Imam Mohamed Taha Sabri im Interview: „Die Gesellschaft ist bunt & vielfältig“

Der Imam der Dar-as-Salam-Moschee des Vereins Neuköllner Begegnungsstätte über den interreligiösen Dialog und den Verfassungsschutz.

Mohamed Taha Sabri ist der Imam der Moschee des Vereins Neuköllner Begegnungsstätte - vor einem Regal mit Büchern zu sehen

Mohamed Taha Sabri, der Imam der Dar-as-Salam-Moschee des Vereins Neuköllner Begegnungsstätte Foto: Foto: Christoph Soeder/dpa

taz: Herr Sabri, Sie sind ein ziemlich bekannter, weil aktiver Imam in Berlin: In Ihrer Gemeinde finden viele Veranstaltungen statt, Diskussionen über den Islam ebenso wie politische Debatten. Warum?

Mohamed Taha Sabri: Der Mensch ist ein politisches Wesen. Aber meine Aktivitäten sind gesellschaftspolitisch, nicht machtpolitisch. Ich bin nicht Mitglied einer Partei und will das auch nicht sein. Ich bin politisch in dem Sinne, dass ich gesellschaftlich aktiv bin.

Sie könnten als Imam sagen, Sie haben Verantwortung nur für die religiöse Betreuung Ihrer Gemeindemitglieder.

Ich möchte Kontakt zur Gesellschaft haben, unabhängig von meinen religiösen Aufgaben. Vielleicht könnte ich ruhiger leben, wenn ich die Türen der Moschee nach außen zumachen würde …

… jedenfalls würden Sie dann vielleicht nicht in den Fokus von Verfassungsschutz und Medien geraten, die Ihnen immer wieder Verbindungen zu den Muslimbrüdern unterstellen. Wie stehen Sie zu dieser Bewegung?

Ich war bis 1988 in der arabischen Welt. Seither war ich nur fünf Mal in Tunesien, ich habe da nicht mehr viele Kontakte. Und ich habe hier auch gar keine Zeit mehr, die Entwicklung der arabischen Länder intensiv zu betrachten. Aber ich denke, die Muslimbruderschaft als theologische Denkschule hat einiges geleistet, was die Bildung einer eigenen Identität in der arabischen Welt betrifft.

Mohamed Taha Sabri

1966 in Tunis geboren, lebt seit 1989 in Bremen, seit 2005 in Berlin. Seit 2007 Imam der Dar-as-Salaam-Moschee in Neukölln; geschieden und kinderlos. Ein Literaturstudium hat er nicht abgeschlossen.

Die arabische Welt von der Südgrenze der Türkei bis nach Marokko ist ja kulturell unterschiedlich. Was meinen Sie mit einer eigenen Identität? Eine islamische?

Ja, eine gemäßigte islamische Identität. Da hat die Muslimbruderschaft einen Beitrag geleistet, durch Institutionen und Bücher, die zu einem gemäßigten Islamverständnis angesichts orthodoxer Strömungen wie dem Salafismus aufrufen.

Das sehen viele anders.

Es gibt große und berechtigte Kritik an der Muslimbruderschaft. Besonders die Politisierung und die fehlende Differenzierung zwischen Staat und Religion hat in vielen arabischen Ländern Konflikte und Polarisierung vorangetrieben. Hier in Deutschland haben wir mit der Entwicklungsgeschichte der CDU eine wichtige Erfahrung, von der man viel lernen kann. Die verschiedenen religiösen Bewegungen haben sich zu einer demokratischen Partei zusammengeschlossen, die zwischen Staat und Religion differenziert, indem auf der Grundlage religiöser Werte Politik für alle Menschen gemacht wird. Genau dahin muss sich die Bewegung der Muslimbruderschaft entwickeln. Sie muss zu einer zivilen, demokratischen Partei werden, die klar gegen jede Form der Gewalt ist und die nicht im Namen der Religion spricht, sondern basierend auf den Werten der Religion Politik macht. Solange das nicht geschieht, wird die Muslimbruderschaft Teil des Problems der arabischen Welt sein.

Hier wünscht man sich einen speziellen deutschen Islam, einen „Islam der deutschen Muslime“, wie Innenminister Horst Seehofer jüngst bei der Islamkonferenz sagte.

