Ingrid Lausund über den „Tatortreiniger“: „Die Leute lieben genau diese Wurst“

Die „Tatortreiniger“-Autorin übers Schreiben fürs Fernsehen, ihre selbstgewählte Anonymität – und warum für „Schotty“ Schluss sein muss.

Ein Mann in weißer Schutzkleidung putzt ein Wohnzimmer, in dem eine Frau sitzt

Beim „Tatortreiniger“ ging es vor allem um die Begegnungen nach den Verbrechen Foto: NDR

taz: Frau Lausund, wann haben Sie gewusst, dass es zu Ende gehen muss mit dem Tatortreiniger Heiko „Schotty“ Schotte?

Ingrid Lausund: Schon in der vorletzten Staffel musste ich die Geschichten stärker suchen, sie lagen nicht mehr auf dem Tisch. Und bei ein paar Ideen habe ich gemerkt, dass die Konzeption eigentlich mehr hergibt als eine halbe Stunde. Zum Beispiel die Religionsfolge – da war mehr drin.

Und ein Schotty-Film?

Eher nicht – ich fand noch nie einen Film zu einer Serie toll. Das ist ein Widerspruch an sich – eine Serie zu machen ist, wie in regelmäßigen Abständen eine Currywurst zu produzieren, und die Leute lieben genau diese Wurst. Und dann soll man plötzlich etwas Großes machen, das wie Drei-Sterne-Küche daherkommt, ganz anders ist, aber trotzdem noch nach Currywurst schmeckt. Das geht nicht auf. Meistens rettet man sich so, dass die Protagonisten eine Reise machen.

Weil die innere Heldenreise länger sein muss?

Genau, das ist ein Paradox – die Serie funktioniert doch genau wegen der Kürze.

Wieso sind Sie so lange als Autorin anonym geblieben?

Der wesentliche Grund ist, dass „Der Tatortreiniger“ meine erste Arbeit für das Fernsehen war und ich Schlimmes darüber gehört hatte, wie sehr einem reingeredet werden kann. Ich wollte nicht, dass mein Name unter einem Produkt steht, das im schlimmsten Fall mit meiner Arbeit kaum noch etwas zu tun hat. Außerdem empfinde ich das Drumherum als sehr stressig, auch im Theater, die Veranstaltungen, die Interviews, über meine Arbeit zu sprechen. Das Pseudonym war eine angenehm ruhige Arbeitsblase. Ich habe es dann aufgelöst, weil sich das mehr und mehr zu einem großen Geheimnis aufgebauscht hatte.

ist Autorin und Regisseurin. Sie hat unter anderem am Deutschen Schauspielhaus München und am Schauspiel Köln gearbeitet. Als Mizzi Meyer erhielt sie 2012 und 2013 den Grimme-Preis für „Der Tatort­reiniger“.

Wie kommt eine Theaterautorin dazu, eine Fernsehserie zu schreiben?

Der NDR wollte gern etwas mit Bjarne machen, und der hat zugesagt – aber unter der Voraussetzung, dass Arne Feldhusen Regie führt, und ich die Bücher schreibe. Mit Bjarne Mädel arbeite ich schon über 15 Jahre am Theater zusammen. Bjarne hatte mit einem Kollegen bereits über ein Gebäudereinigerpaar nachgedacht, Arne fand das zu harmlos und schlug ein Tatortreinigerpaar vor. Ich mochte das Thema, aber ich wollte, dass es nur einer ist, der immer mit einem „Gegenspieler“ aus einer anderen Welt konfrontiert ist.

Schreibt man für das Fernsehen nicht anders als für das Theater?

Bestimmt, aber ich habe das einfach so gemacht, wie ich es mir gedacht hab. Dazu habe ich mich mit Arne immer wieder getroffen und gesponnen. Manchmal hat Arne bei meinen Texten behauptet, er weiß nicht, wie er das umsetzen soll, und das ginge so nicht. Zum Beispiel bei der Folge, die fast nur in der Kiste spielt, hat er sich anfangs sehr beschwert, das sei filmisch nicht zu machen. Dann hab ich nichts mehr von ihm gehört, aber als ich die fertige Folge gesehen hab – es war eben doch zu machen. Also ich hab ihn jedenfalls nicht unterfordert.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Fernsehen sonst?

