Großbritannien nach der Unterhauswahl: Zu Weihnachten gibt's Brexit

Schon diese Woche soll das neue britische Unterhaus den Brexit bestätigen. Die Tories wollen Englands abgehängten Regionen jetzt etwas bieten.

Zwei Männer fotografieren sich

Was ein Freudentag: Ein Fan darf ein Selfie mit Boris Johnson machen Foto: Lindsey Parnaby/PA Wire/dpa

LONDON taz | Nach seinem fulminanten Wahlsieg will Boris Johnson schnell durchstarten. Der mit großer absoluter Parlamentsmehrheit wiedergewählte konservative britische Premierminister wird schon am Montag sein Kabinett umbilden und am Donnerstag mit der traditionellen Thronrede der Queen zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode sein Programm vorstellen.

Am Freitag sollen dann die Abgeordneten das Gesetz zur Umsetzung von Johnsons Brexit-Deal mit der EU verabschieden, das zu Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union am 31. Januar 2020 führen soll.

Die Kampagne „People’s Vote“ für ein zweites Brexit-Referendum hat daraus die Konsequenz gezogen, sich offiziell aufzulösen. Einzelne Aktivisten wollen trotzdem darauf drängen, dass Großbritannien nach dem Brexit möglichst eng an die EU gebunden bleibt.

Die Regierung widmet sich jetzt vor allem innenpolitischen Reformen. Sie sollen die von Labour abgefallenen Wähler und Regionen dauerhaft für die Konservativen sichern. So soll die Queen’s Speech die Ankündigung enthalten, kräftige reale jährliche Ausgabensteigerungen für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS erstmals gesetzlich festzuschreiben, ähnlich wie bisher nur bei der Entwicklungshilfe. Es geht um umgerechnet 40 Milliarden Euro zusätzlich über vier Jahre.

Medien berichten über Infrastrukturprogramm

In Medienberichten ist auch von einem Sofortprogramm zur Erneuerung maroder Infrastruktur in abgehängten Regionen Nordenglands im Umfang von 78 Milliarden Pfund (95 Mrd. Euro) die Rede. Dafür müsste eventuell die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke der Eisenbahn aus London Richtung Norden geopfert werden, die zunächst nur nach Birmingham führen soll und die schon jetzt auf 88 Milliarden Pfund kalkuliert wird, bevor auch nur die Bauarbeiten begonnen haben. Neue konservative Abgeordnete fordern, erst in Nordengland zu investieren.

Johnson weiß, dass sein Erfolg langfristig von einer Verbesserung der Lebensverhältnisse in alten Labour-Hochburgen abhängt. Am Samstag besuchte er Sedgefield, den Ex-Wahlkreis Tony Blairs im Nordosten Englands, den jetzt erstmals seit 84 Jahren ein Konservativer vertritt. Mit teils wortgetreuer Übernahme der Rhetorik Blairs sagte Johnson, die Politik müsse „den Menschen dieses Landes dienen“.

Reformen im Staatsapparat, ein neuer Staatshaushalt und ein neu zugeschnittenes Kabinett werden für Februar, nach dem Brexit erwartet.

Schottland für Johnson schwieriger wie Labour

Johnson muss sich auch überlegen, wie er mit Schottlands Forderung nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum umgeht. Nachdem die schottische Regionalpremierministerin Nicola Sturgeon dies am Freitag verlangt hatte, erteilte ihr Johnson umgehend eine Absage und verwies auf die Vereinbarung, dass das Referendum von 2014 eine einmalige Angelegenheit gewesen sei. Das wird aber den Streit nicht beenden.

Die Schottland-Frage wird für den konservativen Premier schwieriger als der Umgang mit der Labour-Opposition, die bis auf Weiteres mit sich selbst beschäftigt ist. Parteichef Jeremy Corbyn will zwar abtreten, aber erst dann, wenn die Nachfolge steht – also frühestens im Frühjahr 2020 –, statt wie sonst üblich einer neutralen Interimsführung zu weichen.

In Interviews behauptete Corbyn, Labour habe im Wahlkampf „das Argument gewonnen und die politische Debatte verändert“. Für die Niederlage machen seine Anhänger auf dem linken Labour-Flügel vor allem die Medien verantwortlich.

Wenig Selbstkritik bei Labour

Auf Twitter kursierten am Wochenende unter dem Hashtag #SocialistSunday Aufrufe, keine Zeitungen mehr zu lesen, kein Radio und Fernsehen mehr zu konsumieren und sich abzuschotten, bis man irgendwann neue Kraft schöpfen könne. Von Selbstkritik ist wenig zu spüren.

Der linke Flügel kontrolliert Labours Parteiorgane und kann daher die Modalitäten der Wahl von Corbyns Nachfolge bestimmen. Während der rechte Flügel den bisherigen Brexit-Sprecher Keir Starmer favorisiert, rufen viele Stimmen dazu auf, nicht einen geschliffenen Londoner Juristen zu wählen, sondern erstmals in Labours Geschichte eine Frau, am besten mit Arbeiterhintergrund – mit der unausgesprochenen Annahme, dass die nächsten Wahlen wohl sowieso verloren gehen.

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