Und das ist die weitaus wichtigere Frage. Ich finde, wir sollten uns keineswegs von Entwicklungen in der arabischen Welt abhängig machen, zumal wir als Muslime nicht an einen Klerus gebunden sind. Wir sollten als Muslime in Deutschland ausgehend von unserer Realität eine eigene Entwicklung einleiten. Außerdem gibt es keinen Staat auf dieser Welt, der es einer Bewegung mit einer ausländischen Agenda erlauben würde, innerhalb seiner Grenzen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Das ist völlig ausgeschlossen, auch hier. Es wird ja auch nicht erlaubt, dass eine Moschee die politische Agenda eines anderen Staates vertritt. Das ist normal und muss so sein.

Eine islamische Partei zu gründen, wäre ja hier nicht verboten.

Ich bin dagegen.

Der Verein Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) betreibt mit der Dar-as-Salam-Moschee in der Flughafenstraße eines der größten islamischen Gebetshäuser Berlins. Zur Gemeinde gehören überwiegend Muslime palästinensischer Herkunft, aber auch syrische Geflüchtete aus nahen Flüchtlingsunterkünften. Die Moschee ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht.

Neben Angeboten wie Islam- und Arabischunterricht und Gebeten und Gottesdiensten engagiert sich die NBS in interreligiösen, nachbarschaftlichen, kulturellen und politischen Dialogen wie Veranstaltungen im letzten Wahlkampf. Am gestrigen Sonntag etwa war das jüdische Bubales Puppentheater mit einem Chanukka-Auftritt zu Gast in der Moschee. (akw)

Warum?

A: Was soll das bringen, eine Partei für fünf Prozent der Bevölkerung zu gründen? Und B: Wir sollten uns nicht so sehen – hier die Muslime, da die anderen. Diese Gesellschaft ist bunt und vielfältig. Da funktionieren solche Trennungen nicht.

Es gibt jetzt eine neue Initiative für einen säkularen Islam – einen Islam, der nicht nach weltlicher Macht strebt. Das passt doch hervorragend zu dem, was Sie sagen.

Aber eine Religion kann nicht säkular sein. Ein Staat kann säkular sein, eine Religion nicht. In der Religion geht es doch nicht nur um das Hier und Jetzt: Es geht um das Metaphysische, um Gott und um das, was nach dem Leben kommt. Ich glaube, in dieser neuen Bewegung geht es eher um einen Islam, der getrennt von Gott ist, um Islam als eine Kultur, als soziale Erscheinungsform, nicht als Religion. Ich habe bei einer meiner letzten Predigten darüber geredet, dass wir den säkularen Staat hier schützen müssen, dass es gut ist, wenn sich die Religion nicht in den Staat und der Staat nicht in die Religion einmischt. Aber dann sollten Politiker auch nicht versuchen, einen Islam zu gestalten. Das ist eine Auseinandersetzung, die innerhalb der Theologie stattfinden muss.

Der Vorwurf ­vieler Po­li­tiker*innen und Islam­kritiker*innen lautet, dass der Islam Vorschriften beinhalte, die mit hiesigen Gesetzen kollidieren.

Das sehe ich nicht.

Gläubige beten beim Freitagsgebet in der Mevlana-Moschee in Kreuzberg

Gläubige beten beim Freitagsgebet in der Mevlana-Moschee in Kreuzberg Foto: picture alliance/Christoph Soeder/dpa

Aber Herr Seehofer und viele andere sehen das!

In welchem Fall, dann sagen Sie mir konkrete Beispiele!

Gern: die Ablehnung von Homosexualität. Die Benachteiligung von Frauen.

Ah, ja, sehen Sie, das sind Fragen, die sind für viele Muslime neu. Und die Religion, die Theologie muss darauf Antworten entwickeln. Das ist ein Prozess. Aber hier läuft es so: Wenn wir hiesigen Muslime nicht schnell Antworten geben, sucht man sich eine Antwort aus der arabischen Welt und unterstellt auch uns diese Haltung. Dann haben wir einen Konflikt. Aber wir brauchen auch eine gewisse Freiheit, uns als Muslime hier zu entwickeln.

Sie meinen, eine Antwort auf solche Fragen kann hier anders aussehen als in Afghanistan oder Algerien?

Natürlich.

Das erlaubt der Islam?

Natürlich! Was ist der Islam am Ende? Der Islam ist ein Text – und der Islam ist ein Mensch, der die Vernunft hat, mit diesem Text in einen Dialog zu treten. Und dabei entsteht der Islam. Also der Islam ist nicht außerhalb der Geschichte. Wir Muslime glauben, dass der Text außerhalb der Geschichte ist. Aber der Text existiert ja wiederum nur in der Auseinandersetzung mit der menschlichen Vernunft. Und die menschliche Vernunft ist zeitlich, ist relativ – nicht konstant. Je nach Zeit und Ort kann der Text also anders interpretiert werden. Dann haben wir den gelebten Islam, und da kann mir niemand sagen, dass der nicht in Afrika anders ist als im Fernen Osten. Deswegen sagt der Prophet Mohammed, dass sich der Islam in jedem Jahrhundert erneuert. Weil er immer neu interpretiert wird. Das ist doch im Christentum nicht anders.

