Grüne und Ökonomie: Der geregelte Markt soll's regeln

Die Grünen richten ihre Wirtschaftspolitik neu aus. Sie wollen die Schuldenbremse lockern und setzen auf die sozial-ökologische Marktwirtschaft.

Nahaufnahme von Annalena Baerbock und Robert Habeck

Stellen sich auf dem Parteitag wieder zur Wahl: Annalena Baerbock und Robert Habeck Foto: Florian Gaertner/Photothek

BERLIN taz | Die Grünen werden auf ihrem Bundesparteitag weitreichende Neuerungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik beschließen. So wollen sie einen milliardenschweren Fonds für Investitionen des Bundes einrichten und dafür die Schuldenbremse lockern. „Der Investitionsbedarf ist enorm“, sagte Parteichef Robert Habeck am Dienstag der taz. „Wir können die Konjunkturschwäche nutzen, um die Wirtschaft umzubauen.“

In einer Phase mit Negativzinsen habe der Staat einmalig günstige Investitionsbedingungen, betonte Habeck. „Auch unsere europäischen Partner warten darauf, dass Deutschland endlich ernsthaft investiert.“ Ein Leitantrag des Bundesvorstands für den Parteitag in Bielefeld schlägt vor, die Schuldenbremse für den Bund so zu ändern, dass sie zu den Maastricht-Kriterien der EU passt.

Jene erlauben ein jährliches Defizit von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wenn die Schuldenquote eines Staats unter 60 Prozent des BIP liegt. Deutschland liegt knapp unter dieser Marke. Die Grünen wollten nun eine „verbindliche Investitionsregel“ einführen, sagte Habeck. „So gewinnen wir einen Spielraum von bis zu 35 Milliarden Euro für einen Bundesinvestitionsfonds.“ Der Staat könne so „antizyklisch gegen die Konjunkturschwäche investieren und die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz voran bringen.“

Die grüne Idee würde die deutsche Finanzpolitik umkrempeln. Die Schuldenbremse, die die große Koalition im Jahr 2009 beschloss, ist bisher deutlich restriktiver: Danach darf der Staat sich nur mit 0,35 Prozent der Wirtschaftskraft neu verschulden und die Länder dürfen es gar nicht – Ausnahmen kann es etwa in Wirtschaftskrisen geben. Die Grünen wollen ihren Investitionsfonds ebenfalls im Grundgesetz verankern.

Weg von der Schwarzen Null

Deutschland müsse aufhören, sich an das Symbol der Schwarzen Null zu klammern, forderte Habeck. „Wir müssen die ökonomischen Fragen mit den demokratischen zusammen sehen.“ Kündigungen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit träfen die Demokratie in einem labilen Zustand. „Wenn wir das laufen lassen, haben wir vielleicht eine schwarze Null im Haushalt, landen aber in einem schwarzen Loch.“

Der Vorschlag der Grünen ist aus mehreren Gründen elegant: Sie wissen, wie teuer ihre übrigen Vorschläge sind. Sie plädieren für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro pro Jahr, etwa für den Ausbau der Bahn oder eines Ladesäulennetzes für Elektroautos. Auch ihre Sozialpolitik ist kostspielig: Allein die sanktionsfreie Grundsicherung, die nach ihrem Willen Hartz IV ersetzen soll, schlüge mit 30 Milliarden Euro im Jahr zu Buche. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Grünen brauchen also viel Geld, um ihre Pläne zu verwirklichen. Sie sind aber vorsichtig geworden, wenn es um Steuererhöhungen geht, um dem Staat mehr Einnahmen zu verschaffen. Schließlich sind sie im Wahlkampf 2013 mit einem Konzept gescheitert, dass moderate Belastungen für Besserverdiener vorsah. Dass Aufbohren der Schuldenbremse bringt Geld ohne lästige Steuererhöhungen. „Gerade im Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen“, heißt es im Leitantrag der Grünen-Spitze.

