Intelligenz und Generationen: Weisheit widerlegt

Wir ruinieren die Welt so schnell, wie es noch keine Generation zuvor geschafft hat. Wird die Menschheit wirklich klüger oder doch dümmer?

Rote Container im Zwischenlager Gorleben, im Vordergrund geht eine Person vorbei

Ist das Lagern von radioaktivem Müll, hier Gorleben, ein Zeichen von Klugheit oder Dummheit? Foto: Sina Schuldt/dpa

BERLIN taz | Und dann kamen sie endlich, über die Wiese in den Park: drei Dutzend junge Männer und Frauen, Abiturzeugnisse unterm Arm, Stolz im Gesicht, Alkohol im Blut. Der Corona-Jahrgang 2020 (Motto: „Mit Abstand die Besten!“) hatte endlich seinen Abschluss in der Hand, unsere Tochter mittendrin.

Da standen sie mit ihrer Erleichterung, ihren Hoffnungen und ihren Abendkleidern: eine Generation, die vielleicht die Schlacht bei den Thermopylen mit dem Thermomix verwechselt, die aber mit 18 schon die Welt gesehen hat, vier Sprachen spricht und sich selbstbewusst überall einmischt. Doch, doch, dachte ich angesichts der ganzen sagenhaften Abiturnoten – die Menschheit wird doch einfach immer ein bisschen schlauer.

Eine Woche später zweifelte ich daran schon wieder. Im Umweltausschuss des Bundestags ging es um die Suche nach einem atomaren Endlager. Man hatte den Eindruck: Tödlichen Müll für eine Million Jahre sicher zu verbuddeln ist technisch kein so großes Problem. Die größte Unsicherheit ist der Mensch. Ob der in 50.000 Jahren nicht die Glaskokillen mit eingeschmolzenem Plutonium ausbuddelt, um damit Fußball zu spielen? Letztlich sei das eine philosophische Frage, sagte ein Experte: „Wird die Menschheit klüger oder dümmer?“

Tja. Im Allgemeinen denken wir ja, wir seien schlauer als unsere Vorfahren. Wir bauen Roboter, die uns im Schach schlagen, wir werden hundert Jahre alt, wir haben die Pocken ausgerottet und den Reißverschluss entwickelt. Dann wiederum sind wir eher clever als schlau. Unsere Leistung besteht nur darin, uns und alles um uns herum so schnell zu ruinieren, wie es noch keine Generation vor uns geschafft hat: Wir fliegen ins All und sehen uns dabei zu, wie wir den Regenwald niederbrennen und Pazifik zum Plastifik machen. Man könnte meinen: Wir können nur schlauer werden. Dümmer geht ja nicht.

Aber so einfach ist das nicht. Die vielsprachige, weltläufige und autonom denkende Jugend, auf deren Zukunft wir im Park anstießen, wird den Unterschied zwischen clever und klug herausfinden müssen. Die alten Griechen (die mit den Thermopylen) nannten das altmodisch Weisheit und schrieben sie den Alten zu. Diese These hat meine Generation ja eindrucksvoll widerlegt. Deshalb sollte die Jugend von heute so schnell wie möglich so weise wie möglich werden. Wenn sie dafür dreißig Jahre braucht, haben wir alle ein echtes Problem.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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