Fukushima-Folgen heruntergespielt: Atomlobby verfasst WHO-Gutachten

„Gefährliche Verharmlosung“ ist nur ein Vorwurf, den eine Ärzteorganisation der WHO macht. Deren Fukushima-Bericht sei weder unabhängig, noch wissenschaftlich.

Strahlend schön: AKW Fukushima Dai-ichi. Bild: dapd

GENF taz | Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima war längst nicht so unabhängig, wie es schien. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW.

Im Gegenteil: Die 30 AutorInnen des WHO-Berichts arbeiteten sämtlich für die atomenergiefreundliche Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien oder für regierungsabhängige nationale Nuklearkommissionen und Strahlenschutzbehörden. Aus Deutschland gehörten Florian Gering und Brigitte Gerich vom Bundesamt für Strahlenschutz zu den AutorInnen des Berichtes.

Die „vorläufige Dosiseinschätzung“ über die radioaktive Strahlenbelastung der japanischen Bevölkerung in einer detaillierten Analyse sei unwissenschaftlich und eine gefährliche Verharmlosung des Problems, so die Kritik der Ärzteorganisation. Die WHO müsse ihre „medizinische Forschung über die Gesundheitsfolgen der atomaren Katastrophe von Fukushima erheblich ausweiten“. Das fordert die IPPNW nun in einem Schreiben an WHO-Generaldirektorin Margaret Chan, das der taz vorliegt.

In dem Brief plädieren die Ärzte für die Durchführung „unabhängiger epidemiologischer Studien sowie die baldige Einrichtung eines umfassenden Registers, im dem alle Menschen erfasst werden, die aufgrund der Katastrophe von Fukushima vermutlich mehr als ein Millisievert (mSv) Strahlung pro Jahr durch unterschiedliche Quellen ausgesetzt waren“.

Keine Schilddrüsenkrebs-Prävention

Die WHO hingegen hatte in ihrem Bericht die von japanischen Behörden gemessenen Strahlenbelastungen von 1–50 mSv als „sehr gering“ bezeichnet. Sie lägen unterhalb der als bedenklich geltenden Grenzwerte. Eine internationale Delegation der IPPNW hatte Ende August bei einem Besuch der Präfektur Fukushima immer noch Strahlenwerte von bis zu 43 mSv pro Stunde gemessen. Jodtabletten zur Verhinderung von Schilddrüsenkrebs wurden in den betroffenen Regionen nicht verteilt.

IPPNW fordert die WHO zudem auf, künftige Untersuchungen „nicht auf das Schilddrüsen-Screening von Kindern zu begrenzen“. Sondern es müssten auch Fehlbildungen, Tot- und Fehlgeburten sowie alle anderen Erkrankungen erfasst werden, die nach der Tschernobylkatastrophe von 1986 auftraten.

Mehr verschwiegen als veröffentlicht

In der von Axel Rosen, Kinderarzt an der Universitätsklinik Düsseldorf, verfassten IPPNW-Analyse des WHO-Berichts heißt es: „Von all den klaren Erkenntnissen zur Strahlenexposition, zu Dosisschätzungen und möglichen gesundheitlichen Folgen der Nuklearkatastrophe von Fukushima wird im WHO-Bericht mehr verschwiegen als tatsächlich veröffentlicht.“

Einige der Annahmen des Expertengremiums seien „fragwürdig, wenn nicht sogar schlichtweg falsch“. Der Bericht lese sich „wie ein Versuch, die Folgen der Katastrophe von Fukushima herunterzuspielen, und nicht wie ein sinnvoller wissenschaftlicher Ansatz, die Strahlenbelastung der Bevölkerung zu ermitteln“.

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