Gastkommentar zum Volksentscheid: Aus Tegel lernen

Als Konsequenz aus dem Volksentscheid fordert der demokratiepolitische Sprecher der Linken ein Umdenken bei der Finanzierung. Ein Gastkommentar.

Der FDP habe ihre Kampagne für den Volksentscheid nichts genützt, sagt Michael Efler Foto: dpa

Mitte September bei einem Infostand in der Wilmersdorfer Straße: Ich diskutiere mit einem Bürger über den Volksentscheid Tegel und versuche ihn von einem NEIN zu überzeugen. Ein langes Gespräch über Kapazitätsengpässe, Single-Airport-Städte und BER-Chaos entsteht, und ich wundere mich selbst, wie viel mein Gesprächspartner und mittlerweile auch ich über Berliner Luftverkehrspolitik wissen. Auch ausverkaufte Säle wie in der Urania und eine intensive Medienberichterstattung zeigen, dass dieser Volksentscheid eine breite Debatte in der Stadt ausgelöst hat.

Warum es nun eine Mehrheit für den Volksentscheid gab, wird noch in Ruhe zu analysieren sein. Der Zusammenhang mit den Problemen um den BER ist jedenfalls offensichtlich. Bei vielen Bürgern hat sich festgesetzt, dass der BER zu klein geplant sei. Daran konnten auch die Ausbaupläne der Flughafengesellschaft nichts mehr ändern. Und es war nicht hilfreich, dass es auch dem neuen Flughafenchef trotz anders lautender Ankündigungen nicht gelungen ist, einen Termin für die Inbetriebnahme zu nennen. Auch das fehlende Nachtflugverbot am BER dürfte einige Bürger im Südosten dazu bewogen haben, mit Ja zu stimmen.

Wie schon beim Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof im Jahre 2008 (der allerdings am Zustimmungsquorum scheiterte) hat sich also nun wieder eine Mehrheit der Abstimmenden für die Offenhaltung eines Flughafens ausgesprochen. Dies ist in einer durch direkte Demokratie ergänzten repräsentativen Demokratie ein völlig undramatischer Vorgang. Es war eine Entscheidung über ein konkretes Sachthema, und es war keine Abrechnung mit Rot-Rot-Grün.

Dies lässt sich auch durch Zahlen belegen. Während sich beim Volksentscheid 56,1% für die Offenhaltung Tegels und 41,7% dagegen aussprachen, liegen SPD, Linke und Grüne bei der Bundestagswahl in Berlin trotz Verlusten mit 49,3% deutlich vor der Opposition mit 43,6%. Und falls es bei der FDP das Kalkül gab, den Volksentscheid als Vehikel zur Gewinnung von Stimmen bei der Bundestagswahl zu nutzen, so ist es nicht aufgegangen. Ihr Berliner Wahlergebnis blieb auch dieses Mal unter dem Gesamtergebnis der Bundestagswahl und auch der Zuwachs war nur leicht überdurchschnittlich.

Schwierig an diesem Volksentscheid waren vor allem zwei Aspekte: zum einen die geradezu unverschämte Unterstützung des Dumpingfliegers Ryan­air. Erst beauftragte der am Erhalt von Tegel ökonomisch interessierte Konzern ein Gutachten, das mit völlig unrealistischen Annahmen zum Wachstum des Flugverkehrs operierte und fröhlich von FDP und AfD herumgereicht wurde. Dazu kam die Posse um die Aufstellung von über 100 Großplakaten, die durch Ryanair gesponsert wurden. Bände spricht auch, dass die Initiative die Plakatspende durch Ryanair erst nach zweimaligem Anmahnen durch die Landesabstimmungsleiterin und erst wenige Tage vor der Abstimmung deklariert hat. Allerdings spricht wenig dafür, dass diese Unterstützung einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis hatte.

Zweitens ist es natürlich ein Problem, wenn über eine nicht verbindliche Vorlage abgestimmt wird, die – wenn überhaupt – nur mit größten Mühen und Risiken umgesetzt werden kann. Die Initiative hat hier wenig zur Aufklärung beigetragen, teilweise sogar suggeriert, Tegel wäre in jedem Fall gerettet, wenn es ein Ja beim Entscheid gibt. Es stellt sich die Frage, ob der damalige Senat überhaupt eine ernsthafte Zulässigkeitsprüfung des Volksbegehrens, zu der er verpflichtet gewesen wäre, durchgeführt hat.

