Handel zwischen Europa und Südamerika: „TTIP wäre größer gewesen“

Die EU will bald einen Freihandelsvertrag mit den Mercosur-Staaten abschließen. Maritta Strasser erklärt, warum Campact spät gegen das Abkommen mobilisiert.

Ein Mann auf einem Pferd hütet Rinder

Cowboy-Romantik in Argentinien? Ach was. Die Rinder können ein Bestandteil des geplanten Freihandelsabkommens sein Foto: dpa

taz: Frau Strasser, Campact sammelt Unterschriften für eine Onlinepetition gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur. Der Vertrag könnte dazu führen, dass Europa viel mehr Billigfleisch importiert als je in den TTIP-Verhandlungen mit den USA geplant war. Jetzt steht das Mercosur-Abkommen kurz vor dem Abschluss. Warum haben Sie Ihre Petition so spät gestartet?

Maritta Strasser: Wir brauchen eine gewisse Dringlichkeit, damit die Leute motiviert sind, und wir auf die Teilnehmerzahlen kommen, die für eine politische Wirkung nötig sind. Und erst jetzt haben die EU-Staaten gesagt, dass sie das Abkommen im März abschließen wollen.

Bei TTIP und dem Abkommen mit Kanada, Ceta, sind Sie doch viel früher eingestiegen. Warum?

Bei TTIP gab es eine sehr breite Bürgerbewegung. Wir von Campact können nicht sagen: „Leute, marschiert!“, und dann marschieren die, sondern die müssen schon vorher motiviert sein.

Warum gibt es keine so breite Bürgerbewegung gegen das Mercosur-Abkommen?

Wenn TTIP gekommen wäre, wären 40.000 US-Unternehmen, die in der EU investiert haben, bei den Schiedsgerichten des Vertrags klageberechtigt gewesen. Aus den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sind das viel weniger. Wir haben nicht tausende brasilianische Konzerne, die hier irgendwelche Wasserversorger, Krankenhäuser oder andere sensible Dinge privatisieren und kaufen könnten. Aber da mischen sehr wohl US-Konzerne mit.

53 Jahre, ist Teamleiterin Kampagnen des Vereins Campact, der mit Online-Appellen für nach eigenen Angaben „progressive Politik“ kämpft.

Die EU-Kommission sagt, dass es in dem Mercosur-Abkommen nur um Freihandelsthemen wie Zölle, nicht um Investitionsschutz und Schiedsgerichte gehen solle. Ist deshalb der Protest kleiner?

Ja, der Investitionsschutz war einer der größten Aufreger bei TTIP. Wir wissen nicht, ob der überhaupt im Mercosur-Abkommen sein wird. TTIP wäre ein viel größeres Ding gewesen.

War der Widerstand gegen TTIP auch deshalb größer, weil der so genannte Anti-Amerikanismus ein Motiv war?

Das war kein Widerstand gegen die USA, sondern wir haben gemeinsam mit unseren amerikanischen Freundinnen und Freunden wie Public Citizen und vielen anderen Organisationen gegen die Interessen großer Konzerne gekämpft. Aber es gibt tatsächlich große kulturelle Unterschiede, eine Fremdheit mit vielen Traditionen in den USA: Zum Beispiel dass dort der Staat als Gegner und nicht als Garant unserer Rechte gesehen wird. Das ist kein Anti-Amerikanismus, sondern das sind einfach unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft. Daraus wird ein Problem, wenn ein Abkommen Dinge vereinheitlichen soll. Dann kommt es zum Konflikt, und das ist völlig berechtigt.

Was genau spricht gegen das Mercosur-Abkommen?

Das Kalkül dieses Vertrags ist, dass die Südamerikaner ihre Märkte für europäische Industrieprodukte öffnen und Europa die Zölle senkt vor allem für Agrarprodukte wie Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol. Dann werden viele Bauern in der EU pleite gehen. Denn sie können nicht mit der südamerikanischen Billig-Fleischerzeugung auf riesigen Flächen, teilweise auf der Basis von Landraub sowie sklavenähnlicher Ausbeutung von Landarbeiterinnen und Landarbeitern, mithalten. Das bedroht zum Beispiel die konventionelle Haltung von Rindern auf der Weide in Europa. Gleichzeitig wird in Brasilien und Argentinien Regenwald abgeholzt, um die Produktion noch weiter auszuweiten, wenn die Exporte steigen – mit den entsprechenden Folgen für das Klima.

Was bedeutet das Abkommen für die Industrie des Mercosur?

Die Industrieprodukte, die wir dann exportieren, können nach Brasilien und Argentinien, vernichten dort Industriearbeitsplätze. So haben wir auf beiden Seiten des Atlantiks Verliererinnen und Verlierer. Die Gewinner sind in der Regel große Konzerne, und ob sie diese zusätzlichen Gewinne auch anständig versteuern, dagegen spricht die Erfahrung.

Die Befürworter sagen: Selbst wenn ein paar Bauern in der EU pleite gehen sollten, sichern wir so viel besser bezahlte Arbeitsplätze etwa in der deutschen Autoindustrie.

Das könnte durchaus sein. Nur: Die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von Exporten und der Autoindustrie ist ein Problem, das man angehen muss. Wir müssen hin zu einer ausgewogenen Handelsbilanz, zu einer Wirtschaft, die klimaverträglich und nachhaltig ist, und nicht von wenigen großen Konzernen abhängig ist. Gerade die Strafzölle, die US-Präsident Donald Trump verhängt hat, zeigen ja, wie anfällig unsere Wirtschaft ist, weil wir so stark von Exporten abhängen.

Was verlangen Sie?

Wir fordern, das Abkommen mit dem Mercosur erst einmal nicht abzuschließen und offenzulegen, was da genau verhandelt wird.

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