Internationaler Strafgerichtshof: Auf der Suche nach Weltniveau

Kenias und Sudans Präsidenten entgehen der Strafverfolgung. Wie handlungsfähig ist der Gerichtshof, dessen Mittel weiterhin knapp sind?

Eher unauffällig: das Logo des Internationalen Strafgerichtshofes. Bild: UN

DEN HAAG taz | Der Internationale Strafgerichtshof steckt in einer schweren Krise. Doppelt wurde Chefanklägerin Fatou Bensouda in den vergangenen Wochen in die Schranken gewiesen: Am 5. Dezember, als sie ihre Anklage gegen Kenias Präsident Uhuru Kenyatta wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurückziehen musste, und am 15. Dezember, als sie das Verfahren gegen Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir wegen Völkermord und Kriegsverbrechen in Darfur einstellte. Das Weltgericht, das seit 2002 schwere Menschenrechtsverletzungen weltweit verfolgen soll, hat seine Grenzen aufgezeigt bekommen.

Im Fall Kenyatta war es die zuständige Kammer des Den Haager Gerichtshofs, die Bensouda zum Rückzug zwang, indem sie ihr ein Ultimatum zur Vorlage belastbarer Beweise stellte und die Qualität ihrer Ermittlungsarbeit in Frage stellte. Im Fall Bashir beklagte sich die Chefanklägerin vergeblich beim UN-Sicherheitsrat, der die Darfur-Ermittlungen des Gerichtshofs ursprünglich 2005 beschlossen hatte, über mangelnden Rückhalt: Der Rat habe nie Zwangsmaßnahmen gegen Bashir beschlossen, um die Vollstreckung des seit 2009 gegen ihn geltenden internationalen Haftbefehls zu ermöglichen, und es gebe auch keine Lösung der Darfur-Krise, was Kriegsverbrecher dort weiter ermutigt habe, sagte sie als Begründung zur Einstellung.

Kenyatta und Bashir fühlen sich jetzt beide als Sieger über eine „kolonialistische“ Weltjustiz. Bensouda bat zwar die in New York tagende Jahresversammlung der 122 Mitgliedstaaten des Strafgerichtshofs, Sanktionen gegen Kenia wegen Nichtzusammenarbeit zu verhängen, aber bei der diese Woche beendeten Versammlung herrschte das Gefühl vor, die ganze Sache habe sich lange genug hingezogen. Sudans Präsident Bashir, sagen Insider, sei durch ein sicheres chinesisches Veto vor jeglichen UN-Strafmaßnahmen geschützt.

Die drei mächtigsten der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat – USA, China und Russland – sind keine Mitglieder des Strafgerichtshofs. Wenn sie sich querstellen, ist Bensouda, die 2012 ihr Amt von Luis Moreno Ocampo übernahm, machtlos.

Ausschließlich Afrika

Zwölf Jahre nach seinem Entstehen hat der Internationale Strafgerichtshof ausschließlich in Afrika ermittelt und ausschließlich gegen Kongolesen Urteile gefällt: die Warlords Thomas Lubanga und Katanga Germain wurden verurteilt, des letzteren Kollege Mathieu Ngudjolo freigesprochen. Der Kongo-Fokus dürfte sich im kommenden Jahr fortsetzen. Bis Juni 2015 wird ein Urteil gegen den ehemaligen kongolesischen Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba erwartet, dem Verbrechen seiner einstigen Rebellenarmee in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik 2002–03 vorgeworfen werden. Am 2. Juni beginnt der Prozess gegen den ostkongolesischen Warlord Bosco Ntaganda.

Im Falle Bemba stehen die Methoden von Fatou Bensoudas Anklagebehörde besonders in der Kritik. Sie hat seinen Anwalt und zwei andere Personen wegen Zeugenbeeinflussung verklagt, während sie selbst regelmäßig mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert wird – der Prozess gegen Thomas Lubanga wäre deswegen fast geplatzt. Bembas Verteidiger sagen, die Anklagebehörde in Den Haag gehe äußerst selektiv vor: nur Bemba steht wegen Verbrechen in Zentralafrika vor Gericht, während zahlreiche weitere Personen verwickelt seien, nicht zuletzt aus der Zentralafrikanischen Republik selbst.

Während der Bemba-Prozess sich seit sechs Jahren in die Länge zieht, will die Anklagebehörde immer mehr Verfahren an sich ziehen. Mit Libyen streitet das Gericht über den Umgang mit dem Gaddafi-Sohn Saif al-Islam, mit der Elfenbeinküste über die ehemalige First Lady Simone Gbagbo – beide sollen in Den Haag vor Gericht kommen, nicht in der jeweiligen Heimat. Dabei schafft es der Strafgerichtshof nicht, die eigene Arbeit in Bezug auf diese beiden Länder zu beschleunigen. Der ehemalige ivorische Präsident Laurent Gbagbo sitzt seit über drei Jahren in Den Haag in Untersuchungshaft – der Beginn des Prozesses gegen ihn ist derzeit am 7. Juli 2015 geplant.

Rekordkläger Georgien

Anderswo sieht es nicht besser aus. Den Haag hat Ermittlungen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik angekündigt, aber konkrete Maßnahmen lassen auf sich warten. Klagen aus Kolumbien liegen seit 2005 vor – passiert ist bisher nichts. 92 Afghanistan-Klagen sind beim Gerichtshof eingegangen – keine Voruntersuchung wurde bisher abgeschlossen. Den Rekord hält Georgien mit 3.855 Klagen seit dem Krieg mit Russland im August 2008 – die Voruntersuchung läuft, ebenso wie für den Putsch in Honduras 2009. Forderungen nach Ermittlungen gegen Israel werden regelmäßig abgelehnt; derzeit läuft ein Berufungsgesuch der Komoren gegen die Entscheidung der Anklagebehörde, keine Ermittlungen wegen des israelischen Angriffs auf das unter komorischer Flagge segelnde Gaza-Solidaritätsschiff Mavi Marmara 2010 einzuleiten.

Bei der Jahresversammlung in New York wiesen Menschenrechtsgruppen darauf hin, dass die eigentliche Arbeit des Gerichtshofs – der Kampf gegen Straflosigkeit – untergraben wird, wenn in der Zentralafrikanischen Republik, Syrien, Mexiko und Libyen nichts passiert. Für das Gericht lautet die Antwort auf solche Probleme: Mehr Geld. Der Haushalt 2014 betrug 121,65 Millionen Euro, für 2015 will Den Haag 135 Millionen, davon 66,26 Millionen für das Gericht an sich, 41,67 Millionen für die Anklagebehörde und lediglich 1,93 Millionen für den Opferfonds des Gerichtshofs. Für so viel Geld ist die Produktivität des Strafgerichtshofs ziemlich gering, finden viele Regierungen. Sie bewilligten 130,6 Millionen.

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