Horrofilm „Wir“ von Jordan Peele: Kopien haben keine Seele

Eine afroamerikanische Familie bekommt Besuch von Doppelgängern: Regisseur Jordan Peele hat seinen zweiten Horrorfilm, „Wir“, abgeliefert.

Ein Mäden mit Zöpfen reißt im Dunkel erschreckt die Augen auf.

Die junge Adelaide (Madison Curry) macht eine uner­freuliche Ent­deckung Foto: Universal

„Darum siehe, spricht der HERR, ich will Unheil über sie kommen lassen, dem sie nicht entgehen sollen; und wenn sie zu mir schreien, will ich sie nicht hören.“ Das sind finstere Worte. Sie stehen in der hebräischen Bibel im Buch Jeremia, Kapitel 11, Vers 11. In diesem Kapitel erfährt der Prophet vom Herrn, dass sein auserwähltes Volk den Bund mit ihm gebrochen hat. Dafür droht Strafe.

Jeremia 11,11 ist auch ein Leitmotiv für „Wir“, den neuen Horrorfilm des US-amerikanischen Regisseurs Jordan Peele. Schon zu Beginn des Films begegnet das Mädchen Adelaide im Sommer 1986 auf einem Vergnügungspark am Strand von Santa Cruz einem grimmig dreinblickenden langhaarigen Surfertypen, der ein Pappschild mit der Angabe der Bibelstelle in der Hand hält. Später wird diese Zahl 11, 11 wieder und wieder auftauchen.

Adelaides Zusammentreffen mit dem mysteriösen Schildträger bildet den Auftakt ihrer für die Geschichte entscheidenden Erfahrung. Sie verläuft sich in einem Spiegelkabinett, um an dessen Ausgang plötzlich hinter einem Mädchen zu stehen, das exakt so aussieht wie sie selbst. Kein Spiegel. Eine Doppelgängerin.

Schnitt in die Gegenwart. Adelaide (Lupita Nyong’o) ist inzwischen erwachsen, verheiratet, hat zwei Kinder. Die Familie fährt für den Sommerurlaub ins ehemalige Haus der Großmutter an einer Bucht in der Nähe von Santa Cruz. Als ihr Mann Gabe Wilson (Winston Duke) kurz nach der Ankunft vorschlägt, gemeinsam zum Strand der Stadt zu fahren, weigert sie sich erst. Am Ende ist sie überstimmt.

„Wir“. Regie: Jordan Peele. Mit Lupita Nyong’o, Winston Duke u. a. USA 2019, 117 Min.

Der Strandbesuch dient Peele für ein weiteres symbolträchtiges Bild. Während die Familie Wilson über den Sand läuft, blickt die Kamera aus der Vogelperspektive auf sie herab. Die Menschen selbst geraten dabei zu Punkten, während ihre Schatten die Einstellung dominieren. Und diese Schatten beginnen schon bald, ein sehr unerwünschtes Eigenleben zu führen.

Sie sehen exakt so aus wie die Wilsons

Nachts nämlich steht da plötzlich eine Familie vor ihrem Haus. Unbeweglich zunächst und stumm, beginnen die vier rotgewandeten Gestalten rasch mit ihrer Heimsuchung der Wilsons. Dringen in das Haus ein, überwältigen die Familie. Und sie sehen exakt so aus wie die Wilsons. Bloß dass die meisten von ihnen lediglich brüllen, stöhnen oder gurgeln. Lediglich der „Schatten“ von Adelaide spricht, wenngleich mit einer keuchenden, gequälten Stimme, die kaum in Gebrauch gewesen zu sein scheint.

Peele stattet seinen zweiten Film mit wunderbar gefilmten Bildern aus, von der ersten Einstellung an

Bis zu diesem Punkt entwickelt Peele in seiner zweiten Genrearbeit nach seinem grandiosen Spielfilmdebüt „Get Out“ von 2017 seine Geschichte sehr erfolgreich nach dem Schema einer home invasion. Gefahr droht der afroamerikanischen Mittelschichtsfamilie Wilson von unbekannten Eindringlingen. Dass es anscheinend sie selbst sind, die sie überfallen, erhöht den Schrecken nur noch. Peele nutzt diese Idee für ein Szenario des Unheimlichen, bei dem das Vertraute unversehens zum Allerfremdesten wird, sobald eine zuvor vernachlässigte oder verdrängte Seite dieses Bekannten zutage tritt.

Auch die verzerrten Spiegelbilder der Wilsons, als die er diese Schattenfamilie inszeniert, bilden mit ihren fratzenhaften Gesichtsausdrücken einen schaurig-schönen Gegensatz zu den freundlich-normalen Originalen.

Etwas groß Angelegtes

Peele bleibt an diesem Punkt allerdings nicht stehen. Von da aus erweitert er seine Erzählung zu etwas groß Angelegtem, in dem etwa auch die Darstellerin Elisabeth Moss in einer Nebenrolle als Freundin der Familie ihren Auftritt haben wird. Der Schrecken, so viel sei verraten, bleibt nicht auf die Wilsons beschränkt.

Das ist zugleich das große Hindernis des Films. Peele packt in diese im Kern wunderbar gruselige Geschichte eine Generalkritik an der US-amerikanischen Gesellschaft, die eher diffus bleibt. Ihm geht es wohl um eine zunehmende Selbstbezogenheit der USA. Bei den Windungen, die er dem Drehbuch dafür abverlangt, steigt man jedoch irgendwann aus.

Das Bibelzitat vom Anfang deutet auf Fehlentwicklungen aller Art hin, diese bleiben aber im Unklaren. Während Peele mit „Get Out“ eine virtuos inszenierte Allegorie auf den erstarkenden Rassismus der USA zum Kern der Films machte, wirkt der Kern von „Wir“ ein wenig hohl.

Ein weißes Kaninchen in einem Käfig

Daran ändert auch nichts, dass er seinen zweiten Film mit wunderbar gefilmten Bildern ausstattet, von der ersten Einstellung an. Da sieht man ein weißes Kaninchen in einem Käfig, das geduldig seines Schicksals zu harren scheint. Dann, während die Filmmusik dazu mit fragmenthaft verschachtelten Chorstimmen für Irritation sorgt, fährt die Kamera langsam von dem Kaninchen weg und offenbart eine ganze Wand voll von solchen Käfigen mit Nagern, die in einem leeren Hörsaal untergebracht sind.

Ein starkes Bild, unter dem man sich eine Menge vorstellen kann. Wie auch unter den restlichen Andeutungen des Films. Allein, sie verhallen am Ende in der Leere. Wie die Worte des Propheten.

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