Gedenkpolitik in Sachsen: Streit um den Diktaturenvergleich

Der Streit um die Gewichtung des DDR- und NS-Unrechts prägt die Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Die DDR- Diktatur wird vordringlich behandelt.

Eine Frau steht vor einem Foto der Gedenkstätte Torgau

Foto in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau Foto: dpa

DRESDEN taz | Auf die Stiftung Sächsische Gedenkstätten angesprochen, winken Politiker der sächsischen Regierungsparteien CDU und SPD meist seufzend ab. Auch für Journalisten ist das Thema ein heißes Eisen. Informationen aus den Gedenkstätten sind nur unter konspirativen Umständen zu erlangen. Stiftungs-Geschäftsführer Siegfried Reiprich verfügt nach der auf ihn zugeschnittenen Satzung zwar über ein Monopol bei der Öffentlichkeitsarbeit, redet aber nicht mit Journalisten. Umso eifriger reagiert er auf Kritik.

Die 1994 gegründete und 2003 mit einer Rechtsgrundlage versehene „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“ gilt seit Jahren als Sorgenkind. Im Januar 2004 kündigten der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Verband der Verfolgten des Nationalsozialismus und der Opfer von NS-Militärjustiz ihre Gremienmitarbeit auf. Der Vorwurf lautete, das von der damals allein regierenden CDU verabschiedete Gedenkstättengesetz präferiere einseitig die Erinnerung an die SED-Diktatur. Das Gesetz wurde 2012 geändert, die Verbände kehrten zurück.

Der Streit um die Gewichtung der beiden deutschen Diktaturen vor und nach 1945 durchzieht wie überall in der Erinnerungskultur auch die sächsische Stiftung. Er wird hier überlagert von Struktur- und Ausstattungsfragen und von Auseinandersetzungen mit Geschäftsführer Reiprich.

Ursprünglich hatte der Stiftungsrat 2008 den Historiker Christoph Meyer zum Geschäftsführer gewählt. Aber die CDU-geführte Staatsregierung berief ihn nicht, bis im Stiftungsrat schließlich ihr Favorit Reiprich durchkam. Der gescheiterte Meyer, inzwischen Professor in Mittweida, kommentierte das damalige Verfahren als ein „Exempel“, um DDR-Unrecht in den Vordergrund zu stellen. Der heute 61-jährige ehemalige Jenaer Bürgerrechtler Reiprich wurde 1981 aus der DDR ausgebürgert.

Opferverbände in der Defensive

Bis heute ist Reiprich umstritten. Seit Mai 2016 schiebt der Stiftungsrat einen bereits im Landtag debattierten Evaluationsbeschluss vor sich her. Insbesondere das Verhältnis zu den sensiblen NS-Opferverbänden ist geschädigt. Ende November beendete die Vereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz ihre Mitarbeit am Ausstellungsprojekt „Spuren des Unrechts“ in Torgau. Sie beklagt „erinnerungspolitisches Versagen und mangelnde Wertschätzung der Opfer“. Sachsen verliert außerdem das von Bund und Land finanzierte Projekt der Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener an die Berliner Wehrmachts-Auskunftsstelle. Der Landtagsabgeordnete Franz Sodann (Die Linke) reagierte empört. Inzwischen ausgeschiedene Stiftungsmitarbeiter bestätigen die sinkende überregionale Reputation der Stiftung, etwa die Präsenz auf Kongressen.

Für Streit um den Diktaturenvergleich ist das Konstrukt der Stiftung Sächsische Gedenkstätten prädestiniert. Beide Epochen sind unter dem Dach der Stiftung vereint, sowohl bei den fünf Gedenkstätten in eigener Trägerschaft als auch bei den neun „Satelliten“ in freier Trägerschaft, die die Stiftung fördert. „Das ist mehr als die Verwaltung einiger Gedenkstätten, das ist ein ambitionierter Auseinandersetzungsraum“, beschreibt Lutz Rathenow die Stiftung. Der Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen sitzt mit im Stiftungsrat. Er versichert aber, er kenne niemanden, „der die Zeit vor 1945 benachteiligen will“. Hinsichtlich der institutionellen Förderung bestreiten das auch Reiprichs Kritiker nicht. Doch die Projektfördermittel sind im Verhältnis 15 zu 85 Prozent zugunsten der Erinnerung an das DDR-Unrecht verteilt.

Personelle Unterbesetzung

Kritik an der Geschäftsführung kommt von beiden Seiten. Die Verfolgten des Nationalsozialismus beklagten sich im September bei Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), dass sie ihre Jahrestagung nicht in Bautzen abhalten durften, bevor sie nicht öffentliche Kritik an Reiprich zurückgenommen hätten. Und die Stasihäftlinge von Bautzen II bedauerten in einem Brief, dass ihre wichtigste Ansprechpartnerin Cornelia L. nach haltlosen Vorwürfen Reiprichs aus Bautzen vertrieben wurde.

Darauf angesprochen, erwähnt Lutz Rathenow die „totale Arbeitsüberlastung“ einer personell unterbesetzten Stiftung. Doch Beiratsmitglied Uwe Hirschfeld, Professor an der Evangelischen Hochschule Dresden, berichtet von vergeblichen Beschlüssen des Beirats, die Stiftung besser auszustatten. Die seien nie zur Entscheidungsreife beim Stiftungsrat gelangt. Andere Gremienmitglieder ergänzen, die Sitzungen des Stiftungsrats würden generell immer schlechter vorbereitet. Das Misstrauen von Geschäftsführer Reiprich gegen jeden und sein Bestreben, alles auf den eigenen Tisch zu ziehen, überfordere ihn offenbar selbst.

Nach fünf Jahren Anlauf soll 2017 endlich eine Ausstellung über die NS-Zeit des Gefängnisses Bautzen öffnen – eher trotz als wegen Reiprich. Ein „aufsuchender Dialog“ mit ihm sei nicht möglich, Kritik gelte als Verleumdung, sagt Hirschfeld. Aus Gedenkstättenkreisen heißt es, Reiprich führe nur noch Monologe. Nicht einmal wichtige Informationen würden durchgestellt. Wer sie selbst zu erlangen suche, riskiere eine Abmahnung.

Eine externe Perspektive

Lutz Rathenow wiegelt ab und spricht von einem „Übermaß an Kommunikation“ gerade bei Reaktionen auf anonyme Briefe oder Kritik. Beim Stiftungsrat gibt es jetzt sogar einen Petitionsausschuss. Doch Bewegung ist nicht erkennbar. Am 23. Januar will der Stiftungsrat, in dem Siegfried Reiprich bei Vertretern von DDR-Gedenkstätten auch Anhänger hat, einen weiteren Anlauf für einen Evaluationsbeschluss nehmen.

Eine Evaluation verfolge nicht zuerst die Absicht, die Arbeit der Stiftung und des Geschäftsführers in Misskredit zu bringen, beschwichtigt Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD). Es gehe einfach um die externe Perspektive. Aber hinter vorgehaltener Hand hoffen viele, der verfahrene Zustand könne aufgebrochen werden. Als Vorsitzende des Stiftungsrats darf die Ministerin keine Medienstatements abgeben. Sie erwähnt nur, dass in den Gedenkstätten gute Leute gute Arbeit machten. Fehlt das Wörtchen „trotzdem“.

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