Hamburgs Flüchtlingskoordinator über Notunterkünfte: „Es ist ein Provisorium“

Die Baumarkt-Hallen als Unterkünfte wieder aufzulösen, ist keine Sache von wenigen Monaten, sagt Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel.

„Manche Vermieter versuchen, unsere Zwangslage auszunutzen“: Anselm Sprandel. Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Sprandel, Sie sind seit drei Monaten Flüchtlingskoodinator. Wie viele Menschen leben in Zelten und Baumarkthallen?

Anselm Sprandel: Wir haben noch rund 750 Menschen, die in beheizbaren und größtenteils winterfesten Zelten leben. Und wir haben neun Gewerbehallen, in denen rund 6.500 Menschen leben.

Leben die dort längere Zeit?

Ein paar Tage sind es nicht. Aber wir versuchen dafür zu sorgen, dass die Asylsuchenden bald in bessere Containerunterkünfte kommen. Es soll nicht so sein, dass sie dort sechs Monate oder länger bleiben.

Haben Sie die Hallen besichtigt?

Ich habe mir einige Einrichtungen angesehen, auch eine Halle.

1959 in Paris geboren, leitet seit Oktober den Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge. Der studierte Volkswirt ist seit 1992 in der Hamburger Verwaltung tätig und leitete seit 2004 den Kita-Bereich, 2006 wurde er Verwaltungsleiter der Sozialbehörde

Wie leben die Menschen dort?

Es ist eine große Halle, die in Kompartimente unterteilt ist. Das sind sozusagen Waben, mit Leichtbau-Wänden, die nach oben offen sind. Dort stehen acht Doppelstockbetten und Spinde. Tische und Stühle will der Betreiber auch noch hinein stellen. Die Spinde stehen so, dass mehr Privatheit entsteht.

Aber die Geräusche hören alle, selbst wenn nachts einer hustet.

Ja. Es gibt ein Grundrauschen im Raum. Es ist natürlich keine abgeschlossene Wohnung.

Und das Licht? Wir hörten, in einigen Hallen brennt es nachts.

Dort geht es um 21 Uhr aus.

Es gibt Konflikte. Ein Soziologe sagte, will man Menschen aggressiv machen, muss man sie in Hallen unterbringen.

Je enger eine Halle belegt ist, je länger die Menschen dort sind, desto mehr steigt das Konfliktpotential. Aber dass dies ein Automatismus ist, würde ich nicht sagen.

Finden Sie es menschenwürdig?

Ja. Aber es ist ein Provisorium. Wir wollen Hallen nicht als Unterbringungsform etablieren. Wie Sie wissen, hatten wir einen sehr, sehr hohen Zugang im Herbst. Aus der Situation heraus waren wir dazu gezwungen. Die Alternative sehen Sie in Berlin. Da mussten Menschen zum Teildraußen schlafen.

Aber Sie planen eine weitere Halle am Hellmesberger Weg.

Genau. Aber dort setzen die Planer das um, was sie gelernt haben. Was Sozialräume angeht oder die Einrichtung von Familienkompartimenten.

Bei den Hallen bestand anfangs das Problem, dass es diese Unterteilungen nicht gab. Nun werden diese Hallen nach und nach ertüchtigt, damit dort richtige Zimmerwände sind. Wenn solche Abtrennungen fehlen, dann entstehen leichter Rangeleien und Probleme.

Haben sie den Plan, diese Hallen wieder aufzulösen?

Ja, auf jeden Fall. Aber das ist keine Sache von wenigen Monaten. Wenn der Zugang so weiter geht, müssen wir uns sehr anstrengen, auch die Menschen, die noch kommen, vernünftig unter zu bringen. Dann ist noch nicht daran zu denken, die Hallen zu ersetzen. Nur die Halle Hörgensweg geben wir im März auf, weil der Vertrag ausläuft.

Brauchen Sie weitere Hallen?

Das will ich nicht ausschließen. Bei den großen Baumärkte ist das Angebot schon sehr überschaubar.

Warum beschlagnahmen Sie nicht Büroräume?

Wir nutzen am Albert Einstein Ring, am Friesenweg und weiteren Standorten Büros. Und es werden weitere geprüft. Dort müssen aber auch ausreichend Sanitär- und Sozialräume vorhandensein. Dazu kommt, dass manche Vermieter versuchen, unsere Zwangslage auszunutzen.

Schleswig-Holstein bietet jetzt Platz für Hamburg in seinen Erstunterkünften an. Könnte man so nicht schneller auf Gewerbehallen verzichten?

Wir sind mit den Nachbarländern im Gespräch, auch mit Schleswig-Holstein. Aber es gibt derzeit noch keine konkreten, fertig verhandelten Vereinbarungen.

Sind auch Kinder in den Hallen? Ja. Wir waren schon froh, dass wir die Kinder aus den Zelten an der Schnackenburgsallee heraus bekamen. Die Zeltstadt ist jetzt leer, aber sie war eine reine Männerunterkunft geworden. So können und wollen wir in der Regel nicht vorgehen. Man kann die Familien nicht auseinander reißen.

Gibt es in Hallen Kinderbetreuung.

Ja, aber es konnte noch nicht überall realisiert werden. Im November hatten wir in 17 der rund 30 ZEAs eine niedrigschwellige Kinderbetreuung.

Warum ist das nicht Standard?

Weil wir die Erstaufnahmekapazitäten sehr schnell von 4.000 auf über 20.000 Plätze aufbauen mussten. Außerdem hatten wir am Anfang die Hoffnung, z.B. schnell wieder aus den Hallen heraus zu kommen.

Gibt es Standrads an Beschäftigungsangeboten?

