Gericht kippt Demoverbot in der Kastanienallee: Politik geht auch mit Musik

Das Verwaltungsgericht erlaubt den für Samstag geplanten Aktionstag gegen den Umbau der Kastanienallee. Die Polizei hatte ihn nicht als Versammlung anerkannt.

Indizien für den politischen Charakter des Aktionstages: Plakate an einem Baum in der Kastanienallee Bild: dpa

"Reclaim Democracy" nennt die Bürgerinitiative "Stoppt K21" ihren Aktionstag: Die Sängerin Peaches wird spielen, zusammen mit weiteren Bands, Unterschriften gegen den Umbau der Kastanienallee werden gesammelt, Fernsehen und Rundfunk sind eingeladen. Die für Samstag geplante Veranstaltung war der Polizei zu kulturlastig - sie verbot sie kurzerhand. Zu Unrecht, enschied am Mittwoch das Verwaltungsgericht. Die Veranstaltung habe eindeutig politischen Charakter.

"Die Veranstaltung verfolge das klar erkennbare Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern", zitierte ein Sprecher des Verwaltungsgerichts aus dem Beschluss. "Weder die Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen ließen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen." Matthias Aberle von der Bürgerinitiative freut dies: "Anscheinend geht es nicht in ein Polizeihirn, dass auch Musik politisch sein kann. Zum Glück ist es bei den Verwaltungsrichtern anders."

Gegen den Beschluss könnte die Polizei zwar vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde einlegen, will dies aber nicht tun: "Wir werden nicht gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgehen", sagte Polizeisprecher Thomas Neuendorf der taz.

Die Fuckparade war 1997 als Hardcore-Gegenveranstaltung zur Loveparade gestartet worden. 2001 hatte die Polizei beide Paraden nicht mehr als Demonstration anerkannt, weil es nur um Musik, nicht um öffentliche Meinungsbildung gehe. Die Veranstalter zogen bis vors Bundesverfassungsgericht. Das gab der Polizei in einer Eilentscheidung recht.

Das Grundsatzurteil fällte erst 2007 das Bundesverwaltungsgericht. Es stufte die Fuck-Parade nachträglich wegen ihres "Gesamtgepräges" als Demo ein. Das Versammlungsrecht schütze "vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens", auch den Einsatz von Musik und Tanz für kommunikative Zwecke, so das Urteil. Selbst wenn es keine Rede gebe, könnten Forderungen auf Flugblättern, Transparenten oder im Internet zeigen, dass die Veranstaltung auf die Meinungsbildung einwirken solle. Blieben Zweifel, müsse wegen des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit stets von einer Demo ausgegangen werden. (ga)

Ob eine Veranstaltung politisch ist, entscheidet in Berlin zunächst das LKA 572, die Versammlungsbehörde der Polizei. Die Frage, nach welchen Kriterien sie das Siegel "politisch" für eine Versammlung vergibt, konnte die Behörde am Mittwoch nicht beantworten. Gilt eine Veranstaltung als politische Versammlung im Sinne des Grundgesetzes, sind die Veranstalter von vielen lästigen und kostspieligen Pflichten wie etwa der Müllentsorgung befreit.

Der Fall erinnert an die Auseinandersetzung um die politische Ausrichtung der Loveparade und der Fuckparade. Die hatte die Polizei in den vergangenen zehn Jahren immer wieder und teilweise erfolgreich angezweifelt (siehe Infokasten).

Seit Jahren wird über den Umbau der Kastanienallee heftig gestritten. Dort steht für Autofahrer, Radler und die Tram bisher nur eine Spur pro Richtung zur Verfügung. Nach den Plänen von Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) soll die Fahrbahn erweitert werden. Dafür sollen die holprigen Gehwege beschnitten werden. Nun beschweren sich Kneipenbetreiber, dass der Gehsteig zu schmal für Außengastronomie werde; Radfahrer fürchten, dass sich der Verkehr beschleunigen wird.

Vergangene Woche hatte die Senatsinnenverwaltung das "Bürgerbegehren Kastanienallee" für zulässig erklärt. Jetzt müssen Aberle und seine Mitstreiter bis November rund 8.700 Unterschriften von Pankower Bürgern sammeln, damit es zu einem Bürgerentscheid über die Zukunft der Straße kommen kann. Die Bauarbeiten an der Kastanienallee haben bereits Anfang April begonnen, sind momentan aber unterbrochen, weil sie zu gefährlichen Verkehrssituationen geführt hatten. Am Montag sollen sie weitergehen.

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