Geflüchtete stranden in Mali: Der Weg ist versperrt

Der Bundeswehrstandort Gao in Mali gilt als Drehkreuz für afrikanische Migranten und Flüchtlinge. Für viele wird er zur Sackgasse.

Alpha Mahamadou Diallo sitzt mit dem Rücken zum Betrachter in einem türkisfarbenen Raum und schaut zu einem Fernseher, der an der Wand hängt

Es gibt nicht viel zu tun im Haus der Migranten in Gao – Alpha Mahamadou Diallo schaut fern Foto: Katrin Gänsler

GAO taz | Alpha Mahamadou Diallo starrt stumm auf den Fernseher. Er trägt ein schwarzes, zerschlissenes T-Shirt, eine gelbe Sporthose, am rechten Handgelenk eine Uhr. Zwei Passbilder hält er in der linken Hand und spielt mit ihnen. Das rechte Auge ist angeschwollen, als ob er sich geprügelt und verloren hätte. Diallo ist ein schmächtiger Jugendlicher.

Die beiden Passbilder sind die einzigen Dokumente, die ihm noch geblieben sind. „Den Rest haben sie mir abgenommen“, sagt der 16-Jährige kurz und abgehackt. Sie – das sind die Schlepper oder deren Komplizen, die ihn Richtung Norden bringen sollten. Jetzt ist er in Gao gestrandet.

Solche Schicksale hört Eric Alain Kamdem oft. Er arbeitet im Haus der Migranten mitten in Gao. Seit mehr als zehn Jahren ist die Stadt im Nordosten Malis Treffpunkt für Menschen, die aus Westafrika nach Nordafrika und Europa aufbrechen wollen oder von dort zurückkehren. Die Einrichtung ist spartanisch, vor dem Fernseher steht eine Holzbank. Wer hier übernachtet, bekommt eine Matratze und etwas zu essen. Auch Arztbesuche werden organisiert. Betreiber ist die katholische Kirche.

Gao in Mali ist als Drehkreuz für Migration nicht so bekannt wie Agadez in Niger. Laut Eric Alain Kamdem ist es aber ebenso wichtig, weil von hier aus die algerische Grenze erreicht werden kann, wenn auch unter großer Gefahr. Das hat auch Alpha Mahamadou Diallo erlebt. Seine Heimat Senegal wollte er verlassen, um Arbeit zu finden. „Mein Bruder ist in Algerien und hat gesagt, dass es dort viele Möglichkeiten gibt. Er hat alles organisiert und bezahlt. Zum Beispiel meinen Pass.“ Der 16-Jährige starrt jetzt nicht mehr auf den Fernseher, sondern auf den blank gescheuerten Boden. Sein Bruder hat viel Geld in ihn investiert und er hat es verloren.

Als Diallo in Gao ankam, brachte ihn ein Schlepper in einem besonders heruntergekommenen Viertel unter. Er sollte warten. Dann passierte nichts. Schließlich wurde er ausgeraubt. Nun hat er weder Papiere noch Handy oder Geld. „Alles ist weg.“ Schlimmer noch: Einheimische nannten ihn einen Dieb. Er wurde auf der Straße verfolgt. Diallo rannte, versteckte sich, wurde gefunden und doch laufengelassen. „Ich habe beteuert, dass ich kein Dieb bin.“ Der 16-Jährige kam ins Haus der Migranten.

Wüste und Kriegsgebiet

Kamdem beobachtet ihn von seinem Schreibtisch aus. „Für viele ist es schon ein Kampf, überhaupt nach Gao zu kommen“, erklärt er. Verzweiflung würde die Migranten antreiben und das bei extrem steigenden Preisen. Vor einigen Jahren hätte die Strecke von Bamako zur algerischen Grenze umgerechnet etwa 70 Euro gekostet. Heute habe sich der Preis mehr als verdreifacht.

Als besonders gefährlich gilt die Strecke von Gao bis zur algerischen Grenze. Es ist Wüste – und Kriegsgebiet. Kamdem berichtet: Die Schlepper würden versprechen, die Reisewilligen bis nach Algerien zu bringen, sie dann aber vorher irgendwo in der Wüste aussetzen. Dann seien sie bewaffneten Banden oder islamistischen Gruppen ausgeliefert, die sie entführten. Die Migranten würden unter Folter gezwungen, bei ihren Familien anzurufen. Ihre Angst- und Schmerzensschreie sorgten dafür, dass ohne zu zögern Lösegeld gezahlt wird, per Handyüberweisung. Mittlerweile lässt sich in die entlegensten Regionen problemlos Geld schicken. Die Summen von umgerechnet rund 100 Euro sind klein genug, dass Familien sie schnell aufbringen können.

Um zu überleben, schließen sich viele bewaffneten Gruppen an. Die Migranten sind leichte Opfer, niemand fühlt sich für ihren Schutz zuständig.

In den vergangenen Wochen hat Eric Alain Kamdem mit Sorge beobachtet, dass sich die Angriffe auf Migranten bis nach Gao ausbreiten. Diallo hatte da noch Glück. „Wir waren mal eine Region für Touristen. Doch durch die Krise kommt niemand mehr.“ Stattdessen stehen Tausende ausländische Soldaten in Gao – UN-Blauhelme, Franzosen, auch Bundeswehrsoldaten in der UN-Mission Minusma. Es kommt manchmal mehrmals pro Woche zu Anschlägen. Niemand investiert mehr.

„Heute sind 99 Prozent der jungen Menschen arbeitslos“, schätzt Eric Alain Kamdem. Um zu überleben, schließen sich viele bewaffneten Gruppen an. Die Migranten sind leichte Opfer, niemand fühlt sich für ihren Schutz zuständig.

Diallo starrt wieder auf den Fernseher. Er weiß, er muss wieder losziehen. Aber in welche Richtung? Irgendwann sagt er leise: „Vielleicht gehe ich doch zurück in den Senegal.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.