Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel: Aktivismus trifft Realpolitik

Greta Thunberg kommt zur UN-Klimakonferenz nach Madrid. Doch sie will, dass andere Personen im Vordergrund stehen.

Greta Thunberg zieht die Augenbrauen zusammen und blickt nach unten

Aktivistin Greta Thunberg im Interview während des Klimagipfels in Madrid Foto: reuters

MADRID taz | Vor dem Saal „Mocha“ in Halle 4 auf dem Messegelände von Madrid wird gedrängelt und geschubst. Dutzende JournalistInnen wollen durch eine kleine Tür, die von zwei kräftigen UN-Polizisten in blauer Uniform abgeriegelt wird. „Only Media“, ruft der bullige Ordnungshüter immer wieder. Neben dem Saal ist eine Sicherheitszone abgesperrt, drinnen herrscht ein striktes Regime: Nur so viele Besucher wie Stühle, Stehen ist verboten.

Dabei ist es eigentlich nur eine normale Pressekonferenz, wie sie hier rund um die Uhr im Halbstundentakt stattfindet. Aber für die UNO, die Verhandler auf der Klimakonferenz und für die Journalisten ist dieser Montagmorgen viel mehr: Die UN fürchtet Chaos, weil Greta Thunberg auftritt.

Die Realpolitiker der Klimaverhandlungen fühlen den Druck, den die junge Aktivistin und ihre Fans von Fridays for Future mit ihren Forderungen nach drastischen Reduktionsschritten aufbauen. Und die JournalistInnen wittern eine Geschichte. Denn schließlich redet Thunberg.

Das heißt: Thunberg redet eigentlich nicht. Das wird sie erst am Mittwoch tun, wenn alle vor dem Plenum die nächste „Wie könnt ihr es wagen!“-Standpauke erwarten. Vor einem Jahr bei der Konferenz in Kattowitz war sie noch das schwedische Mädchen, das mit dem E-Auto nach Polen chauffiert wurde, um vor den Delegierten zu sprechen. Nach einem Jahr voller Klimaproteste rund um den Globus, nach Auftritten beim Papst, dem EU-Parlament und der UNO in New York und nach ihrem Segeltörn über den Atlantik und zurück ist die 16-Jährige ein Klima-Superstar.

Die Fans vor sich schützen

Das hat Folgen. Neben ihren eigenen Sicherheitsleuten hat die UN Thunberg ein ganzes Team von Bodyguards an die Seite gestellt. „Sicherheitsstufe wie bei Staatsoberhäupern“, heißt es. Die Angst sei weniger, dass jemand die Teenagerin angreift, sondern vielmehr, dass ihre Fans sich gegenseitig niedertrampeln. Diese Furcht ist nicht unbegründet: Als Thunberg mit dem Zug in Madrid ankam, sorgte der Andrang für Chaos, bei der Demonstration am Freitag konnte sie aus Sicherheitsgründen nicht richtig mitlaufen. Einen Sit-in am Freitag auf der COP mussten die UN-Behörden abbrechen, weil sie Verletzte befürchteten.

Great Thunberg lenkt von sich ab: „Die Klimakrise wird uns nicht nur in der Zukunft treffen, sie betrifft schon jetzt unzählige Menschen, die leiden und sterben.“ Dann übergibt sie an die deutsche Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, die das Podium moderiert. „Wir haben bemerkt, dass wir einige Medienaufmerkamkeit bekommen“, sagt Thunberg, „deshalb ist es unsere moralische Pflicht, unsere Stimmen denen zu leihen, die ihre Geschichte erzählen müssen.“

Es sind Geschichten der Opfer von Klimawandel und Unterdrückung: Carlon Zackhras von den Marshallinseln beschreibt den Anstieg des Meeresspiegels, der seine Heimat bedroht. Arshak Makichyuan aus Moskau erzählt, dass auch Klimaproteste in Russland schnell mit Verhaftungen enden können.

Rose Whipple protestiert als Angehörige der indigenen Dakota in den USA gegen die Öl- und Gas-Pipelines auf dem Land ihrer Ahnen und gegen „weiße Vorherrschafft“. Nakabuye Hilda Flavia aus Uganda fragt: „Wie viel Untericht müssen wir noch verpassen, bis die Welt aufwacht?“ Angela Valenzuela aus Chile beschwert sich: „Die Länder diskutieren auf dieser Konferenz über die falschen Themen. Sie reden über einen Kohlenstoffmarkt, aber nicht darüber, wie wir aus den fossilen Energien aussteigen.“

Zäh, diplomatisch und erfolglos

Das tun die Länder natürlich auch, aber so zäh, diplomatisch und erfolglos wie seit Jahrzehnten. Deshalb prallen die radikalen Forderungen der jungen Leute hier auf der COP direkt auf die traurige Tagespolitik. Die Diskrepanz wird noch größer, weil der offizielle Titel der COP25 „Zeit zum Handeln“ heißt, davon aber alle weit entfernt sind.

Am Beginn der entscheidenden zweiten Konferenzwoche sieht es wieder einmal so aus, dass das übliche Drohen, Feilschen und Beleidigtsein wohl erst am Wochenende in einem Minimalkompromiss enden wird.

Viele Verhandler begrüßen die Aufmerksamkeit für das Thema. Aber Jochen Flasbarth, deutscher Umweltstaatssekretär, mahnt auch: „Wenn die Aktivisten erwarten, dass wir hier etwas entscheiden, das erst für nächstes Jahr geplant ist, muss man sagen: Das geht nicht“.

Wenn das „für Frust sorgt, müssen sie ihre Erwartungshaltung überdenken“. Er warnte vor „Frustschleifen, aus denen man nicht mehr rauskommt“. Mit Frust bei Klimaverhandlungen kennt sich Flasbarth aus. Seit sechs Jahren verhandelt er auf diesen Konferenzen.

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