Gutachten zum „Amoklauf“ in München: Staatsanwaltschaft stellt sich taub

Für die Gutachter war der angebliche „Amoklauf“ ein rechtsextremes Hassverbrechen. Die Anklagebehörde widerspricht diesem Befund.

Besucher legen Blumen am Denkmal in München nieder

Blumen für die Opfer. Aber auch Gerechtigkeit? Gedenken zum Jahrestag am Tatort des Massakers Foto: dpa

BERLIN taz | Das Hauptmotiv des Attentäters David S., der im vergangenen Juli in und am Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss, bleibt weiter umstritten. Am Freitag wurden in München drei Gutachten zu der Tat, welche die Stadt München auf einen Antrag des Stadtrats hin in Auftrag gegeben hatte, öffentlich vorgestellt. Für alle drei Gutachter war der angebliche „Amoklauf“ ein rechtsextremes Hassverbrechen. Das genaue Motiv des Täters bleibt aber nach den Einschätzungen der Experten diffus.

Im Kleinen Sitzungssaal des Neuen Rathauses vertrat einer der Gutachter, der Politikwissenschaftler Florian Hartleb die Ansicht, der angebliche Amoklauf sei in Wirklichkeit ein sorgsam geplantes, rechtsextremes Hassverbrechen und ein Terroranschlag gewesen. Dass sich S. vorrangig für Mobbing in der Schule habe rächen wollen, reiche als Erklärung nicht aus.

Das Geschehen könne „als Akt eines allein handelnden Terroristen“ bezeichnet werden, heißt es im Gutachten des Direktors des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Matthias Quent. Dabei seien allerdings persönliche und politische Faktoren „untrennbar miteinander verschmolzen“. Im Ergebnis müsse die Tat zwingend als „politisch motivierte Kriminalität“ eingeordnet werden.

Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer Haltung

Die Münchner Staatsanwaltschaft widerspricht diesem Befund. „Wir sehen nach wie vor das vom Täter erlittene Mobbing im Vordergrund“, sagte die Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann. Der Täter sei einer rechtsextremen Einstellung gefolgt, doch seien die Kränkungen „tatauslösend“ gewesen. Auch der Leiter der Sonderkommission des Bayerischen Landeskriminalamts, Jürgen Miller, sagte, der Mehrfachmord sei „von Rache und Wut geleitet“ gewesen. Die bayrische Landesregierung teilt diese Einschätzung.

David S. hatte am 22. Juli 2016, dem fünften Jahrestag des rechtsterroristischen Breivik-Massakers in Norwegen, bei einem monatelang geplanten Amoklauf neun Menschen erschossen, die meisten waren Jugendliche mit türkischem und albanischem Migrationshintergrund. Danach tötete er sich selbst, bevor die Polizei ihn stellen konnte.

Der Berliner Professor für Politikwissenschaft und Soziologie Christoph Kopke sieht ebenfalls ein politisches Motiv, meint aber, die psychischen Erkrankungen von David S. seien „der eigentliche Antrieb“ für die Tat gewesen. Es sei dem Täter „nicht darum gegangen, eine politische Aussage zu treffen“, meint Kopke.

Grüne und Linke fordern Neubewertung

Nach Auskünften des Innen- sowie des Justizministeriums in Bayern hatte der Attentäter am Tag des Amoklaufs auf seinem Computer eine Datei erstellt mit dem Titel: „Ich werde jetzt jeden Deutschen Türken auslöschen egal wer“. Zudem gaben die Ministerien Einblick in das „Manifest“, das der 18-Jährige ein Jahr vor der Tat geschrieben hatte. Darin schreibt er von „ausländischen Untermenschen“ mit meist „türkisch-balkanischen Wurzeln“.

Insgesamt drei Gutachter untersuchten im Auftrag der Stadt München die Hintergründe des Gewaltakts. Verschiedene Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung und der Westdeutsche Rundfunk (WDR), hatten schon vorab über einige Ergebnisse der Gutachten berichtet.

Politiker von Grünen und Linken, darunter die Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau und die Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, hatten daraufhin in der taz von der bayrischen Staatsregierung und den Behörden verlangt, den Fall neu zu bewerten und die Tat als rassistischen Terroranschlag einzustufen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte bereits bei der Gedenkfeier zum Jahrestag des Massakers am 22. Juli 2017 eine Neubewertung angemahnt.

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