Grüne Hermenau über Kohle und Atom: "Praktische Kapitalismus-Kritik"
Die Grüne Antje Hermenau glaubt, dass es im Kohlestreit nun ans Eingemachte geht, nämlich ans Hauptgeschäft der Energiekonzerne.
taz: Frau Hermenau, haben die Grünen ein Energieproblem oder ein Kommunikationsproblem?
Antje Hermenau: Wir haben eher ein Debattenproblem. Es ist merkwürdig, beim Atom jetzt die ganzen alten Schlachten wieder zu schlagen. Dabei hat sich an den Risiken der Atomkraft nichts geändert - sie sind offenbar nur in Vergessenheit geraten.
Woher kommen dann die Medienzitate von grünen Führungskräften, wonach die Grünen beim Atomausstieg angeblich wackeln?
Die bleiben ja ohne Namen. Ich weiß nicht, wer das sein soll. Aber wenn man etwas diskutieren will, hilft es, sich ein Herz zu fassen und nach vorn zu gehen. Es ist doch so: Jetzt wird's ernst - jetzt stellt sich die Frage, welchen ökonomischen Aufwand wir wirklich betreiben müssen, um das Klima zu schützen. Die Förderung der Erneuerbaren Energien lief ohne große Verhaltensänderungen. Aber jetzt geht's ans Eingemachte: Wer betreibt die Netze? Wer stellt die Gewinne der vier großen Energiekonzerne in Frage? Was jetzt kommt, ist praktische Kapitalismus-Kritik. Da bekommt mancher Muffensausen.
Beim Atom mögen Sie stehen - bei der Kohle gibts aber offensichtlich Ärger: Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher im Bundestag, will radikal raus aus der Kohle, eine knappe Grünen-Mehrheit sieht Kohle als Übergangstechnologie.
Den Konflikt kann man aber verstehen. Wir dürfen in diesem zentralen Punkt nicht das Vertrauen in unsere Kompetenz verspielen. Wir brauchen politisches Augenmaß, um mit unseren Forderungen mehrheitsfähig zu werden. Für echte Gewohnheitsänderungen brauchen wir mehr als die grüne Kerntruppe. Der Kohleausstieg ist deshalb eine strategisch-taktische Frage, kein inhaltliches Zerwürfnis.
Sie haben vor Ort ein besonderes Kohle-Problem: Die Sachsen identifizieren sich stark mit ihrer Braunkohle in der Lausitz. Braunkohle steht für Arbeitsplätze und heimische Energieversorgung.
Das stimmt so nicht. Es gibt regionale Unterschiede. Im Erzgebirge haben wir viel Zuspruch für kleinteilige, dezentrale Energieversorgung. Da hat man mit Braunkohle nichts am Hut. Auch in der Lausitz wächst das Interesse, was nach der Braunkohle kommt.
Sie verwenden den Begriff "Kohleausstieg", das wollen die Grünen doch gerade nicht, sondern ein "Kohle-Moratorium", also einen Übergangszeitraum?
Es geht hier um einen mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohle - wenn die laufenden Kraftwerke abgschrieben sind. Wir wollen kein ökonomisches Kamikaze. Aber die Braunkohle ist die dreckigste Energie, sie muss ein absehbares Ende haben.
Aber je teurer Strom und Gas werden, desto schwerer haben es die Ost-Grünen, die Leute vom Braunkohle-Ausstieg zu überzeugen, oder?
Der Braunkohle-Strom ist nicht billig. Vattenfall deckt den sächsischen Bedarf zu rund 85 Prozent aus Braunkohle, und die Leute sehen, dass das teuer ist. Das wird den Grünen auch nicht angehängt.
Ihnen dürfte doch der Vorwurf der abgehobenen Blütenträumerei täglich um die Ohren fliegen. In der letzten Umfrage sind die Sachsen-Grünen wieder unter die 5-Prozent-Marke gerutscht...
Das war eine Umfrage vor den Kommunalwahlen, andere sehen uns bei sechs und sieben Prozent. Wir schleppen noch ein paar Altlasten mit uns herum - den Beschluss damals etwa, der Liter Benzin solle fünf Mark kosten. Klar ist, dass wir die Energiefrage sozial diskutieren müssen. Wir müssen es schaffen, die Energiefrage auf den Einzelnen herunterzubrechen, aufzeigen, wie er sich der Preiswut der Konzerne entziehen kann. Es muss deutlich werden, dass Dezentralisierung, eine Stärkung der Stadtwerke, sozial und ökologisch sinnvoll sind.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN
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