Und wie soll es jetzt mit Tegel weitergehen? Klar ist, dass das Ergebnis des Volksentscheids zu akzeptieren und zu respektieren ist. Allerdings ist unstrittig, dass Berlin eine Offenhaltung Tegels nur mit der Zustimmung Brandenburgs und des Bundes erreichen könnte. Und dann ist hochgradig ungewiss, ob die ganze Kaskade von nötigen weiteren Verwaltungs- und Planungsentscheidungen in einem überschaubaren Zeitraum zu einem bestandskräftigen Ergebnis führen würde. Von daher wäre es demokratiepolitisch die sauberste Lösung, wenn der Senat zunächst das Gespräch mit Brandenburg und dem Bund sucht. Bei Bereitschaft der beiden Partner müsste dann eine erneute juristische Prüfung der Möglichkeiten der Offenhaltung erfolgen.

Es stellt sich die Frage, ob der damalige Senat überhaupt eine ernsthafte Zulässigkeitsprüfung des Volksbegehrens, zu der er verpflichtet gewesen wäre, durchgeführt hat.

Auch Parteien dürfen Initiatoren sein

Was bedeutet dieser Volksentscheid nun für die direkte Demokratie in Berlin? Ist sie beschädigt, sollte sie eingeschränkt oder gar von ihr Abstand genommen? Selbstverständlich nicht. Denn auch ein aus linker Perspektive verlorener Volksentscheid ändert nichts daran, dass die Bürgerinnen und Bürger auch zwischen Wahlen in Sachfragen mitentscheiden und der Politik keinen Blankoscheck ausstellen wollen. Durch Volksbegehren und Volksentscheide kommen Fragen auf die Tagesordnung, die von der Politik nicht gesehen werden. Volksentscheide zeigen, wo den Menschen der Schuh drückt.

R2G hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die direkte Demokratie weiter zu entwickeln und zu stärken. Es gilt, die Erfahrungen mit Volksbegehren und Volksentscheiden der letzten Jahre auszuwerten, Hemmnisse abzubauen und zum Beispiel durch ein Anhörungs- und Nachbesserungsrecht für eine bessere Verschränkung von direkter und parlamentarischer Demokratie zu sorgen.

Selbstverständlich ist auch der Volksentscheid Tegel auszuwerten. Dies sollte aber in Ruhe und nicht in Form von unüberlegten Schnellschüssen geschehen. So wäre es zum Beispiel ein Fehler, Parteien in Zukunft die Trägerschaft von Volksbegehren zu untersagen. Dies wäre schon rechtlich nicht mit der durch das Grundgesetz festgelegten besonderen Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung vereinbar. Es ist aber auch legitim, wenn gerade Oppositionsparteien, deren parlamentarische Anträge in der Regel von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt werden, Volksbegehren ­initiieren.

Wann immer möglich: Mit Gesetzentwurf

Ein anderer Vorschlag hat demgegenüber deutlich mehr Substanz. Volksentscheide sollten zukünftig nur noch über Gesetzentwürfe stattfinden, damit es keine Schwierigkeiten mehr mit der Verbindlichkeit und Umsetzung von Volksentscheiden gibt. Dies ist einerseits absolut nachvollziehbar, andererseits hat auch dieser Vorschlag seine Tücken, da sich bei Weitem nicht alle für Berlin wichtigen politischen Fragen per Gesetz regeln lassen. Zum Beispiel wäre dann auch kein Volksentscheid in Berlin über die Einführung eines Nachtflugverbots möglich, weil dies wie bei Tegel im Rahmen der gemeinsamen Landesplanung zwischen Berlin und Brandenburg eingeführt werden müsste. Auch eine Aufforderung an den Senat, eine bestimmte Bundesratsinitiative (etwa zur Einführung einer CO2-Steuer oder zur Absenkung der Modernisierungsumlage) einzubringen, wäre dann nicht mehr möglich. Klar ist aber: Jede Initiative, die einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen kann, sollte dies auch unbedingt tun.

Last but not least sollten in jedem Fall die Regelungen zur Finanzierung von Volksbegehren überprüft werden. Schon der Anschein einer Beeinflussung politischer Entscheidungen durch wirtschaftliche Interessen schadet der direkten – allerdings auch der repräsentativen – Demokratie. Es sollte somit überlegt werden, ob die Offenlegungsbestimmungen für Spenden im Zusammenhang mit Volksbegehren und Volksentscheiden geschärft werden müssen.

Im Gegenzug ist auch eine begrenzte öffentliche Kostenerstattung für die Initiatoren von Volksentscheiden zu erwägen. Denn nur die wenigsten Initiativen können auf die Unterstützung durch Großspender oder Unternehmen zählen.

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