Die Idee ist dabei keineswegs radikal – und anschlussfähig an den Mainstream. Internationale Ökonomen, vor allem jene im angelsächsischen Raum, kritisieren seit Langem die deutsche Sparpolitik. Selbst bei den fünf Wirtschaftsweisen, die Anfang November ihr Jahresgutachten vorstellten, ist die Diskussion angekommen. Für die Ökonomin Isabel Schnabel ist die Schuldenbremse mit Blick auf Investitionen „ein Hemmschuh“. Mehrheitlich sehen die eher marktliberalen Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten, allerdings keinen Reformbedarf.

„Grüne Revolution“ mit den Märkten

Die Grünen-Spitze bekennt sich in ihrem Leitantrag klar zur Marktwirtschaft. „Märkte können (…) eine grüne Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird“, heißt es darin. Als Ziel nennt sie eine „sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft.“ Eine solche sei das Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus.

Manchen in der Partei geht das Lob der Marktwirtschaft gegen den Strich. Die Grüne Jugend weist in einem Änderungsantrag darauf hin, dass der Wohlstand vieler im Kapitalismus auf der Zerstörung der Lebensgrundlagen und der Armut vieler anderer beruhe. Ihre Forderung: Die Grünen müssten ein „sozial-ökologisches Wirtschaftssystem entwickeln“. Ein anderes Wirtschaftssystem? Die Neigung zu böser Kapitalismuskritik dürfte im Grünen-Vorstand überschaubar sein. Sie passt nicht zum Versuch von Habeck und seiner Co-Chefin Annalena Baerbock, die bürgerliche Mitte zu gewinnen.

Nichts desto Trotz: Überall finden sich in dem Leitantrag der Grünen-Spitze ordnungspolitische Regeln, die die Wirtschaft ökologisch ausrichten sollen. So fordern die Grünen etwa europäische Klimazölle, die auf Importe aufgeschlagen werden müssten. „Die Politik darf sich nicht auf die Zuschauerrolle beschränken“, sagte Katharina Dröge, die wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Es sei nötig, die Monopolmacht internationaler Konzerne zu begrenzen und das Wettbewerbsrecht weiterzuentwickeln.

In der Sozialpolitik rücken die Grünen ein Stückchen nach links. Die Grünen-Spitze fordert als „Sofortmaßnahme eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro“. Er solle vor Armut schützen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,19 Euro. Die Höhe wird von einer unabhängigen Kommission festgesetzt, in der VertreterInnen von Gewerkschaften, Arbeitgebern und aus der Wissenschaft sitzen.

Kampfabstimmung beim Mindestlohn

Bei dem Thema könne es eine Kampfabstimmung geben, kündigte Habeck an. Der Grund: Der Vorstand möchte die Zielmarke von 12 Euro schnell politisch festlegen. Danach soll wieder die Kommission übernehmen.

Widerspruch kommt von Markus Kurth, dem Arbeitsmarkt- und Rentenexperten der Bundestagsfraktion. „Eine politische Festlegung würde die Mindestlohnkommission schwächen oder sogar existenziell gefährden“, sagte er. Stattdessen wirbt Kurth für die Formulierung, dass der Mindestlohn bei zwölf Euro liegen „müsste“. Außerdem möchte er die Kommission „reformieren und ihren Entscheidungsspielraum stärken“.

Der Dissens besteht also nicht im Ziel, sondern im Weg dorthin. Ein Alleinstellungsmerkmal ist ein Mindestlohn von 12 Euro ohnehin nicht mehr. Er wird seit Längerem auch von SPD und Linkspartei gefordert. Die Grünen, die die „führende Kraft der linken Mitte“ sein wollen, schließen sich also verspätet dem Mainstream links der Mitte an.

Der Bundesparteitag findet von Freitag bis Sonntag in Bielefeld statt. Neben inhaltlichen Abstimmungen wird auch der Bundesvorstand neu gewählt. Die Parteivorsitzenden Habeck und Baerbock, seit gut eineinhalb Jahren im Amt, stellen sich erneut zur Wahl. „Wir haben noch lange nicht fertig“, schreibt Baerbock in ihrer Bewerbung. Sie wollten das „Ausgreifen in die Breite der Gesellschaft als Bündnispartei“ ausbauen. Ihre Bestätigung im Amt gilt als sicher.

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