Es gibt Deutschkurse von Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Angebote der Jobcenter. Das allerdings nicht für alle, sondern für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive. Dann gibt esSprachkurse, die von der Stadt finanziert werden. Und zum Glück gibt es ein breites Angebot von ehrenamtlicher Unterstützung.

Initiativen berichten, sie kämen nicht in die Hallen.

Die Klagen sind uns bekannt. Die Betreiber können aber nicht einfach die Tür aufmachen. Wir müssen z.B. darauf achten, dass dort keine Salafisten oder Rechtsradikale hinein kommen. Und dass es Menschen sind, die verantwortlich handeln. Helfer müssen einen Fragebogen ausfüllen, ein Führungszeugnis beibringen und eine Vereinbarung unterschreiben. Trotzdem ist es eine Sache des Fingerspitzengefühls, den Zugang so zu organisieren, dass sich Ehrenamtliche nicht behindert oder abgewiesen fühlen. Ich habe vor, hierüber mit fördern wohnen zu sprechen ...

Sind sie Ansprechpartner für Ehrenamtliche? Die Fühlen die sich mittlerweile ausgenutzt.

Hier sieht man sehr schön die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, sich selbst zu organisieren. Wenn wir irgendwo eine neue Unterkunft eröffneten, waren die Initiativen meist schon da: Hier sind wir, wo können wir helfen? Das finde ich ganz toll. Natürlich gibt es immer etwas kritisch zu hinterfragen. Aber warum sollten Ehrenamtliche sich ausgenutzt fühlen? Mir gegenüber haben sie sich bisher nicht darüber beklagt.

Ehrenamtliche machen die Arbeit des Senats. Viele leisten seit Monaten einen Vollzeitjob, den Ihnen keiner bezahlt. Zum Beispiel bei der Hilfe für Transitflüchtlinge am Hauptbahnhof.

Ich sehe es nicht so, dass die Ehrenamtlichen die Arbeit des Senates machen. Es gibt bestimmte gesetzliche und humanitäre Verpflichtungen. Die muss der Staat erfüllen und das tut er auch – wo nicht, müssen wir nachbessern. Darüber hinaus gibt es ganz viel Engagement von Ehrenamtlichen, die Dinge leisten, die der Staat nicht leisten muss, die aber unsere Gesellschaft menschlicher machen. Das ergänzt sich, ist komplementär.

Wie ist das mit Kleiderkammern? Kleidung gehört zur Grundversorgung.

Das ist richtig. In den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen die Flüchtlinge - soweit ihnen etwas fehlt - vom Staat mit Kleidung versorgt werden. Bei uns wird das zum Teil durch ehrenamtlich organisierte Initiativen abgedeckt, die ein riesig großes Aufkommen an privaten Kleiderspenden weitergeben. Ich hielte es nicht für wünschenswert, diese Spenden nicht zu nutzen und statt dessen die Flüchtlinge z.B. mit Einkaufsgutscheinen auszustatten und selbst loszuschicken.

Mitte Februar wollen Sie eine eine Art Super-ZEA mit drei Hallen in Meiendorf eröffnen.

Wir wollen, dass die Flüchtlinge, die neu zu uns kommen, innerhalb weniger Tage registriert undärztlich untersucht werden, ihren Asylantrag stellen und die gesetzlichen Sozialleistungen beantragen können. Es sollen dort alle verwaltungstechnischen Schritte an einem Ort erledigt werden.

Hoffen Sie, dass mehr Flüchtlinge auf andere Länder verteilt werden?

Asylsuchende, die nicht in Hamburg bleiben, werden dann gar nicht erst in die dezentralen Unterkünfte kommen. Wir haben im Augenblick eine große Zahl von Asylsuchenden, die hier bleiben, bis sie weiter verteilt werden. Die dadurch gebundenen Kapazitäten werden frei, wenn die Verteilentscheidung unmittelbar nach der Ankunft getroffen wird.

Der Senat will jetzt 5.600 Sozialwohnungen zusätzlich bauen, in Groß-Siedlungen.

Wir wehren uns gegen den Begriff Großsiedlungen, weil er ein falsches Bild assoziiert. Großsiedlungen haben mehrere tausend Wohnungen, bis zu 13.000 wie in Neuwiedenthal.

Hier geht es darum, von den temporären Unterkünften wegzukommen und Festbauten zu errichten, die perspektivisch dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen werden. Die Bezirke hatten die Auflage bekommen, Flächen in der Größenordnung von jeweils bis zu 800 Wohnungen nachzuweisen. Das war in einigen Bezirken aus verschiedenen Gründen nicht realisierbar. Dort wird daher auch mit kleineren Flächen und Quartiersgrößen geplant.

Sind kleine Flächen nicht gerade gut? Dann ist die Ghetto-Gefahr kleiner.

Das ist ambivalent. Wir brauchen Unterkünfte in großer Zahl. Das ist leichter, wenn man große Einheiten hat. Wir müssen über diese Unterkünfte einen großen Teil des Platzbedarfes decken. Wenn wir darauf verzichten und sagen, wir suchen Quartier für Quartier Flächen für wenige 100 Plätze, dann brauchen wir einfach länger.

Bei 4.000 Menschen besteht keine Gefahr der Ghettobildung?

Es gibt die Gefahr, wenn man es falsch macht. Aber wir sind der Überzeugung, dass man dieser Gefahr begegnen kann. Wenn die Leute Deutsch lernen, einen Job haben, die Kinder eine Kita und Schulen besuchen, dann kommen sie heraus aus den Quartieren. Dann kann Integration verwirklicht werden und die Standorte verlieren ihren Schrecken.

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