Handelskammer im Nationalsozialismus: Verbrechen hanseatisch verschleiert

Der Band „Hamburgs Handelskammer im Dritten Reich“ stilisiert Hamburgs im Nationalsozialismus stark korrumpierte Kaufleute zu Helden.

Das Schlachtschiff Bismarck wird in der Werft Blohm und Voss zu Wasser gelassen

Gar nicht so ehrbare Kaufleute: Auch Werftbauer wollten an Arisierungsgewinnen teilhaben. Foto: dpa

HAMBURG taz | „Eine umfassende wissenschaftliche Darstellung zur Geschichte der Hamburger Handelskammer in Dritten Reicht steht noch aus.“ Christoph Strupp, Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, findet klare Worte zu dem Buch „Hanseaten unterm Hakenkreuz“, das der Journalist Uwe Bahnsen kürzlich vorlegte.

„Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich“ ist es untertitelt und erzählt die Geschichte von Hamburgs Handelskammer zwischen 1932 und 1945. Initiiert hat es die Kammer selbst, und weite Teile von Hamburgs Presse und Öffentlichkeit haben den Band als längst fälligen Akt der Aufarbeitung bejubelt.

Das sehen einige Historiker anders. Das Problem, sagt Rainer Nicolaysen, Geschichtsprofessor an der Uni Hamburg und Vorsitzender des Vereins für Hamburgische Geschichte, beginne schon mit den Titel „Hanseaten unterm Hakenkreuz“.

Er suggeriere, die Nationalsozialisten seien eine fremde Obrigkeit gewesen. Auch Formulierungen wie „die Firma Hamburg in schwerer See“ und das „verhängnisvolle Jahr 1939“ legten ein schicksalhaftes Hereinbrechen des NS-Regimes über Hamburgs Kaufmannschaft nahe.

Aber das stimmt so nicht: Zwar war die auf Autarkie setzende NS-Ideologie den Exportinteressen der Kaufleute entgegengesetzt. Doch die passten sich an. „Sie haben sich mit dem Expansionsdrang des Nationalsozialismus sehr gut arrangiert und tragen tiefe Mitverantwortung für den Raubkrieg der Nazis“, sagt Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

In der Tat beteiligten sich Hamburger Kaufleute nicht nur an der „Arisierung“ samt Enteignung und Billig-Erwerb jüdischer Unternehmen und Immobilien. Die Kammer schloss auch aktiv jüdische Mitglieder aus.

Fakten werden relativiert

Das alles erwähnt Buchautor Bahnsen, relativiert aber sofort: Der „politische Druck“ habe die Kammer dazu gezwungen. Wie sich der äußerte und ob es Handlungsspielräume gegeben hätte, erfährt man nicht.

Auch an der „Germanisierung“ - der gewaltsamen Aneignung von Betrieben in den von Hitler besetzten Ländern - beteiligten sich Hamburger Kaufleute: „Was die ,Arisierung‘ und ,Germanisierung‘ betraf, so meldeten die großen Hamburger Firmen nachdrücklich ihr Interesse an, daran angemessen beteiligt zu werden“, schreibt Bahnsen.

Die Kaufmannschaft habe nämlich im Dritten Reich, sagt Strupp, „eine Definition von Hanseatentum entwickelt, die durchaus mit der Ostexpansion kompatibel war“. Die ideologischen Schnittmengen beziehungsweise die Art, wie Ehrbare Kaufleute keine Hemmungen hatten, sich an dieser Politik zu beteiligen, hätte man in dem Buch aber deutlicher manchen müssen, findet Strupp. Doch Bahnsen schreibt nur, Hamburger Kaufleute seien an Arisierung und Germanisierung „im großen Stil beteiligt“ gewesen. Details fehlen.

Dieses knappe Benennen von Verantwortung, garniert mit der pflichtschuldigen Phrase: „das war ein großes Unrecht“ - durchzieht das gesamte Buch.

Mehr noch, immer wieder finden sich Sätze wie: „Niemand kann leugnen, dass es um bedrückende Beispiele fehlender Zivilcourage geht, aber genauso erhebende Beweise für Mut und Verantwortungsbewusstsein in Stunden, in denen alles auf dem Spiel stand.“ Solche Formulierungen legen nahe, beides habe sich die Waage gehalten. „Leider ist das von der damaligen Realität weit entfernt“, sagt Nicolaysen.

Zudem macht Autor Bahnsen einen Unterschied zwischen Großkaufleuten und Mittelstand. Es habe einen „auch vor 1933 virulenten Antisemitismus des Mittelstands, zum Beispiel der meisten Handwerksinnungen und Berufsverbände“, gegeben. Über die Großkaufleute schreibt er bloß, man habe sich „arrangiert, manchmal mehr“.

Doch was heißt „manchmal mehr“? Wie opportunistisch war die Handelskammer wirklich? Darüber schweigt Bahnsen. Stattdessen pflegt er jenen vornehm verallgemeinernden Duktus, den gediegene Hanseaten gern nutzen, um Verantwortung zu verschleiern.

Auch Sätze wie „diese Politik konterkarieren zu wollen, wäre von vornherein aussichtslos gewesen“, intonieren die Rechtfertigungs-Rhetorik von Mitläufern und tätern.

