Getränkeerfinder über Heilkunde: „Wo ist das Fachwissen hin?“

Kevin Singh Witzorek hat in Hamburg ein Unternehmen für Gesundheitsgetränke gegründet. Ein Gespräch über Ausbeutung in der Branche und Alternativmedizin.

Kevin Singh Witzorek

Schätzt warmes Kräuter-Frühstück und Gewürztee: Kevin Singh Witzorek Foto: Miguel Ferraz

taz: Als wir uns das letzte Mal trafen, priesen Sie an einem Stand in einem Hamburger Biomarkt ihre Gesundheitsgetränke an. Da waren Sie voll im Verkaufsmodus, oder?

Kevin Singh Witzorek: Wenn ich im Supermarkt stehe, möchte ich nicht nur etwas verkaufen, sondern dass die Leute sich umsorgt fühlen. Herzblut weitergeben. Von meinem Papa habe ich gelernt: Was du machst, mach es ganz oder gar nicht.

Sie haben die Wellness-Drink-Marke Jamu gegründet. Wofür steht das Wort?

Jamu ist keine Marke. Wörtlich übersetzt bedeutet es: heilende Kräuter. Es ist die indonesische Alternativmedizin, gleichzusetzen mit dem indischen Ayurveda oder der traditionellen chinesischen Medizin. In Indonesien laufen Frauen mit Tinkturen und Gebräu von Dorf zu Dorf und vermengen sie für jeden Kunden. Kurkuma, Ingwer, Ginseng und Co. sind gut für uns, das ist mittlerweile auch im Westen angekommen.

Wurde Ihnen das Ganz-oder-gar-nicht-Ethos Ihres Vaters schon als Kind eingeimpft?

Wir haben damals vegetarisch gelebt, dennoch hat mich mein Vater manchmal gefragt: Kevin, möchtest du jeden Tag ein Ei essen oder möchtest du ein Huhn schlachten? Ein weiterer Satz, den ich öfter hörte: Keiner hat gesagt, dass es einfach wird. Schwere Geburten ergeben starke Kinder.

Das ist eine Binsenweisheit.

Nun, auf mich trifft sie zu. Ich war ein absolutes Frühchen, wurde im sechsten Monat geboren und lag lange im Brutkasten.

Wie ist die Geschichte Ihres Vaters?

Mein Vater kam aus einer militärisch geprägten Familie, er hatte zwölf Geschwister. 1970 kam er nach Hamburg und jobbte in der Gastronomie. Er hatte das Kochen von seiner Mutter gelernt und beherrschte vedische Rezepturen. Heute nennen wir das Superfood, für ihn war das Alltag. 1976 rief er in Eppendorf das erste vegetarische Restaurant Hamburgs ins Leben, heute heißt es Tassajara.

27, wurde in Hamburg geboren. Nach einer Hotelfachausbildung in der Schweiz arbeitete er in Dubai im Restaurant- und Hotelmanagement. Ende 2015 gründete er das Wellness-Drink-Unternehmen Jamu.

Und ihre Mutter?

Sie kommt aus dem südlichen Polen. Als meine Mutter hierher kam, wurde ihr „Wieczorek“ eingedeutscht. Das Polnische hat mich geprägt, ich habe es sogar noch vor dem Deutschen gesprochen. Mein polnischer Großvater hat mich sehr beeinflusst, er ist der Typ Mensch, der nie etwas wegwirft. Er repariert und improvisiert lieber. Die Kinderstühle, die er vor 25 Jahren für mich gebaut hat, sind bis heute im Restaurant im Einsatz.

Auf Ihrer Website heißt es, dass Sie mit „Naturmedizin, jeder Menge Yoga und täglich einer Messerspitze Kurkuma“ aufwuchsen.

Ingwer, Kurkuma und Co. nutzt man in Indien jeden Tag. Und man macht jeden Morgen seine Übungen, ob man das nun Yoga nennt oder nicht. In Deutschland frühstückt man kalt – wir haben morgens warm mit Kräutern gekocht, dazu gab es Gewürztee. Das ist ein anderer Start in den Tag, man könnte es achtsam nennen. Es ist einfach: Das essen, was einem guttut, das tun, was einem guttut.

Was gehört für Sie dazu?

Ich meditiere jeden Morgen. Es reicht, 15 Minuten auf einem Stuhl zu sitzen und die Augen zu schließen. Man muss dafür keine Bücher lesen oder teure Kurse besuchen.

Und die Naturmedizin?

Wer bei uns krank war, bekam eine Gewürzmilch. Die polnische Variante wurde dagegen dominiert von vitaminreichen Beeren und roter Beete. Ich frage mich, warum die jahrhundertealte Klosterheilkunde in Deutschland heute wenig verbreitet ist. Wo ist dieses Fachwissen hin?

Treiben Sie diese Gedanken schon länger um?

Meine naturwissenschaftliche Ader ist sehr ausgeprägt. Ich war auf einem katholischen Gymnasium, geleitet von Nonnen. Dort habe ich meine Leidenschaft für Chemie ausleben können. Es ging schon etwas konservativer zu. Jeden Tag vor dem Unterricht wurde gebetet, einmal die Woche ging es zur Andacht in die Kapelle.

Lag Ihnen das?

Nun, ich habe dort eine tolle Allgemeinbildung bekommen, und ich gehe noch heute gern in die Kirche. Das ist ein Raum, um in mich zu gehen und meine Gedanken zu sammeln. Aber ich suche mir meine eigenen Tempel. Dasselbe Gefühl habe ich, wenn ich mich auf eine bestimmte Bank an der Außenalster setze. In der Schweiz genauso: Dort habe ich Berge und Seen auf mich wirken lassen.

In der Schweiz haben Sie Hotellerie studiert.

