Gastkommentar Reformationstag: Bleibt bloß weg mit Luther!

Ein neuer Feiertag wird kommen. Er sollte aber nicht Martin Luther, sondern der Erinnerung an Auschwitz gewidmet sein.

Statue von Martin Luther

Eines Feiertags unwürdig: Antisemit Martin Luther, hier sein Denkmal in Hannover Foto: Holger Hollemann

HAMBURG taz | Eine ganz große Groko bahnt sich an: Der 31. Oktober soll in den norddeutschen Bundesländern staatlicher Feiertag werden. Die CDU in Hamburg hat es angeschoben, der SPD-Bürgermeister hat es aufgegriffen und mit seinen Kollegen verabredet, die evangelische Kirchenspitze findet es auch gut, die Gewerkschaften werden die Chance auf einen arbeitsfreien Tag nutzen und sich anschließen, wenn auch ob des kirchlichen Themas mit leisem Zähneknirschen.

Die muslimischen Verbände haben derzeit genug Ärger und werden eher stille sein. Und die jüdische Gemeinde? Hat kritische Fragen gestellt. Die werden aber getrost überhört. Wie immer, wenn es um gravierende politische Entscheidungen geht.

Trotz der üblichen Ankündigung einer breiteren Debatte soll die Entscheidung über den neuen Feiertag in Hamburg noch im Februar getroffen werden. Die kurze Frist soll verhindern, dass die ganz große Groko sich noch zerstreiten kann. Dafür dürfen die Abgeordneten ausnahmsweise ihrem Gewissen folgen, das bekanntlich nicht frei ist von den Erwartungen der Partei oder Institution, der man seine Position verdankt.

Als – eher aussichtslose – Alternativen zum Reformationstag sind noch einige andere Anlässe im Gespräch, wie zum Beispiel der 23. Mai als Tag des Grundgesetzes (bei Google allerdings erheblich weniger abgerufen als der „Tag der offenen Tür“).

Also wird es wohl darauf hinauslaufen, dass der Reformationstag zum staatlichen Feiertag wird. Damit wird symbolisch und real eine Aussage über das gegenwärtige Selbstverständnis unserer Gesellschaft getroffen: Was ist ihr wichtig und konstitutiv, und woran soll und will sie einmal im Jahr erinnert werden? Was kann für alle hier im Land lebenden Menschen auf Dauer zu einer verbindenden und verbindlichen Aufforderung werden?

Luther hat die Judenverfolgung theologisch „geadelt“

Der Reformationstag am 31. Oktober ist dafür nicht geeignet und nicht angemessen. Er wäre nach den sechs schon üblichen kirchlich-christlich definierten Feiertagen (1. und 2. Weihnachtstag, Karfreitag, Ostermontag, Himmelfahrt und Pfingstmontag) ein Affront gegen die muslimischen und jüdischen Gemeinschaften und gegen die große Zahl derer, die keiner der drei Religionen zugehörig sein wollen.

Er würde in unserer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft den überholten Dominanzanspruch einer (protestantischen) Kirche wiederbeleben.

Und dann noch Martin Luther! Der deutsche Held mit seinem angeblichen Thesenanschlag in Wittenberg am 31. Oktober 1517. Das Argument, durch ihn wäre eine die deutsche Geschichte umwälzende Bewegung in Gang gesetzt worden, verdrängt dabei für diese Geschichte Wesentliches: Martin Luther hat die schon vorhandene Judenverfolgung verstärkt und theologisch „geadelt“. Auch darum konnten sich die lutherischen Kirchen bei ihrer Mitwirkung an dem antijüdischen Terror des „Dritten Reichs“ auf ihn berufen.

Martin Luther hat mit seinem Furor gegen die Aufstände der Bauern eine jede staatliche Gewalt legitimierende Tradition bestärkt und etabliert.

Mit seinen Hasstiraden gegen die Türken hat er ein bis heute fortbestehendes antimuslimisches Ressentiment befeuert. Das alles kann nicht relativiert werden als „Schattenseiten“ einer Lichtgestalt. Aber es wäre durchaus sinnvoll, das zu erinnern gerade in den gegenwärtigen Entwicklungen.

Der 27. Januar wäre ein würdiger Feiertag

Antisemitismus, rassistische Islamophobie und Nationalismus erstarken, in den deutschen Parlamenten ebenso wie in den Angriffen auf die schon unter der NSDAP-Herrschaft ausgegrenzten und verfolgten Menschen.

Am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee 1945, wird seit Langem an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. 1996 wurde dieser Tag durch Proklamation des damaligen Bundespräsidenten Herzog als staatlicher Gedenktag eingeführt.

Aber es war eine halbherzige Entscheidung, denn man verweigerte dem Gedenken die Etablierung eines (arbeitsfreien) Feiertages und damit die Gleichstellung mit den anderen Feiertagen. Für die Opfer des deutschen Faschismus ein Gedenken 2. Klasse. So wurde es auch betrieben, wie zuletzt am großen Presseball in Hamburg, den man, angeblich „die Sensibilität für dieses Thema“ unterschätzend, ausgerechnet am 27. Januar ausgelassen feierte. An einem Karfreitag hätte man das nicht gewagt.

Es ist also an der Zeit, den 27. Januar mit einem staatlichen Feiertag zu würdigen. Da gibt es dann nichts zu feiern, aber zum Denken. Die lutherischen Kirchen könnten diesen Feiertag als Buß- und Bettag gestalten.

Bruch jeglicher Humanität

Vor allem aber ist die Erinnerung an die Opfer der Nazi-Herrschaft und an den mit Auschwitz vollzogenen Bruch jeglicher Humanität eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und notwendige Herausforderung für alle in diesem Land lebenden Menschen, unabhängig von Religion und Status.

Die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft haben die Chance, ihrem Gewissen zu folgen und die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen Auschwitz verbindlich zu machen. Ob sie das tun werden?

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Ulrich Hentschel, 67, war lange Jahre Pastor in Altona und in der Friedensbewegung aktiv; zuletzt war er Studienleiter der Evangelischen Akademie der Nordkirche.

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