Ich hatte mich noch nie besonders mit der sozialpolitischen oder ästhetischen Bedeutung von Fernsehen beschäftigt. Und beim Schreiben der Drehbücher hab ich mir solche Gedanken nie auf allgemeiner Ebene gemacht, sondern nur ganz konkret im Zusammenhang mit der Geschichte, an der ich dran war; ich habe mich darauf konzentriert, dass die zwischenmenschlichen Situationen glaubwürdig sind. Und dass jede Folge wirklich anders ist. Ich hatte kein Dogma oder keine konzeptionelle Agenda – mit einer Ausnahme: Es war mir wichtig, dass es bei Schottys Gegenspielern gleich viele Männer- und Frauenrollen gibt, also eine Frauenquote. Das hab ich auch bei meinen Theaterstücken so eingeführt. Bei meinem neuen Stück – das ist ein Monolog – gibt es eine Fassung für einen Mann und eine für eine Frau. Ich bin scheinbar so geprägt von Rollenklischees, merke ich, dass ich beim ­Schreiben ganz bewusst dagegenhalten muss, sonst produzieren meine Synapsen bei jeder Idee erst mal eine Männerrolle. Ist schlimm, ist aber so.

Schauen Sie denn überhaupt Fernsehen?

Oft schaue ich Fernsehen, um die Spannung abzubauen, ich zappe mich gern durch, auch durch Sachen ohne Anspruch, da bin ich ziemlich schmerzfrei. Ich ertrage nur nichts, das irgendeinen höheren Anspruch suggeriert, der dann nicht eingehalten wird. Diese Schnipselwelt beim Zappen erzählt eine Menge über die Gesellschaft. Gerade die Verzerrung, der Zynismus mancher Showformate, das Brot-und-Spiele-mäßige legt gesellschaftliche Themen klar und böse auf den Tisch. Zum Beispiel dieser Selbstdarstellungswahn, dieser irrsinnige Hunger danach, wahrgenommen zu werden und in der Welt vorzukommen.

Wie haben Sie Schotty entwickelt, er wird ja als Figur immer nachdenklicher …

Ja, er wurde immer dreidimensionaler. Am Anfang würde er sich, ohne weiter drüber nachzudenken, von einer Prostituierten einen runterholen lassen, am Ende sitzt er im Kopf eines Komapatienten. Und obwohl das schon ein verrücktes Setting ist, ist der Realismus der Figur immer größer geworden, so dass wir am Ende das Gefühl hatten, wir würden uns von einem Freund verabschieden. Mir hat geholfen, dass ich bei der Recherche einen echten Tatortreiniger kennengelernt habe, mit dem ich mich immer wieder getroffen habe. Der war zwar nicht das direkte Vorbild für Schotty, aber es war beeindruckend zu sehen, wie man in der Echtwelt mit so einem Job umgeht. Auf der einen Seite hat er Mechanismen, sich von seiner Arbeit abzugrenzen, auf der anderen Seite ist er ein unglaublich feinfühliger Mensch, dem diese Abgrenzung nicht immer gelingt. Die Arbeit, die er macht, belastet ihn, aber hat nicht dazu geführt, dass er abgestumpft ist. Er ist sehr mitfühlend. Das ist vielleicht eine Parallele zu Schotty.

Wollten Sie Schottys Abenteuer je noch horizontaler erzählen, über mehrere Folgen?

Nein, was mir von Anfang an gut gefallen hat, war, dass Schotty Spuren wegmacht. Er kommt in eine Welt und begegnet jemandem – aber mit der Beseitigung der Spuren ist auch die Begegnung vorbei. Er nimmt zwar aus dieser Begegnung immer etwas mit, aber der Kontakt mit der anderen Person bleibt flüchtig, momenthaft.

Der Humor im „Tatortreiniger“ ist ungewöhnlich für eine deutsche Serie – hier wird meist genau zwischen „lustigen“ und „dramatischen“ Formaten unterschieden …

Ja, diese Unterscheidung gibt es in Deutschland noch. Zum Beispiel sagen Leute oft „es ist eine Komödie – aber mit Tiefgang!“ Das „aber“ beschreibt es ganz gut – bei einem Drama würde niemand sagen „aber mit Tiefgang“! Die Dimension einer Geschichte, der sogenannte „Tiefgang“, ist doch unabhängig davon, ob sie Komödie, Tragödie oder Singspiel ist. Da hat sich aber auch viel geändert, früher wurde jede Art von Komik schnell als Klamauk abgetan. Jetzt ist die Wahrnehmung differenzierter, eigentlich wird Humor mittlerweile schon als erzählerischer Wert gesehen. Für das Schreiben ist „Humor“ für mich keine Kategorie. Ich versuche einfach, beim Schreiben Situationen auf den Punkt zu bringen – und komisch ist es meistens einfach deshalb, weil die meisten zwischenmenschlichen Begegnungen in der Draufsicht eben einfach komisch sind. Klar war, dass das Format eine gewisse Leichtigkeit haben sollte. Zu dem Tatortreinigerthema gehören ja eigentlich noch so viele grauenvolle Dramen – aber solche Geschichten haben wir unangetastet gelassen, das wäre eine ganz andere Baustelle gewesen.

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