Hommage an Harun Farocki: So lange starren, bis es sich bewegt

Mit großer Neugier näherte sich Dokumentarist und Essayfilmer Farocki seinen Untersuchungsgegenständen. Eine Ausstellung in Berlin zeigt sein Werk.

„Eine Einstellung zur Arbeit“. Projekt von Antje Ehmann und Harun Farocki, hier: Bewegung im Kreis, Rio de Janeiro 2012, Filmstill Bild: HKW

„Als ich beim Fernsehen arbeitete, war ich, wenn ich nach Hause kam um fünf Uhr, so fertig, dass ich nur noch Fernsehen sehen konnte.“ (Harun Farocki, 1977)

In einem Dokumentarfilm über Holger Meins, der sich in Stammheim zu Tode gehungert hatte, tritt 1975 Harun Farocki auf. Er hatte mit dem RAF-Kämpfer an der dffb studiert und sagt, dass er nur Tatsachen mitteilen werde, keine Deutungen, um psychologische Ableitungen zu verhindern. Darin hallt das Echo der Paranoia der 70er Jahre wider – und etwas mehr.

Dieser Satz ist ein Schlüssel zum Werk des Multitalents, des Filmkritikers, Autors, Essayfilmers, Dokumentaristen, Installationskünstlers. Tatsachen zum Vorschein zu bringen, das ist kein schlechtes Motto für dieses Ouevre. Farocki näherte sich seinen Untersuchungsgegenständen – von Überwachungstechnologie bis zur Architektur, von Playboy-Fotos über Fußballspiele bis zu Planung von Einkaufszentren – mit Neugierde, nein, Gier nach Wissen.

Christa Blüminger beleuchtete in einem klugen Vortrag die biografische Wurzel dieser Leidenschaft für die akribische Beschreibung. Farocki kam mit 17 Jahren nach Westberlin und machte dort auf dem Abendgymnasium das Abitur. Er war Autodidakt, das spiegelte sich in der Affinität zu Autodidakten wie Peter Weiss und Georg K. Glaser, denen er weithin vergessene Filme widmete.

Mehr Forscher als Interpret

Zu hören waren am Wochenende in Berlin im Haus der Kulturen der Welt arrivierte Philosophen, Kultur- und Filmwissenschaftler, Soziologen, Künstler aus Frankreich, USA, Großbritannien, Deutschland. Farocki galt international oft mehr als hierzulande. Einige Referenten verorteten ihn allzu routiniert in der Tradition der Kritischen Theorie. Das ist eine leichtfertige Verwechslung. Farocki näherte sich den Dingen weniger als Interpret denn als Forscher, der den Dingen auf den Grund geht. Um Architektur zu filmen, müsse man, so Farocki, die Gebäude so lange anstarren, bis sie anfangen sich zu bewegen. Das mag man als Credo seiner Arbeiten insgesamt nehmen.

„Nicht ohne Risiko“ etwa zeigt die Übernahmeverhandlungen eines Hedgefonds mit einem mittelständischen Betrieb. Das ist keine einfache Abrechnung mit dem Finanzkapitalismus. Die Aufmerksamkeit gilt der Vermischung von Ernst und Spiel, von Deal und Theatralischem, Gesten, Blicken, Händen. Niemand hat die Verwandlung der von der Fabrik dominierten Disziplinargesellschaft in die postmoderne Selbstverwirklichungsgesellschaft so präzise analysiert. Das wird mit Adorno-Zitaten eher verdeckt als erhellt.

Thomas Elsaesser schärfte in einer Tour d’Horizon den Blick für die konkrete Materialität dieses Werk, vor allem für Auge und Hand. Diese beiden Motive sind wie rote Fäden durch Farockis Filme gesponnen, die Hand als Instrument der Arbeitsroutinen, das Auge, das kontrolliert und doch leicht täuschbar ist. Dass Hände als Motiv in den Hintergrund treten, dass das Auge in diesem Oeuvre wichtiger wird, kann man als Abdruck der digitalen Revolution verstehen.

Die dreitätige Konferenz im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ war ein Zwitter: Hommage an den Dokumentaristen, der im Juli 2014 starb, und Analyse der Installation „Eine Einstellung zur Arbeit“, die Antje Ehmann und Farocki entwarfen.

Verweise auf Gene-Kelly-Filme und Hiphop-Stücke

Zu sehen sind auf im Halbkreis angeordneten Monitoren fast 100 zweiminütige Szenen, die Arbeit zeigen, von Lissabon bis Tel Aviv, Bangalore bis Buenos Aires. Der Versuch, etwa von dem britischen Schriftsteller und Journalisten Kodwo Eshun, diese Szenen popkulturell mit Verweisen auf Gene-Kelly-Filme und Hiphop-Stücke zu codieren, hatte etwas Schwebendes, Ungefähres.

Sowohl Kulturwissenschaftler als auch Soziologen schienen eher ratlos in ihrem Werkzeugkoffer nach brauchbaren Analyseinstrumenten zu kramen. Es war jedenfalls kein Zufall, dass Birger Priddat die präziseste Bildbeschreibung gelang – der Mann ist Ökonom mit genauem Blick für Arbeitsabläufe.

Was ist „Eine Einstellung zur Arbeit“? Auf keinen Fall, so die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch, taugen diese Filme als soziologische Studie über marginalisierte Arbeit. Koch mutmaßte, dass das Faszinierende dieser Kurzfilme gerade in dem Rätselhaften, Kontextfreien begründet ist, das durch die ästhetische Veredlung als Artefakt noch verstärkt wird.

Anselm Franke berichtete en passant, dass er 2014 mit Harun Farocki im Bierhimmel in Kreuzberg einen neuen Film ins Auge fasste. Ein Essay über Muybridges fotografische Bewegungsstudien aus dem 19. Jahrhundert und das Motion-Capture-Verfahren, mit dem im 21. Jahrhundert in digitalen Produktionen Schauspieler Filmavatare animieren. Ein Film, der uns fehlt.

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