Interdisziplinärer Totentanz in Osnabrück: Wiederbelebte Wichtel

Das Projekt „Danse Macabre“ widmet sich Bildern vom tanzenden Tod vom Mittelalter bis in die Gegenwart – mit Tanz, Ausstellungen und Installationen in vier Häusern

Hundert Jahre nach der Uraufführung: Rekreation von Mary Wigmans „Totentanz I“ in Osnabrück Foto: Jörg Landsberg

Am Tod des Todes arbeiten Wissenschaft, Medizin und Religionen schon lange – vergeblich. Die jederzeit mögliche, gnadenlose Nichtung aller Lebensmöglichkeiten bleibt ein Skandal. Damit der unausweichliche Tod keine unfassbare Absurdität bleibt, die wir erst erleben, wenn wir nicht mehr leben, hilft die Kunst: Du sollst dir ein Bildnis machen von der Vergänglichkeit alles irdischen Seins und das Wissen nutzen, dich auf den Zahltag der Sühne Sold mit einem gottgefälligen Leben vorbereiten – schlägt auch die katholische Kirche vor.

Als sie noch Alltagskultur mitbestimmte, war der Tod weniger tabuisiert, als er es heute ist. Das zeigt die Ausstellung „Im Angesicht des Todes. Begegnung zwischen Schicksal und Hoffnung“ im Osnabrücker Diözesanmuseum. Dort wirkt aufdringlich, was einst selbstverständlich war, etwa Memento-mori-Darstellungen, die auf Tabakdosen und Pfeifen prangen wie „Rauchen ist tödlich“-Hinweise. Auch Vanitas-Wendeköpfe aus Elfenbein – halb Totenschädel, halb Menschenantlitz – und in Holz geschnitzte „Tödlein“-Figuren für kontemplative Stunden daheim präsentiert das Bistum, das sich an der „Danse macabre“-Kooperation der örtlichen Kulturtempel beteiligt.

Und gar nicht weiß, wohin mit all den tollen Exponaten: Hineingequetscht sind sie in einen winzigen Saal. Historische Leichenpredigten hängen über Totentanzdarstellungen in 500 Jahre alten Büchern und Porträts des großen Gleichmachers. Egal ob fetter kirchlicher Würdenträger, schnieker Edelmann, ranke Jungfrau, knuddeliges Wickelkind oder leibeigener Bauer: Der Knochenmann tanzt mit allen gleichermaßen auf den großen Reigenbildern. Aber wer genau hinschaut, entdeckt auch mal einen Schmetterling – als Verweis auf die Wiederauferstehung.

Wiederbelebter Tanz

Diese eher grundsätzlich theologische Auseinandersetzung mit der Endlichkeit ergänzt das Theater Osnabrück, indem es toten Tanz wiederzubeleben versucht – mit einer Rekreation von Mary Wigmans 1917 uraufgeführtem „Totentanz I“. Der gilt als Pioniertat der Mutter des Ausdruckstanzes. Glücklicherweise ist die Choreografie notiert überliefert und die dazugehörige Musik bekannt: Camille Saint-Saëns’ „Danse macabre“.

Kein expressiver Akt der Befreiung wird gezeigt, sondern ein Fallen, Trippeln, Stolzieren und Toben, ein gespenstisch stummes Jauchzen und lustvoll groteskes Spuken. Unerlöste Wiedergänger sollen das da auf der Bühne sein, grabfrei haben sie bekommen, um ungelebtes Leben nachzuholen. Aber das wirkt anno 2017, als würden putzige Zipfelmützenwichtel in Schlabbersackkostümen eine Kinderparty bespaßen.

Es folgt „Totentanz II“. Über ihn gibt es kaum Zeitungsrezensionen, eher theoretische Einlassungen Wigmans, einige Fotos, die Masken der Tänzer sowie Kreideskizzen, Bewegungsstudien und Aquarelle Ernst-Ludwig Kirchners, der mit zupackend-direktem Ausdruck auf die Bewegungskunst eingeht und auch die damals neumodische abstrakte Übersteigerung von Form, Farbe und Gebärde erkundet. Er begleitete die Probenarbeit 1926 in Dresden und entwarf aus den Erfahrungen sein Ölgemälde „Totentanz der Mary Wigman“.

