Gleichstellung: TU-Kanzlerin fordert Umdenken: "An der Uni wird ein Kulturwandel einsetzen müssen"

Die Kanzlerin der Technischen Universität fordert ein radikales Umdenken an Hochschulen und plädiert dafür, Sichtweisen und Bedürfnisse von Frauen stärker zu berücksichtigen. Zum Wohle der Frauen - und der Wissenschaft.

Forschende Frauen sind an deutschen Universitäten noch in der Minderheit Bild: dpa

taz: Frau Gutheil, warum wollen Sie Frauen an der Uni besonders unterstützen?

Ulrike Gutheil: Wir sind davon überzeugt, dass wir längerfristig mehr für Frauen in Natur- und Ingenieurwissenschaften tun müssen. Denn uns wird zwar 2012 ein Segen an Abiturientinnen und Abiturienten ereilen - dank des doppelten Abiturjahrgangs. Aber die demografische Entwicklung wird dahin gehen, dass es irgendwann einen Mangel an Wissenschaftlern geben wird - sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Wir brauchen schlichtweg mehr Frauen.

Aber grundsätzlich steht doch Frauen jede Tür offen.

Die Technische Universität ist mit dem Zertifikat "Audit familiengerechte Hochschule" ausgezeichnet worden. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg übergeben das Zertifikat am Mittwoch der Kanzlerin Ulrike Gutheil.

Die Ehrung beruht auf einer Initiative der Hertie-Stiftung und bescheinigt, dass die TU sich um Gleichstellung bemüht und Studierende mit Kindern besonders fördert. PEZ

Frauen werden jedoch zum Teil nicht richtig angesprochen. Während man zum Beispiel "Life Science", also Biowissenschaften, gut bei Frauen vermitteln kann, muss man das inhaltlich selbe nur mit einem anderen Begriff belegen - dann interessiert das Frauen nicht mehr. Frauen möchten wissen, wofür sie etwas machen, sie fragen: Was ist mein Beitrag für die Gesellschaft? Selbst bei den Studieninhalten müssen wir diese Sicht mehr im Blick haben. Das geht!

Das heißt, sie scheitern nicht an von Männern geprägten Seilschaften, sondern an sich selbst?

Mir ist wichtig: Nicht die Frauen müssen sich verändern, sondern das System. Meine Vermutung ist auch: Frauen sind in gewisser Weise pragmatisch. Sie sehen den wissenschaftlichen Karriereweg als Weg mit ständiger Unsicherheit, also von Befristung zu Befristung. Bis sie dann mit Mitte 30 eventuell auf einer Professur stehen. Das ist für die meisten nicht hinnehmbar. Die Frage ist ja auch, ob der Professorenberuf heute noch so attraktiv ist, wie wir glauben. Wir müssen also Fakultäten und Fachgebiete ins Boot kriegen. Pauschale Schülerinnen-Infotage, das wird nicht mehr reichen.

Was tun Sie konkret?

Wir werben Schülerinnen an, wir machen etwas für Nachwuchswissenschaftlerinnen, wir haben seit Jahren ein Programm für angehende Professorinnen laufen: Wir gehen das Thema von mehreren Seiten an. Wir kümmern uns im Audit familiengerechte Hochschulen sehr stark um Work-Life-Balance. Das sind nicht mehr Diskussionen darüber, ob wir fünf Wickeltische anbauen. Sondern es geht darum, die Grundstimmung dafür zu sensibilisieren, dass man eben doch beides kann, Kinder haben und Karriere machen. Das wird einen Kulturwandel in der Universität bedeuten müssen.

Der bislang auf sich warten lässt. Die Forderungen und einige Programme sind doch nicht neu. Und immer noch geht enorm viel Potenzial verloren, wenn man sich die Studentinnenzahlen im Vergleich zur Zahl der Habilitandinnen anschaut.

Wir haben vor zwei Jahren, als die Exzellenzinitiative gestartet ist, Gender-Politik als zentrales Zukunftsthema für die TU aufgegriffen, als Gesamtphilosophie. Sicher müssen wir mehr noch als bisher empirisch arbeiten, wir müssen schauen, wo genau wir Potenzial verlieren. Da müssen wir mehr Karrierewege verfolgen, um die richtigen Antworten zu kriegen. Beispielsweise liegt mir eine Studie vor, in der Habilitandinnen antworten sollen, ob sie sich das Erreichen einer Professur vorstellen können. Zwei Prozent bejahen dies!

Und die anderen 98 Prozent?

Ja, das weiß ich auch nicht. Da ist man völlig von den Socken. Aber so etwas müssen wir uns wirklich genauer angucken, solcher Frustration auf den Grund gehen. Dann gibt es weitere Phänomene: Im Maschinenbau etwa bleibt eine Frau bis zum Schluss, wenn sie sich erst für das Fach entschieden hat - aufgeben tut da keine. Oder: Warum finden wir keine Studentinnen für Informatik und Elektrotechnik - liegt das an den Begrifflichkeiten oder am Inhalt oder am Image? Wir müssen uns fragen, wie wir mehr und früher begeistern können.

Wann rechnen Sie damit, dass eine Veränderung erkennbar ist? Die Frauen-Zahlen in technischen Studienfächern stagnieren doch seit Jahren.

Das Thema Frauen ist jetzt ein Thema, durchgängig von den Studierenden bis zu den Professoren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hilft uns im Grunde genommen sehr. Sie hat zum Ziel erklärt, dass die Universitäten eine sogenannte Selbstverpflichtung eingehen, gezielt mit Evaluierung arbeiten und die Gemeinschaft sagt: Also, wenn ihr nichts unternehmt und euch nicht bewegt und das mit Maßnahmen unterlegt, dann werden wir bei Gleichrangigkeit der Anträge den bevorzugen, der das bessere Gleichstellungskonzept hat. Und plötzlich wird das auch ein Thema!

Wie steht Berlin im bundesweiten Vergleich da?

Ich weiß von vielen Hochschulen, die sich völlig zerstritten haben über dieses Thema. In Ber- lin ist das glücklicherweise nicht der Fall. Die Freie Universität Berlin liegt auf Platz eins beim Gleichstellungsranking, die Technische Universität folgt auf dem zweiten Platz: Gleichstellung hat eine lange Tradition in Berlin. Daher ist das Thema hier wohl etwas präsenter als womöglich in anderen Bundesländern. Nichtsdestotrotz: Wir wollen weiter ran. Ich glaube, dass wir in den nächsten fünf Jahren Erfolge zeigen und den Anteil von Frauen weiter erhöhen können.

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