Es gibt aber Muslime, die sagen: Im Koran steht genau, was Islam ist – da gibt es nichts zu interpretieren.

Ja, und glauben Sie mir: Mit denen habe ich auch eine Menge Probleme. Es sind oft Jugendliche, die mit solchen Ideen in die Moschee kommen. Sie wollen einfache Antworten, schwarz/weiß, richtig/falsch. Ich habe da sogar schon manche vor die Tür schicken müssen – was ganz falsch ist, eigentlich müsste man viel Zeit in Gespräche mit diesen jungen Menschen investieren. Aber angesichts meiner Aufgaben in dieser großen Gemeinde habe ich diese Zeit leider nicht.

Angesichts Ihrer Definition ist Seehofers Idee von einem Islam der deutschen Muslime gar nicht unrealistisch.

Nein, das ist sie nicht. Unrealistisch ist aber diese Erwartung, dass der jetzt, in einem Moment entsteht.

Woher kommt dieses tiefe Misstrauen zwischen der so genannten deutschen Mehrheitsgesellschaft und den Muslimen bzw.: Wie viel Schuld an diesem Misstrauen tragen die Muslime selber?

Die Muslime hier haben lange geschlafen, sie haben sich nicht in einen Dialog mit der Gesellschaft begeben. Die Türen der Moscheen waren zu. Das war unser Fehler. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft, der Staat haben lange geschlafen und die Muslime am Rand stehen lassen. Deshalb fehlt es an der Anerkennung der Muslime als Teil dieser Gesellschaft.

Jetzt gehen die Muslime an die Öffentlichkeit, und jeder ihrer Schritte dort wird von großem Misstrauen begleitet. Auch Ihre Aktivitäten – etwa in der Flüchtlingshilfe – werden misstrauisch betrachtet. Der Verfassungsschutz warnte Flüchtlingsheimbetreiber davor, Geflüchtete in Ihre Moschee zu schicken.

Ich betrachte es als meine Aufgabe als Imam, diesen Weg zu gehen. Und er lohnt sich. Aber ich kann das Misstrauen auch ein wenig verstehen: Wenn ich als gebürtiger Deutscher nach der Arbeit in meinem Wohnzimmer sitze und im Fernsehen Attentäter sehe, die bei ihren Taten Allahu Akbar schreien – in Paris oder Kabul oder sonst wo – und dann habe ich eine Moschee nebenan, dann muss ich das zusammenbringen. Und das spiegelt sich am Ende auch in der Politik wider.

Nehmen Sie als Imam an institutionalisierten Dialogen zwischen Muslimen und Verwaltung oder Politik teil?

Ja, wir waren zu Gesprächen beim Islamforum und beim Runden Tisch Islam des Senats eingeladen. Da läuft der Dialog immer sehr gut. Das mündet aber selten in konkrete Projekte oder gemeinsame Aktivitäten.

Ist Ihnen der Austausch mit Behörden und Politik wichtig?

Ja, auch der interreligiöse Dialog. Wir machen demnächst eine Veranstaltung mit der Europäischen Rabbinerkonferenz.

Sie haben gegen Ihre Erwähnung im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes erfolgreich geklagt. Der hatte Ihre Gemeinde dort in der Rubrik „legalistischer Islamisten“ aufgeführt, die sich dadurch definierten, dass sie „Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele“ ablehnten.

Erfreulicherweise gibt uns diese Gesellschaft solche Möglichkeiten.

Der Begriff des legalistischen Islamismus unterstellt Ihnen allerdings, dass Sie genau auf diesem Wege – dem rechtlichen – den demokratischen in einen islamischen Staat verwandeln wollen.

Am Ende ist das ein Urteil über unsere Absichten, eine Unterstellung. Und solange es so läuft, können wir kein Vertrauen zueinander gewinnen.

Es lässt sich nichts ändern?

Der Verfassungsschutz ist ja nicht die Gesellschaft. Und die Politik müsste sich einfach mal klarer darüber werden, was sie von den Muslimen will. Ich bin Muslim und ich bin Bürger dieses Landes und bereit, meinen Beitrag hier zu leisten, aber ich möchte auch meine Rechte in Anspruch nehmen dürfen. Wir wollen keine Extrabehandlung für Muslime – nicht im Negativen und nicht im Positiven.

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