher Bauplan

Ganz ähnlich zur Debatte um die künstliche Intelligenz gibt es auch viele Sorgen. Was für ein Lebensmittel kann Laborfleisch überhaupt sein? Wir haben davon noch eine sehr simple Einschätzung: Vitamine, Fette, Nährstoffe, Ballaststoffe, Spurenelemente, das ist, was sie aus Ernährungssicht enthalten – ein ziemlich einfacher Bauplan, der schon seit ungefähr Justus Liebigs Zeiten Mitte des 19. Jahrhunderts existiert und den die Lebensmittelindustrie aufrecht erhält.

Auch Rob Rhinehart, Software-Entwickler und Erfinder von Soylent, einer im Silicon Valley populären Astronautennahrung, hält sich genau an das Modell. Er musste sein Produkt in diesem Jahr zurückrufen, weil es zu vielen Menschen auf den Magen schlug.

Microorganismen, die wir uns einverleiben

Was so alles in unseren Lebensmitteln steckt, davon haben wir nur eine ungefähre Ahnung, und noch weniger, was sie mit uns machen. Da sind zum einen die ganzen Mikroorganismen, die wir uns mit einverleiben, wenn wir Käse, Joghurt oder andere fermentierte Produkte essen. Wie sehr sie auf den Stoffwechel und Darm wirken? Die Wissenschaft fängt gerade erst an, sich darüber ein ungefähres Bild zu machen. Genauso ist es bei Enzymen und Hormonen, die Lebensmittel ebenfalls enthalten.

Ein Beispiel: Wir wissen inzwischen auch, dass Fett von Rindern, die frei herumlaufen, alt werden dürfen und mit Gras und nicht mit Soja aufwachsen, besser ist, als das in Fleisch aus Massentierhaltung. Obwohl es gesättigte Fettsäuren sind, was ganz Ähnliches wie die bösen Transfette in Pommes und Chips, schätzen Forscher sie als viel gesünder ein.

Vorteile für Veganer

Künstliches Fleisch hat einige Vorteile. Es räumt die ethischen Vorbehalte von Veganern aus. Denn die haben nichts gegen Fleisch, sie haben etwas gegen das Leid, das Tieren zugefügt wird, wenn der Mensch ihnen die Freiheit nimmt – nicht nur in der Massentierhaltung. Außerdem bestehen bei Fleisch einige klimapolitische Sorgen, vor allem, wenn der Verbrauch wächst wie bisher. Bis 2050 soll er sich global annähernd verdoppeln.

Gut ist: In der Petrischale wird kein für die Atmosphäre schädliches Methan entstehen. Allerdings: Wie ressourcenintensiv die Herstellung von Analog-Fleisch sein wird, ist eine offene Frage. Im Wesentlichen werden im Labor Fleischzellen vervielfacht, ganz ähnlich zur Stammzellen-Herstellung.

Dass wir uns überhaupt einer solche Vision hingeben, zeigt, wie wenig wir inzwischen über dieses wichtige Lebensmittel wissen. Wie sehr es als billige Massennahrung unsere Kultur schon bestimmt. Aber es ist so: Wer Fleisch erhalten will, muss weit radikaler denken.

Cultured meat folgt einem eskapistischen Drang, so wie Lebensraum auf dem Mars oder irgendeinem anderen Planeten zu finden, falls die Erde keine wirtlichen Verhältnisse mehr hergibt. Aber ist es wirklich schon so spät, dass wir uns keine Gedanken mehr machen sollen, wie die Erde – und auch Millionen Quadratkilometer Grasland, das ohne Weidetiere total verödete – wieder wirtlicher wird?

JÖRN KABISCH ist kulinarischer Experte von zeozwei und beantwortet gern auch Ihre Frage. Schreiben Sie an: leserbriefe@zeozwei.de oder diskutieren Sie die aktuelle Frage auf unserer Facebook-Seite.

Lesen Sie dazu auch das zeozwei-Gespräch mit Richard David Precht in der aktuellen Ausgabe von zeozwei: „Die Massentierhaltung wird durch Kulturfleisch abgeschafft“.