Dass der Tod weniger tabuisiert war, als Kirche noch Alltagskultur mitbestimmte, zeigt die Ausstellung im Diözesanmuseum

Ausdruck von Ängsten

All das ist im Felix-Nussbaum-Haus anhand der Originale nachzuvollziehen. Ergänzt wird die Schau durch Beispiele, wie das Totentanzmotiv als Ausdruck verborgener Ängste oder drohender Krisen sowie zur fatalistischen Gestaltung der Gräuel des Ersten und nahenden Zweiten Weltkriegs genutzt wurde – etwa in Bildern von Ernst Barlach, Otto Dix und James Ensor.

Ein hinreißender „Skeleton dance“ (1929) von Walt Disney ist ebenso zu sehen wie das Video „Dancing Auschwitz“, in dem ein Shoah-Überlebender und israelische Vertreter seiner Enkelgeneration in KZ-Gedenkstätten zu Gloria Gaynors Hit „I will survive“ tanzen – nach Youtube-Discohüpfvorlagen aus den späten 1970ern.

Aufgrund der ganz anderen Aktenlage für „Totentanz II“ hat das Rekonstruktionsteam diese Choreografie eher nachempfunden als nachgestaltet. Da auch die befeuernde Schlagzeugmusik vollständig verloren ist, muss der Perkussionist des Osnabrücker Symphonieorchesters eine klangrhythmische Bewegungsbegleitung komplett neu erfinden.

Dazu erwachen nun Lemuren mit Totenmasken – als wären sie an Marionettenfäden gezogen von einem höllisch fiesen Magier mit Tiermaske und urwaldgrüner Verhüllung. Schlafwandelnd erhebt sich aus der Gruppe eine Cleopatra-Gestalt mit Halbtotenmaske. Kräfte wogen, Körper wanken hin und her. Aber willensschlapp ergeben sich alle und legen ihre Körper zu einem Totenhaufen zusammen. Nur der dämonische Willensberserker setzt sich mit buddhagleicher Majestät siegreich darnieder. Die Macht des Todes ist die Ohnmacht des Menschen.

Jede diesbezügliche bildnerische Formulierung im Nussbaum-Haus ist allerdings wirkungsstärker als diese elegante Tanzdarbietung des „übergroßen Gesetzes“ (Wigman) vom Leben und Sterben. Die Dance Company darf an dem vierteiligen Abend aber noch zeigen, wie sensationell gut sie ist. Nämlich im Zeitraffertempo das Ex­tremitätengewirbel und die brachial synchronen Bewegungsabläufe von Marco Goeckes „Supernova“ mit akrobatischem Wahnwitz über die Bühne jagen – als zittrig finale Energieexplosion vorm Verlöschen im Nichts.

Lauer Opferritus

Anschließend reißt Ballettchef Mauro de Candia mit seiner einfallslosen Bebilderung der „Sacre“-Fassung für zwei Klaviere von Igor Strawinsky niemanden vom Parkettstuhl. Kein Totentanz ist dieser Opferritus, stattdessen konfrontiert de Candia uniforme Tänzergruppen in lauen Arrangements mit Versuchen der Solisten, mal aus der Reihe zu tanzen – was ein bisschen Unordnung in Zeitlupe zur Folge hat.

Die Kunsthalle hat einen reizvolleren Epilog zu bieten: „Verweile doch (ein Abgesang)“. Geladen war der kolumbianische Künstler Icaro Zorbar. Er klebte die Fenster der leeren Dominikanerkirche zu, ließ aber einige Minilücken frei, sodass nun Lichtpunkte der Wintersonne über die Wände tanzen, schwebende Staubpartikel werden dazu projiziert. Aus dem Knistern einer ausgefrästen Holzkohlenschallplatte und zwei elektrischen Gongtönen sowie reichlich Hall mixt Zorbar noch einen vibrierenden Klang, der das Kirchenschiff erfüllt.

Im Kreuzgang nebenan sind dazu lustige Totentänze des technischen Fortschritts zu sehen: Ein mit Kasettenrekorderschrott geschmückter Ventilator von vorgestern bringt das aus seiner Plastikhülle flatternde Kasettenband zum Tanzen, daneben drehen Plattenspieler ihre letzten Runden. Tanz toter Technik, eine nostalgische Geste. Und: Memento mori.

„Danse Macabre“: bis 25. Juni 2017 im Theater Osnabrück, im Felix-Nussbaum-Haus, im Diözesanmuseum, in der Kunsthalle Osnabrück, Programm unter www.dansemacabre-osnabrueck.de

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