Intendantin Deuflhard über Kunstasyl: „Angriff auf die Humanität“

Hamburgs Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines Kunstprojekts: Das Kampnagel-Theater ließ Flüchtlinge überwintern. Eine künstlerische Straftat?

Ziel von Ermittlungen: Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard. Bild: dpa

taz: Frau Deuflhard, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sie wegen „Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht für Ausländer“ – aber Sie sind ganz entspannt?

Amelie Deuflhard: Ja – ich bin mir keiner Straftat bewusst. Im Gegenteil: Wir haben mit einem künstlerischen Projekt sehr viel Aufmerksamkeit auf die noch immer ungeklärte Situation der Lampedusa-Gruppe gelenkt.

Also können Sie dem Verfahren durchaus etwas Positives abgewinnen.

Ja, nämlich dass es die Frage aufwirft: „Wie gehen wir in Europa mit den Flüchtlingen um, die hier nach schwierigsten Reisen ankommen?“ Und die muss in jedem Fall politisch verhandelt werden. Der Diskurs wird durch unser Projekt und durch das ganze Aufsehen aktiviert.

Wie haben Sie denn von den Ermittlungen erfahren?

Den Vorgang finde ich tatsächlich erstaunlich: Ich habe erst durch die Nachfragen eines Journalisten davon erfahren. Von der Staatsanwaltschaft habe ich noch kein Schreiben bekommen. Ich hatte noch nie mit der Staatsanwaltschaft zu tun – weiß also nicht, ob das vielleicht so üblich ist, dass man gar nichts von denen hört? Aber ich finde es befremdlich.

Die Strafanzeige gegen Sie wurde ja schon im Dezember gestellt – haben Sie nicht damit gerechnet, dass daraufhin ermittelt wird?

55, Romanistin, Historikerin und Kulturwissenschaftlerin, leitet seit 2007 die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel. Zuvor war sie Chefin der Sophiensaele und des Projekts Volkspalast in Berlin.

Nein. Ich dachte, die Anzeige wird fallengelassen. Es ist ja auch nicht so, dass mich irgendjemand angezeigt hat, sondern die AfD. Die ist ja nicht gerade unverdächtig, Menschen ausgrenzen zu wollen, die unter uns leben. Außerdem haben sich direkt alle politischen Parteien außer der AfD mit mir solidarisch erklärt, als die Anzeige kam.

Nachdem die AfD Deuflhard angezeigt hatte, ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen "Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht für Ausländer".

Der Beihilfe strafbar macht sich nach Paragraf 27 StGB, wer den Täter - also den Flüchtling - in seinem Entschluss bestärkt, sich illegal in Deutschland aufzuhalten.

Den Tatbestand erfüllt aber nur, wer dadurch oder durch seine Unterstützung maßgeblich dazu beiträgt, dass ein Flüchtling sich illegal in Deutschland aufhält.

Keine Straftat liegt vor, wenn die Aktion symbolischen Charakter hat.

Ob der Aufenthalt in Deutschland überhaupt illegal ist, ist im Fall der auf Kampnagel untergebrachten Flüchtlinge ohnehin unklar.

Die rund 300 Flüchtlinge der Gruppe "Lampedusa in Hamburg" kamen 2013 auf der italienischen Insel an und bekamen italienische Touristenvisa, mit denen sie sich EU-weit bewegen dürfen.

Sehen Sie die Ermittlungen als Angriff auf die Kunstfreiheit?

Ja, auf jeden Fall. Die Gruppe Baltic Raw, die das Projekt entwickelt hat, arbeitet seit Jahren mit sozialen Skulpturen. Bei der Eco Favela spreche ich von „Kunstasyl“, als Pendant zum Kirchenasyl. Am Anfang, als wir noch nicht wussten, ob das mit der Eco Favela funktioniert, habe ich den Bewohnern gesagt: „Ich glaube, ihr seid hier fast so sicher wie in der Kirche.“ Es ging ja auch fünf Monate lang gut. Bei den Ermittlungen würde ich allerdings nicht nur von einem Angriff auf die Kunstfreiheit, sondern auch von einem Angriff auf die Humanität sprechen. Im Winter ein paar Menschen von der Straße zu holen, scheint mir nicht besonders verwerflich. Im Gegenteil: Es scheint mir eine Bürgerpflicht.

Nimmt man die Politik damit nicht aus der Verantwortung? Indem man individuelle Lösungen schafft?

Durch die Öffentlichkeit, die das Projekt erreicht hat, ist es ja keine individuelle Lösung. Natürlich ist es ein Kunstprojekt! Es ging ja auch nicht nur um die Unterbringung von fünf Menschen, sondern um ein sozial-künstlerisches Experiment. Wir wollten zur gesellschaftlichen Teilhabe animieren, zur Nachbarschaft, zur Kommunikation. Wäre es einfach nur um Unterbringung gegangen, hätte ich eine Vier-Zimmer-Wohnung gemietet. Das wäre auch ein schönes Winterquartier gewesen. Und ich schwöre Ihnen: Da hätte kein Hahn nach gekräht.

Glauben Sie, die Ermittlungen sollen ein politisches Signal an Sie, an Kampnagel sein?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich glaube es eigentlich nicht, weil sich ja sehr viele Menschen mit mir solidarisch erklärt haben. Ich fühle mich da nicht allein. Ich glaube, die Ermittlungen werden bald eingestellt. Aber wissen kann man es natürlich nicht.

Es ist doch auch fraglich, ob die Anzeige Bestand hat, weil die Lampedusa-Flüchtlinge ja gar nicht illegal hier sind.

Stimmt, viele haben italienische Papiere. Aber das spielt für mich keine Rolle. Ich finde, dass man auch Menschen, die illegal hier sind, unterbringen sollte. Es geht ja um die Frage: Was machen wir mit den Flüchtlingen, die hier ankommen, weil die italienische Regierung – unser EU-Partner – sie hierher schickt. Gegen EU-Recht! Dann sind die Flüchtlinge hier und man schiebt sie nicht ab, aber man darf sie auch nicht unterbringen. Was ist das für ein politischer Wahnsinn? Ich bin froh, dass ich zur Vergrößerung dieser Debatte beitrage. Ich habe keine Verantwortung dafür, dass diese Menschen hier sind. Ich bin keine Schlepperin und habe sie nicht hierher gebracht. Ich habe sie nur untergebracht.

Ist das Projekt Eco Favela jetzt beendet?

Ja, seit dem 30. April ist es vorerst vorbei. Aber der Antrag auf Verlängerung läuft und es gibt schon Folgeprojekte. Das Haus soll wieder transformiert werden und als Diskursraum weiterbestehen. Wir wollen mit verschiedenen Kooperationspartnern debattieren, zum Beispiel mit Flüchtlingsinitiativen und dem „Recht auf Stadt“-Netzwerk. Das Flüchtlingsthema wird uns auf Kampnagel noch lange beschäftigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.