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Gedenken an deutschen KolonialismusEin Arbeitsauftrag an die Politik

Zivilgesellschaft übergibt Erinnerungskonzept Kolonialismus an Kultursenatorin. Die freut sich, aber Geld zur Umsetzung der Forderungen hat sie nicht.

In Windhuk/Namibia gibt es bereits ein Denkmal zur Erinnerung an den deutschen Völkermord an den Herero und Nama Foto: Jürgen Bätz/dpa

Berlin taz | Berlin soll einen zentralen Lern- und Erinnerungsort zum Thema Kolonialismus erhalten und eine „dezentrale Erinnerungslandschaft“, die „bedeutende kolonialhistorische Räume“ markiert und diese „im Stadtraum sichtbar/begehbar“ werden lässt. Dafür sollen dauerhafte Strukturen etabliert werden. Dies sind die zentralen Forderungen im gesamtstädtischen Erinnerungskonzepts „Kolonialismus erinnern“, das der Leiter des Projekts, Ibou Diop, am Montag Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) übergeben hat.

Bereits 2019 hatte das Abgeordnetenhaus beschlossen, dass Berlin ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept Kolonialismus braucht - und den Senat beauftragt, ein solches erarbeiten zu lassen. „Berlin übernimmt Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit“, beschlossen die Politiker*innen damals – so steht es nun auch auf dem Titel des Konzepts.

„Mein Dank geht an die Zivilgesellschaft für die Erarbeitung des Erinnerungskonzepts. Wir in der Politik haben nun die Verantwortung und Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dieser Prozess weiter vorangebracht werden kann – für unsere Stadt und für die kommenden Generationen“, sagt Wedl-Wilson der taz. Es gehe nicht allein um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern darum, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.

Auch Ibou Diop, der das Projekt am Stadtmuseum Berlin geleitet hat, zeigt sich zufrieden: „Das Erinnerungskonzept Kolonialismus ist in dieser Form beispielgebend, weil es ein Arbeitsauftrag von der Zivilgesellschaft für die Politik ist – und weil es im Gegensatz zum Gedenkstättenkonzept des Bundes auch das Gedenken an die Verbrechen des Kolonialismus in den Fokus nimmt.“ Diop spielt damit auf die Pläne von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) an, der den Kolonialismus aus dem Gedenkstättenkonzept des Bundes streichen will.

Kolonialismus wirkt bis heute

Literaturwissenschaftler Diop hat das Erinnerungskonzept zunächst in einem zweijährigen Prozess in Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen Dekoloniale, Decolonize Berlin, ADEFRA, Korea Verband, korientation und Afrika-Rat erarbeitet. Das Ergebnis ist umfangreich. Es fasst nicht allein die Forderungen der Zivilgesellschaft zusammen, sondern begründet zunächst die Notwendigkeit des Konzepts und gibt einen Überblick darüber, was die Autor*innen unter dem deutschen Kolonialismus verstehen: Nämlich nicht nur die „Zeit der formalen deutschen Kolonialherrschaften auf dem afrikanischen Kontinent, in Asien und im Pazifik“, sondern auch deren Nachwirkungen bis heute.

Als mögliche Orte für den zentralen Lern- und Erinnerungsort werden der Standort des ehemaligen Deutschen Kolonialmuseums an der Moltke-Brücke, der Ort des ehemaligen sogenannten Königlichen Museums für Völkerkunde in Kreuzberg, sowie das Areal rund um den Karpfenteich im Treptower Park, an dem die sogenannte  „Völkerschau“ der Ersten Deutschen Kolonialausstellung im Sommer 1896 stattfand, ins Spiel gebracht.

Das Konzept betont die weitere Zusammenarbeit mit den Communities und Zivilgesellschaften. Neben der Wissensvermittlung im öffentlichen Raum wird ein Ausbau der wissenschaftlichen Forschung zur Kolonialgeschichte sowie zu Rassismus gefordert. Einige Leerstellen, die geschlossen werden sollen, werden konkret benannt: „Es gibt in Berlin bisher keine Mahnmale für den Völkermord an den Herero und Nama oder den genozidalen Maji-Maji-Krieg“, heißt es. Dies müsse im Rahmen einer kolonialismuskritischen Gedenkkultur verändert werden.

Eckpunkte des Konzepts wurden erstmalig im April 2024 im Haus der Kulturen der Welt vorgestellt. In der Zeit danach habe man den Entwurf mit dem „Historischen Beirat bei der Senatorin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ diskutiert, erklärt Diop. „In der Zusammenarbeit haben wir nachgeschärft, was wir unter Kolonialismus verstehen. Außerdem ging es darum, unser Konzept in bestehende Gedenkkonzepte zum Nationalsozialismus und der SED-Diktatur einzubetten bzw. in Beziehung zu setzen.“

Kaum Geld für die Umsetzung

Ein Knackpunkt bleibt nun die Finanzierung und damit die Umsetzung. Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen, kritisiert, dass im Haushalt für 2026/27 kein zusätzliches Geld für die Umsetzung des Erinnerungskonzepts eingestellt wurden. Er hatte den Antrag 2019 mit ins Abgeordnetenhaus eingebracht. „Es ist doch paradox, dass wir jetzt ein schönes Konzept haben, aber keine Mittel für die Realisierung“, sagt Wesener der taz.

Der Doppelhaushalt 2026/27 sieht die Finanzierung einer Geschäftsstelle am Stadtmuseum vor, die unter Leitung von Diop künftig an der Errichtung eines Lern- und Erinnerungsortes zum Kolonialismus in Berlin arbeiten soll. Außerdem sind laut Senatsverwaltung für Kultur Sondermittel für Projekte zum Thema Kolonialismus in Höhe von 150.000 Euro pro Jahr eingestellt.

Anteilig werde das Thema zudem im Förderprogramm „Förderung zeitgeschichtlicher und erinnerungskultureller Projekte“ berücksichtigt. Doch insgesamt gilt: „Angesichts der angespannten Haushaltslage zielen die Bemühungen derzeit darauf ab, bereits geschaffene Strukturen langfristig zu erhalten und zusätzliche Mittel für die Umsetzung zu akquirieren“, heißt es seitens der Senatsverwaltung für Kultur in einer Antwort an die Grünen.

Wesener zeigt sich zudem skeptisch in Bezug auf die Betonung des zentralen Lern- und Erinnerungsortes zum Kolonialismus: „Die Forderung nach einem zentralen Erinnerungsort ist richtig, aber seitens der Landespolitik auch wohlfeil, weil sich alle einig sind, dass man das ohnehin nicht ohne den Bund umsetzen kann.“

Und hier sieht es schlecht aus: Im (von Kulturstaatsminister Weimer) überarbeiteten Gedenkstättenkonzept des Bundes kommt der Kolonialismus laut Berichten der SZ nicht mehr vor – obwohl der Koalitionsvertrag vorsieht, die „Aufarbeitung des Kolonialismus“ zu intensivieren. Außerdem sollen Mittel für letzteres stark gekürzt werden. Das nun der Kultursenatorin Wedl-Wilson übergebene Konzept soll voraussichtlich im November im Senat diskutiert werden.

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