Half Girl und „All Tomorrow's Monsters“: Rock it like Half Girl

Lauter Persönlichkeiten des deutsch-österreichischen Indierock finden bei Half Girl zueinander. Das Warten auf ihr Debütalbum hat sich gelohnt.

Nicht nur Flötistinnen der Extraklasse: Half Girl Foto: Half Girl/Monika Martin

Neulich im Berliner Club ausland: Spannung liegt in der alkoholgeschwängerten Luft. Die sich sonst lässig gebende Szeneprominenz tippelt unruhig von einem Bein aufs andere. Es soll diese Band auftreten, die aus lauter Persönlichkeiten des deutsch-österreichischen Indierock besteht.

Eine All-Girl-Band, die von Donald Duck und von Sixties-Pop, von Monstern und Motörhead, von Krach und Kinderliedern beeinflusst ist und die nun, nach langen Jahren des Wartens, ihr Debütalbum „All Tomorrow’s Monsters“ veröffentlicht.

Half Girl heißt die Gruppe, von der die Rede ist – und der Abend wird wahrlich eine Sause. Sängerin Julie Miess, die man von den Bands Britta und Mutter kennt, steht vorn am Keyboard und scheint dabei das Mikrofon manchmal fast verschlingen zu wollen, während sie Songs wie „Girl In A Band“ oder „Bootyman“ singt. Ihre Band spielt guten, alten, handgemachten Rock ’n’ Roll, der wie für verschwitzte, karge Clubs gemacht scheint. Die aufgestaute Spannung entlädt sich in zuckenden Beinen und in Singalongs. Half Girl rocken. Und wie.

Wenige Wochen später sitzen Half of Half Girl in einer Kneipe in Kreuzberg 61, namentlich Sängerin Julie Miess und Bassistin Gwendolin Tägert. Bei einer Weißweinschorle machen sie Witzchen untereinander. Beide sind seit fast 20 Jahren in verschiedenen Bands aktiv, Tägert ist auch Bassistin und Sängerin der LoFi-Pop-Band Mondo Fumatore.

Hippieske Unbeschwertheit

Half Girl aber sind etwas Besonderes für sie – wie sie jetzt erst bei einer Mini-Tour feststellte: „Die Strapazen lohnen sich. Es macht einfach Riesenspaß und bringt so viel Freude. Hört sich hippiemäßig an, aber es ist auch eine hippiemäßige Freude, die da rauskommt.“

Ein bisschen hippieske Unbeschwertheit klingt auch in den 13 Songs des Albums an, die sich zwischen frühem Rock ’n’ Roll und Indie- oder Noiserock bewegen, bei den Refrains gibt es oft mehrstimmigen Gesang. Die andere Half-Girl-Hälfte – Anna-Leena Lutz (Ex-Die Heiterkeit) und Vera Kropf (Luise Pop) – mischt da tatkräftig mit.

Dabei existieren Half Girl bereits seit 2009, in frühen Bandtagen bediente Jens Friebe noch die Bassgitarre – er musste, wie er selbst nun im Bandinfo schreibt, nach „amourösen Verwerfungen“ sein Amt niederlegen. Zur jetzigen Bandkonstellation fand man 2013.

Das Album: Half Girl: „All Tomorrow’s Monsters“ (Siluh Records/Cargo)

Die Tour: 11.1.2017 München, 12.1. Regensburg, 13.1. Wels/A, 14.1. St. Pölten/A, 15.1. Feldkirch/A, 16.1. Innsbruck, 17.1. Graz, 18.1. Wien

Die Monsterthematik in den Songs („Monstergang“, „There’s a monster in you/ a monster in me“) kommt nicht von ungefähr. Miess hat vor einigen Jahren ihre Doktorarbeit als Kulturwissenschaftlerin zum Genre Horror geschrieben – der Band gibt sie nun ein Metathema. „Ich finde, mit künstlichen Charakteren wie den Monstern lässt sich das Reale besonders gut beschreiben“, sagt sie.

Sexismus im Musikgeschäft

Musikalisch bringen alle vier hörbar unterschiedliche Einflüsse mit. Angesichts der Referenz im Titel – „All Tomorrows’s Parties“, Velvet Underground – überrascht es nicht, dass Bassistin Tägert Lou Reed und dessen Band als wichtigen Input nennt, aber genauso Dinosaur Jr. oder Hüsker Dü. Für die sperrigeren Klänge ist wohl Miess verantwortlich: „Die Musik, die ich am Tollsten fand, war eigentlich immer Krach. Schöner Krach. Ich fand die Band Mutter, bei der ich jetzt Keyboard spiele, auch vorher schon super. Aber ich merke, dass mich auch Lieder aus meiner Kindheit, also Kirchen- und Kinderlieder beeinflusst haben.“ Ein weiterer Einfluss: Julie Miess’ kürzlich verstorbener musikalischer Seelenverwandter Lemmy Kilmister. Dem widmete sie auch ein Stück: „Lemmy, I’m A Feminist“.

Ist ihnen das All-Girl-Etikett wichtig? „‚All-Girl‘ klingt nach sympathischen US-amerikanischen Sixties-Bands, von daher gar nicht schlecht“, sagt Miess. „Eigentlich ist es etwas absurd, sich Girlband zu nennen, wo wir beide doch über vierzig sind.“

Andererseits kann man angesichts des Sexismus im Musikgeschäft wohl gar nicht genug die Women-Power betonen. „Es passiert zwar nicht mehr so oft, dass du in einem Club von einem männlichen Mischer herablassend behandelt wirst“, erzählt Miess, „aber wenn es passiert, fühlt es sich schlimm an.“

Neben Half Girl haben alle Musikerinnen Zweit- und Drittbands und Dayjobs – Miess arbeitet in einem wissenschaftlichen Verlag und Tägert, übrigens die Schwester von Comiczeichner Fil, im Schöneberger Scheinbar Varieté. „Natürlich ist das nicht immer alles easy, es ist auch harte Arbeit“, sagt Miess, „du tourst und gibst dafür deinen ganzen Urlaub her oder sagst Aufträge ab. Wir alle stehen ja auch unter existenziellem Druck.“ Ein bisschen easier wird alles für sie erst dann, wenn sie ihre gut gelaunten Hymnen herunterrocken können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.