Diese Eindimensionalität, dieses „Heruntererzählen von Ereignissen ohne Einordnung“ monieren Historiker wie Strupp. „In jeder Hinsicht bleibt das Buch auf einer oberflächlichen Ebene; eine an wissenschaftlichen Standards orientierte Beschäftigung mit dem Thema sähe ganz anders aus“, sagt auch Nicolaysen.

Es fehle die kontextualisierende Interpretation. So werde nicht erklärt, „inwiefern bestimmte Vorstellungen, die in Wirtschaftskreisen Hamburgs damals verbreitet waren, kompatibel waren mit dem NS-Regime“, sagt Strupp. Auch erfahre man fast nichts über personelle und strukturelle Verflechtungen zwischen Handelskammer und NS-Wirtschaftsorganisationen.

„Wer hat mit wem kooperiert, wer hat wen gefördert?“, fragt Strupp. „Wie ist die Handelskammer mit der im Nationalsozialismus so wichtigen Symbolpolitik umgegangen? Wie sah bei den Versammlungen des Ehrbaren Kaufmanns die Saaldekoration aus?“ All das wären Hinweise auf den Grad an Anpassung gewesen.

Da war „sehr viel mehr bewusstes Sich-Engagieren, als das Buch erkennen lässt - gerade im Hinblick auf das Korruptionssystem Karl Kaufmann“, sagt auch Franklin Kopitzsch, Geschichtsprofessor und Leiter der Arbeitsstelle Hamburger Geschichte an der Uni, mit Blick auf den auch der Handelskammer vorgesetzten Hamburger NS-Reichsstatthalter Kaufmann.

Solche Verflechtungen blitzen im Buch nur kurz auf. Dabei gibt es im Handelskammer-Archiv sicher Informationen darüber. „Aber dieses Archiv wird auffallend selten erwähnt. Dabei müsste es doch Ausgangspunkt der Recherche sein“, sagt Strupp.

Abgesehen davon spiegele das Buch nicht den aktuellen Forschungsstand: „Die Behauptung, zur Zwangsarbeit in Hamburg gäbe es nicht viel Forschung, stimmt schlicht nicht“, sagt Strupp. „So ist etwa die 2006 von Friederike Littmann vorgelegte Monographie ein umfassendes Standardwerk zu dem Thema.“ Bahnsen erwähnt sie nicht.

Eigenartig ist zudem die Gewichtung. Das Buch widmet sich sehr ausführlich dem Kriegsende - vor allem den Bemühungen des Reichsstatthalters Kaufmann, des Kampfkommandanten Alwin Wolz und des Unternehmers Albert Schäfer um die kampflose Übergabe Hamburgs an die Engländer, die mit totaler Zerstörung gedroht hatten.

In der Tat unterliefen diese Verhandlungen den Befehl Hitlers, Hamburg bis zuletzt zu verteidigen. Sowohl das Buch als auch der nach dem Schlusskapitel gedrehte NDR-Film preisen diese Bemühungen aber als Akt des Widerstands gegen das NS-Regime und feiern Hamburgs Kaufleute als Helden.

„Da werden Mitverantwortliche zu Rettern stilisiert“, sagt Detlef Garbe. „Aber das Handeln in den letzten Kriegstagen kann angesichts der Verantwortungslosigkeit, die während der NS-Zeit geherrscht hatte, nicht in die Waagschale geworfen werden.“

Hoher Preis für Übergabe

Da werde, ergänzt Strupp, verschwiegen, „dass es nicht nur um patriotische Gefühle ging, sondern auch um handfeste Eigeninteressen. Die Zerstörung der Stadt und der wirtschaftlichen Infrastruktur wären für die Unternehmen eine materielle Katastrophe gewesen.“

Abgesehen davon, sagt Garbe, verschwiegen Buch und Film den Preis für die kampflose Übergabe: die Räumung des KZ Neuengamme und aller Außenlager. Was dazu führte, dass viele der 10.000 Neuengammer Häftlinge in „Todesmärsche“ nach Bergen-Belsen, Sandbostel und Gardelegen sowie auf Schiffe in der Lübecker Bucht geschickt wurden.

Eins davon, die „Cap Arcona“, wurde am 3. Mai 1945 von den Alliierten beschossen. 6.600 KZ-Häftlinge starben. „Gauleiter Karl Kaufmann hatte befohlen, dass die Engländer hier keine ,Elendsgestalten‘ vorfinden sollten“, sagt Garbe.

Dahinter stand Kalkül: Wenn es aus Hamburg und Neuengamme so schockierende Fotos wie aus dem bereits befreiten KZ Bergen-Belsen gegeben hätte, wären die Alliierten hart gegen die Verantwortlichen vorgegangen. Also verwischte man die Spuren.

Doch diese Aktion erwähnt das Buch nur nebenbei. Stattdessen preist der Autor Hamburgs Kaufleute als „Motor der Exportwirtschaft“ der Nachkriegszeit. „Wie konnte jemand Schrittmacher der ,neuen Zeit‘ sein, der durch die Vorjahre so kompromittiert war?“, fragt Nicolaysen. „Solche Fragen werden in dem Buch gar nicht thematisiert.“

Uwe Bahnsen: Hanseaten unter dem Hakenkreuz - Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich, Wachholtz-Verlag 2015, 350 S., 29,90 Euro

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