Handreichung: Bilderbuch fürs Museum

Damit die Besucher der Ausstellung „Lose Dichte“ mit den Objekten nicht allein sind, haben Bremer Studentinnen ein Buch gemacht.

Es gibt in der Kunst nicht die eine Wahrheit, Darum lassen sich die Seiten zu 120 Variationen kombinieren Foto: Lukas Thöle

Wer derzeit das Gerhard-Marcks-Haus betritt, fühlt sich im ersten Moment wie auf einer verlassenen Baustelle. Gerüste stehen im Raum herum, Rohre und Teppiche liegen scheinbar vergessen auf dem Boden. Glücklicherweise erweckt der helle Innenraum mit seinen makellos weißen Wänden den Eindruck eines Museums. Ansonsten müsste man die Frage stellen, die allen Kunstfeinden ein leicht süffisantes Grinsen verleiht, Kunstliebenden aber wahrscheinlich aus den Ohren heraushängt: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“

Dabei stehen all diese Gegenstände genau an der für sie vorgesehenen Stelle. Sie gehören zur Ausstellung „Lose Dichte“ des Bildhauers Michael Kienzer. Der 1962 in Steyr geborene Österreicher verbindet Alltagsgegenstände aus Aluminium oder Gummi zu modernen Installationen. So entstehen mitunter Skulpturen, die nur von Magneten zusammengehalten werden.

Um mögliche Hürden auch für Kunstlaien zu senken, begleitet ein Buch die Ausstellung. Im Zusammenspiel mit den ausgestellten Skulpturen soll es eigene Assoziationen ermöglichen. Fünf Studentinnen der Kunst- und Kulturvermittlung der Universität Bremen entwickelten diese Form der Begleitung im Rahmen eines einjährigen Praxisseminars.

Kein klassisches Format

Das Buch ist keines im klassischen Sinne. Durch sein Format und eine Ringbindung sieht es aus wie ein Tischkalender und erinnert an das Bastelspiel „Himmel oder Hölle“, das aus einem quadratischen Papierstück gefaltet wird. Je nachdem, wie man es öffnet, sind andere Bilder zu sehen.

Das Prinzip ist hier ähnlich: Durch die Bindung lassen sich die „Seiten“ – eher Karten – zu insgesamt 120 verschiedenen Variationen kombinieren. So entsteht eine Art Bilderbuch, das die Installationen begleiten und durch das interaktive Erlebnis verständlicher machen soll.

Dem Werk vorangestellt ist eine Anleitung, und die ist auch notwendig. Sie beschreibt den Gegenstand als „Seiteninstrument, mit dem gespielt werden darf“. Empfohlen werden „Pausen während der Handhabung“. Tatsächlich braucht es einige Zeit, das Buch zu verstehen. Ist das aber gelungen, werden die BesucherInnen mit einer interessanten Erfahrung belohnt.

Erwachsene sind zögerlich – als würden sie auf die Erlaubnis warten, das Buch nutzen zu dürfen

Das Buch lädt dazu ein, es und auch sich selbst auszuprobieren. Es kann von vorn nach hinten, von hinten nach vorn sowie querbeet gelesen werden. Da wünscht man sich schon mal mehr Hände. „Richtig“ oder „falsch“ gibt es nicht. Mithilfe von winzigen Markierungen werden der LeserIn zwar gewisse Assoziationen empfohlen, wirklich festlegen wollten sich die Studentinnen aber nicht.

„Es gibt in der Kunst nicht die eine Wahrheit“, sagt Karolin Leitermann, die das Buch mitentwickelt hat. Sie und ihre Kommilitoninnen möchten die BesucherInnen der Ausstellung zwar zum Denken anregen, aber nicht belehren. Kinder würden das Buch sofort verstehen und damit losziehen. „Erwachsene sind eher zögerlich – als würden sie auf die Erlaubnis warten, es nutzen zu dürfen“, so Leitermann.

Grillkorb und Kuhstall

Wenn man sich erst einmal traut, lassen sich die Installationen ganz anders erleben. So wird aus Rohren und Stangen, die gefährlich spitz aussehen, kurzerhand ein Zelt. In der für die Ausstellung namensgebenden Skulptur „Lose Dichte Nr. 12“ haben die Studentinnen einen Grillkorb für Fische gesehen. Und eine Ansammlung verschieden großer Rohre erinnert an einen Kuhstall.

Ob man die vorgeschlagenen Assoziationen nachvollziehen möchte oder eigene Kombinationen besser findet – das Buch lässt es zu. „Was in den Skulpturen gesehen wird, ist auch abhängig vom eigenen Vorwissen“, sagt Studentin Sarah Landes.

Die Entwicklung sei zeitaufwendig gewesen. Vom finalen Produkt gebe es 35 Exemplare, die von den Studentinnen teilweise in Handarbeit hergestellt wurden. Allein die Material- und Herstellungskosten betrügen 40 Euro pro Buch. Das Marcks-Haus stellte die nötigen Ressourcen bereit.

Drei bis vier Versionen habe es vor der fertigen Ausgabe gegeben. „Trotzdem haben wir immer wieder neue Ideen“, sagt Landes. Die Studierenden hätten auch mit Michael Kienzer zusammengearbeitet. Das Buch habe er lange durchblättert und dabei häufig geschmunzelt.

Die Ausstellung wurde zusammen mit dem Kunsthaus Zug in der Schweiz entwickelt. Ab September soll das Buch der Bremer Studentinnen auch dort BesucherInnen zu eigenen Assoziationen anregen.

Irgendwann meint man, die Möglichkeiten erschöpft zu haben. Aber auf dem Rückweg sind wieder die Teppiche, die im Eingangsbereich etwas verloren wirken. Dann fallen einem zwei Karten aus dem Buch ein, die den Ersteindruck perfekt beschreiben. „Warum ist das hier?“ wird dort gefragt – nur eine von vielen möglichen Assoziation.

Die Ausstellung „Lose Dichte“ von Michael Kienzer ist noch bis zum 12. November im Bremer Gerhard-Marcks-Haus zu sehen.

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