Eigentlich sollte es Chemie sein. Meine Eltern haben mich vor dem Gewerbe gewarnt, aber dann stellte sich bei mir auf dem Gymnasium eine Schweizer Hotelfachschule vor. Ich habe drei Jahre im Oberwallis studiert. Wir waren multikulturell, mit 80 Nationen auf einem Campus.

Was lernt man da?

Alles. Man lernt Polieren, Servieren, auch so Dinge wie Flambieren. Man spült auch mal zwei Wochen lang Teller. Bei einem Praktikum in Zürich mussten wir 1.000 Menschen mit zehn Leuten bedienen. Da habe ich zuweilen 20 bis 22 Stunden am Tag gearbeitet. Natürlich habe ich mich gefragt, was ich da eigentlich mache. Aber so lernt man, nicht aufzugeben.

Was kam danach?

Ich bin mit 21 Jahren nach Dubai gegangen und habe gleich im Burj Khalifa angefangen, dem höchsten Gebäude der Welt. Im höchsten Restaurant der Welt, im 122. Stockwerk, habe ich eng mit einer Kielerin zusammengearbeitet. Dort oben ein Erdbeben zu erleben, ist kein Spaß. Da schwankt das Gebäude schon mal um acht Meter.

Dubai, das sei eine Shisha Bar mit angeschlossenem Flugplatz, schrieb der Autor Micky Beisenherz. Wie ging es Ihnen dort?

Wir sitzen jetzt in einem 400 Jahre alten Gebäude in der Hamburger Deichstraße. Das macht mich glücklich. Prunkhotels, die über Nacht hochgezogen werden, haben so rein gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Wer konsumorientiert ist, wer Luxus mag, der fühlt sich in Dubai vielleicht wohl. Das Verhalten vieler Bessergestellter driftet da schon in den Bereich der Völlerei. Aber ich wollte dort lernen. Und so ergab sich die Möglichkeit, in einem Resort-Hotel anzufangen, wo ich für drei Restaurants und 45 Mitarbeiter zuständig war.

Sie standen sicher unter enormem Leistungsdruck.

Den Druck kannte ich schon aus der Schweiz. Aber: Die Hotellerie ist nicht die humanste Branche. Dort herrschen militärische Strukturen, was ein paar Vorteile hat, aber vor allem Nachteile. Irgendwann fängt man an zu denken. Dubai ist, energetisch gesehen, ein ambivalenter Ort, der zum Teil auf moderner Sklaverei basiert. Es ist nicht in Ordnung, dass Menschen dort für 180 Euro im Monat schuften und zu zwölft in einem Zimmer schlafen, umgeben von Bettwanzen. Die Leute dort, aus Nepal, Indien und von den Philippinen, haben mich geprägt. Die waren mir in vielen Bereichen überlegen und wurden ausgenutzt.

Fühlten Sie sich auch ausgenutzt?

Als Europäer hatte ich eine andere Position. Ich habe meinen Mund aufgemacht und musste mich schließlich umorientieren. Ich habe bei der größten arabischen Hotelkette unter dem Vizepräsidenten gearbeitet. Aber auch dort gab es Probleme. Wie kann ich als 24-Jähriger einen Menschen entlassen, der seit 25 Jahren im Unternehmen ist?

Sie gingen also zurück nach Hamburg?

Genau. Mein Vater legte mir ein Jahr lang eine Kette ans Bein und ich lernte in seinem Restaurant, wie man eine Küche führt. Wie kocht man gesund? Wie geht man mit Kräutern und Gewürzen um?

Wie war es, ein Jahr so eng mit ihrem Vater zu arbeiten?

Mein Vater sieht nur das Positive. Er hat diese typische Gelassenheit, die klischeehaft indischen Gurus zugeschrieben wird: Wenn er ein Problem nicht lösen kann, macht er sich nicht weiter Gedanken darüber. Parallel dazu habe ich schon unternehmerische Ideen gehabt. Ich hatte keine Investoren, und musste sieben Banken abklappern, bis ich einen Kredit bekam. Wer investiert heute noch in ein Getränkeunternehmen?

Haben Sie ganz alleine angefangen?

Ich habe mir Sales Coaches angehört, aber spätestens nach 20 Minuten konnte ich nicht mehr zuhören. Dafür gab es Menschen, die mich bis heute unterstützen, wie Uwe Lübbermann von Premium Cola. Er ist ein Mentor für mich. Ich will hier nicht die soziale Nummer runterleiern, ich möchte das leben. Wir sind ein Team von zwölf Leuten, und jeder darf sein Gehalt selbst bestimmen. Ich selber zahle mir noch nichts aus.

Ihr Getränk hat seinen Preis: Die 0,3-Flasche kostet drei Euro.

In jeder Flasche stecken allein 75 Cent an Kräutern und Gewürzen. Wir kaufen die Kräuter weltweit bei Kooperativen ein und verarbeiten sie in Deutschland. Ich kenne den Ursprung und kaufe keine fertigen Extrakte. Das ist keine Limonade, das ist das ganzheitliche Pendant.

Gesundheitsfördernde Getränke gibt es viele.

Klar, schon in den Neunzigern hat Volvic sein Wasser in PET-Flaschen mit Erdbeeraroma versetzt und „Wellness-Drink“ genannt. Wir bedienen uns jahrtausendealter Rezepte. Zusammen mit dem Arzt der indonesischen Königsfamilie haben wir die Jamu-Rezeptur handschriftlich festgehalten und nach Europa gebracht. Diese lässt sich jedoch nicht exakt umsetzen, weil man beispielsweise eine Betelnuss bei uns nicht verarbeiten darf. Deshalb verwenden wir nach Rücksprache mit Indonesien die Muskatnuss.

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