Genderforscherin über Kicken in Brasilien: „Noch ist Fußball eine Männerbastion“

Der Fortschritt ist immer langsam und widersprüchlich, auch im Land von Kickerlegenden wie Pelé und Marta. Das sagt Caitlin Fisher, Exfußballerin und Genderforscherin.

Fördert das liberale Brasilien: Fußballstar Marta Bild: dapd

taz: Frau Fisher, warum sind Sie 2004 nach Brasilien gegangen, um beim Pelé-Klub FC Santos Fußball zu spielen?

Caitlin Fisher: Ich hatte vorher in der „College Soccer“-Liga der USA gespielt. Weil es damals keine professionelle Liga in meiner Heimat gab, wollte ich meine Karriere im Land des Fußballs fortführen. Allerdings stellte sich in Santos schnell heraus, dass Frauenfußball in Brasilien gegen viele Vorurteile zu kämpfen hatte. Fußball galt als reiner Männersport.

Wie zeigte sich das konkret?

Wir hatten zum Beispiel keinen eigenen Trainingsplatz und mussten neben einer Autobahn trainieren, wo wir von Autofahrern ausgelacht wurden. Das einzige, was wir mit den Männern des FC Santos gemein hatten, waren die Trikots. Allerdings handelte es sich dabei um alte, ausgeleierte Hemden der Männer.

Haben die brasilianischen Medien in dieser Zeit über Frauenfußball berichtet?

Ein einziges Mal: Das war, als ich als neue Spielerin präsentiert wurde – die einzige Ausländerin in der brasilianischen Liga.

CAITLIN FISHER

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Alter: 28

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Länder: USA, Brasilien

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Beruf: Anthropologin, vor allem in Gender Studies

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Multimediaprojekt: "Guerreiras" ("Kämpferinnen"), zusammen mit der Fotografin Adrienne Grunwald

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Infos: http://guerreirasproject.wordpress.com

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http://guerreirasproject.wordpress.com/Gast: im Mai bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin (boell.de/genderkicks)

Nach einem Jahr in Brasilien sind Sie in die schwedische Liga gewechselt. Weshalb sind Sie schließlich 2010 nach Brasilien zurückgekehrt?

Weil einige der Spielerinnen gute Freundinnen geworden waren. Und weil ich in der Zwischenzeit meinen Master in Gender Studies gemacht hatte und die Veränderungen im Frauenfußballs Brasiliens in einem Multimediaprojekt dokumentieren wollte.

Was hatte sich denn in den sechs Jahren verändert?

Vieles. Das Santos-Frauenteam scheint als Teil des Klubs anerkannt. Es gibt einen Sponsor, und wir dürfen im Santos-Stadion trainieren. Ich dachte am Anfang, dass sei ein entscheidender Schritt in Richtung Geschlechtergleichberechtigung – ähnlich wie mit Dilma Rousseff die erste Frau zur Präsidentin des Landes gewählt wurde oder unlängst gleichgeschlechtliche Ehen anerkannt wurden.

Aber das sind doch auch positive Veränderungen, oder?

Stimmt – aber unter der Oberfläche verläuft die Entwicklung widersprüchlicher. Was sich vor allem geändert hat, ist das Bild des Frauenfußballs. Jahre zuvor galten kickende Frauen in Brasilien als Mannweiber und per se lesbisch. Viele meiner Spielkameradinnen berichteten mir von den Kämpfen, die sie mit ihren Familien austragen mussten, weil sie Fußball spielen wollten.

Und heute?

Jetzt wird von den Fußballerinnen erwartet, dass sie sich ein hyperfeminines Image geben.

Welche Folgen hat das?

Dass nun eine Art athletische Weiblichkeit eingefordert wird, wie sie in der westlichen Kultur verbreitet ist: Frau muss fit und stark sein, zugleich gut aussehen und heterosexuell sein. Das ist das, was das Marketing und die Medien sehen wollen.

Und wie reagieren die brasilianischen Fußballerinnen auf diese Entwicklung?

Mittlerweile schminken und parfümieren sich viele, bevor sie auf den Platz gehen. Außerdem tragen auf einmal alle lange Haare – auch diejenigen, die mir Jahre vorher noch geschworen hatten, sie würden sich ihre Haare nie wieder im Leben lang wachsen lassen.

Macht der FC Santos Vorschriften zum Styling?

Dessen Management macht sie nicht, nicht wie andere Vereine, aber die Spielerinnen sagen: Die Medien und Sponsoren wollen es so – und am Ende verdienen wir dadurch auch mehr Geld.

Können die Spielerinnen denn allein vom Fußball leben?

Beim FC Santos die meisten schon, aber auch nur, weil hier viele Nationalspielerinnen tätig sind. Immerhin hat sich für alle Vereine das organisatorische Umfeld deutlich verbessert. Mittlerweile gibt es auch eine Landesmeisterschaft.

Marta, eine der weltbesten Fußballerinnen, spielt gelegentlich auch für Santos.

Ja, aber nur, wenn die Profiliga in den USA Pause macht. Marta ist eine unvergleichbare Fußballerin und dazu ein außergewöhnlicher Mensch. Sie ist ein Rollenmodell und hat den Frauenfußball in Brasilien unglaublich popularisiert.

Auch eine wie Marta wird allein kaum die männlichen Vorurteile aus der Welt schaffen können?

Am Anfang von gesellschaftlichen Transformationen hängt zumindest viel an einzelnen Persönlichkeiten, die bestimmte Entwicklungen vorantreiben. Brasilien ist ein Land voller Widersprüche – so ist es auch im Fußball: Es gibt bei den Frauen große Fortschritte, aber zugleich gilt der Fußball zum Teil immer noch als letzte Bastion des „Machismo“. Brasilien hat aber auch große Potenziale und eine liberale Seite. In diesen Kämpfen sehe ich Chancen für Veränderungen. Am Ende wird auch der Männerfußball seine Homophobie, seine engen Genderdefinitionen überwinden müssen.

Marta zum Trotz: Bisher fehlt den Brasilianerinnen noch ein großer Titel. Wie schätzen Sie die Seleção bei dieser WM ein?

An der Seite Martas stürmt mit Cristiane eine weitere Weltklassetorjägerin. Und neben erfahrenen Spielerinnen wie Formiga gibt es junge, international noch unbekannte Talente. Ich liebe jedenfalls die spontane Art, wie die Brasilianerinnen spielen – ob das alles für den Titel reichen kann … keine Ahnung.

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