Gesichtserkennung als Kunst: Sind das eigentlich noch wir?

Der Künstler Sterling Crispin zeigt mit seinen „Data Masks“, wie wir für NSA, Facebook und Google aussehen. Nämlich wie digitale Geister.

Der unheimliche Blick in den virtuellen Spiegel: So sehen wir für die Maschinen aus. Bild: Sterling Crispin

Für die Maschinen sind wir Menschen nur unförmige Materie, sehen aus wie eine Mischung aus einem Asteroiden und dem Inhalt einer Lavalampe. Mit dem Aussehen unseres Cyper-Ichs hat sich der amerikanische Künstler Sterling Crispin nun genauer beschäftigt. Er verwandelt das digitale Gesicht in analoge Gipsmasken – sogenannte „Data Masks“. Und stellt damit eine wichtige Frage: „Sind das eigentlich noch wir?“

Seit den 1990er Jahren wurden zahlreiche Gesichtserkennungssoftwares entwickelt, nach derzeitigem Stand arbeiten diese mit über 50 verschiedenen Erkennungs-Algorithmen. Geheimdienste und Privatwirtschaft setzen sie ein, um Bilderdatenbanken nach bestimmten Gesichtsmerkmalen zu durchsuchen. NSA, Google und Facebook entwickeln dafür immer komplexere Programme, die mit unserer simplen Vorstellung von digitaler Wiederkennung nichts mehr zu tun haben. Die Algorithmen sind nämlich lernfähig. Und indem sie Bilderdatenbanken abarbeiten und lesen, entwickeln sie immer detaillierte Abbildungen menschlicher Gesichter.

„Vor den Linsen der Maschinen verwandeln wir uns in digitale Geister“, erklärt Sterling Crispin. Er ist bekannt für seine unkonventionellen Versuche, abstrakte Wissenschaft in konkrete Formen zu bringen. In seinem neuesten Projekt beschäftigt er sich mit der Frage, wie der digitale Mensch aussieht. Eigens hierfür hat Crispin in seinem Atelier in Hawaii eine Software programmiert, um der Vorgehensweise von Gesichtserkennungs-Algorithmen auf die Spur zu kommen. Die daraus resultierenden Daten setzte er in 3-D-Modelle und schließlich in Gips-Plastiken um. Der Weg hierhin ist jedoch ein komplizierter.

Zunächst durchsucht Crispin mit Hilfe eines sogenannten Fitness-Algorithmus eine große Bilder-Datenbank mit menschlichen Gesichtern. Der Algorithmus ist frei zugänglich und heißt so, weil er tatsächlich trainieren muss. Er lernt, tausende von mimischen Besonderheiten verschiedener Menschen zu vereinen. Jedoch in sehr abstrakter Form. So erkennt der Algorithmus zum Beispiel keine Kategorien wie „Nase“ oder „Mund“, sondern urteilt auf Grundlage von Bildpixeln.

Schritt für Schritt zum Gesicht. Bild: Sterling Crispin

Hiernach ist Crispins selbstentworfenes Programm dran. Diese moduliert eine zunächst glatte, kopfförmige 3-D-Form – per Zufall entstehen hier und da Wölbungen in der Oberfläche. Nach jeder Veränderung des Kopfes gleicht Crispins Programm diesen mit den Daten ab, die sich der Fitness-Algorithmus antrainiert hat. Das geschieht solange, bis der Fitness-Algorithmus ein Gesicht bestätigt. Nach und nach entsteht so die eingangs erwähnte Mischung aus Asteroid und Lavalampe.

Der gesamte Prozess – Fitness-Algorithmus plus Crispins Programm – nennt sich „genetischer Algorithmus“. Das Ergebnis entspricht zwar nicht dem tatsächlichem Algorithmus von Facebook, denn der ist geheim. Indem aber ähnliche Datenbanken durchsucht werden, bekommt man einen Eindruck davon, wie der Social-Media-Riese seine Nutzer sieht. Das fertige 3-D-Modell gießt Crispin, so erklärt er, dann in Gips.

„Ich möchte, dass wir über unsere digitale Darstellung reden. Und das gelingt eher, wenn wir sie sehen und greifen können“, erklärt Crispin. Und tatsächlich ermöglichen die Gips-Masken einen Blick in den virtuellen Spiegel. Der 29-jährige Künstler findet unser digitales Ich unheimlich. Genauso wie die Vorstellung, permanent von Kameras betrachtet und von Gesichtserkennungssoftwares gescannt zu werden – im Bus wie im Netz. Mit der Frage, wie uns die Maschinen sehen, fühlt er sich aber relativ allein gelassen.

Die Masken sind eine Form des stillen Protestes. Ein Versuch, die Kontrolle über die eigene Identität im Netz zurückzuerlangen. „Es ist wichtig, dass wir ein Bewusstsein für unser Cyper-Ich bekommen. Und dass wir nicht nur irgendein Ding in den Weiten des Netzes sind, sondern Personen“, erklärt Crispin. Durch die Plastiken lernt man zu verstehen, das Gesichtserkennungsprogramme, wie sie PRISM verwendet, gewisse Ziele verfolgen und dass diese nicht zwangsläufig in unserem Sinne sein können. Zumal die Maschinen darin immer besser werden.

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