IT-Pionierin Evelyn Berezin: Schneller als Apple und IBM

Sie war eine der ersten Start-Upperinnen, Softwareunternehmerin noch vor Bill Gates und Wagniskapitalgeberin. Ein Nachruf.

Eine altmodische Schreibmaschine

Evelyn Berezin erkannte früh, dass Schreibmaschinen dieser Art keine Zukunft haben Foto: Julie Johnson/Unsplash

BERLIN taz | Evelyn Berezin hat zwar die Textverarbeitung erfunden, doch sie war nicht nur die Erfinderin der Textverarbeitung. Diese Einordnung würde in die Irre führen – schließlich war Tippen in den Sechzigerjahren noch Frauenarbeit, und Berezin hat damals nicht etwa Software von Frauen für Frauen hergestellt. Sie hat beispielsweise ein System zur Waffensteuerung für das Pentagon entwickelt.

Zuvor hatte sie eines der ersten Buchungssysteme für Fluglinien mitprogrammiert. Zu ihren Kunden gehörten Waffenschmieden, Großkonzerne und Regierungen.

Die US-Amerikanerin war nach heutigen Kategorien erst eine Startupperin, dann eine Softwareunternehmerin (und das eine Generation vor Bill Gates), dann eine Wagniskapitalgeberin. Vergangene Woche ist die IT-Pionierin im Alter von 93 Jahren an Krebs gestorben, wie ihre Familie jetzt bekannt gegeben hat.

Verschwendetes Talent

Berezin brachte neben scharfem Verstand von Anfang an auch Unternehmergeist mit. Ende der Sechzigerjahre war die studierte Physikerin zu dem Schluss gekommen, dass ihre Talente als Computerentwicklerin in einem Angestelltenverhältnis verschwendet sind. Am Ende hatte nur ihr Arbeitgeber an den Lizenzeinnahmen verdient. Auch der Aufstieg ins Management war ihr verwehrt. Schließlich waren es die Sechzigerjahre, und sie war eine Frau.

Also gründete sie ihr eigenes Startup, Redactron. Sie nutzte den Vorsprung im Technikwissen, den sie von ihrem früheren Arbeitgeber mitbrachte: Sie sah die Chancen, die der Wandel von riesigen, komplizierten Computern zu kompakten Geräten auf Basis moderner Chips boten. Auf der Suche nach einem Produkt für den Massenmarkt kam sie schnell auf die Idee der Textverarbeitung. Mehr als ein Zwanzigstel der Angestellten in den USA waren zu dieser Zeit Schreibkräfte oder Sekretärinnen. Wenn nur ein Bruchteil davon von der Schreibmaschine auf Computer umstiege, wäre das Geschäftspotenzial enorm.

Berezin kalkulierte genau richtig, doch auf dem Weg zum Erfolg musste sie eine Reihe von Schwierigkeiten überwinden. Es gab die Computer noch nicht, auf denen ihre Textverarbeitung laufen sollte, also entwickelte sie dafür eigene Geräte und dafür wiederum eigene Chips. Genau genommen erfand sie vor Apple und IBM so etwas wie einen Desktop-Rechner.

Groß denken und pragmatisch handeln

„Die Bauform ist heute selbstverständlich, damals war sie neu“, erklärte sie in einem ihrer letzten Interviews. Im Jahr 1971, nach nur anderthalb Jahren Entwicklungszeit, brachte sie das System auf den Markt.

Ihr Unternehmen hatte nur neun Mitarbeiter, aber es dachte ganz groß und vermarktete das neuartige Produkt weltweit nach allen Regeln der Kunst. Die Produktvorstellung wurde zwar fast zur Katastrophe, da der Prototyp Funken versprühte, statt zu rechnen: Es war ein Tag mit trockenem Wetter, und ihr Ingenieur hatte ein hartnäckiges Problem mit statischer Elektrizität noch nicht im Griff. Das Team kippte daraufhin so lange Wasser auf den Teppich, bis die Raumluft feucht genug für die Data Secretary war, so lautete der Handelsname.

Das Unternehmen verkaufte im ersten Jahr 770 Stück, was als Erfolg galt; die Mitarbeitendenzahl stieg in den folgenden fünf Jahren auf 500. Berezin war plötzlich die einzig wichtige Firmenchefin in den USA. Sie wurde zu einer Wirtschaftsgröße und wechselte 1980 ins Geschäft mit Wagniskapitalfinanzierungen für Technik-Firmen. Eines können die Computerfirmen von heute immer noch von ihr lernen: Ihre Produkte galten als extrem stabil. Sie fielen praktisch nie aus und stürzten nicht ab.

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