Internationales Literaturfestival: Eine blöde abgedrehte Laus

Große Worte (5): Herta Müller trägt ihre Gedichtcollagen vor. So gelöst hat man die Nobelpreisträgerin selten gesehen.

Auf dem Weg zum Haus der Berliner Festspiele liest man noch ein paar Gedicht-Collagen von Herta Müller. Sie stammen aus ihrem neuen Buch „Vater telefoniert mit den Fliegen“, das sie heute vorstellen will. Man macht sich Sorgen: Wie soll eine Nobelpreisträgerin, die sonst so ernst wirkt und so traurig, derart witzige Gedichte lesen?

Die Sorgen sind unberechtigt. Selten hat man Herta Müller so beschwingt, so gelöst gesehen wie an diesem Abend im Rahmen des Literaturfestivals. Die Gedichte werden auf eine große Leinwand projiziert. Die kleine Person mit dem strengen Zug um den Mund stellt sich ans Mikro, verschränkt die Arme und legt den Kopf schief. Voller Belustigung schaut sie auf das, was sie da zusammengeklebt hat. Sie liest von Karteikarten voller ausgeschnittener Wörter – aus Gedichten, die wie Erpresserbriefe aus alten Filmen aussehen.

Herta Müller betont jedes Wort, denn in diesen seltsam gesetzten Gedichten scheint jedes von ihnen störrischer zu sein als in einem normalen Text. Sie liest: „Gestern sagte Herr Straub: Holz macht stolz. Und dann: Was immer passiert, Hauptsache kariert.“ Herta Müller grinst. Das Publikum lacht.

Einfach nur Worte finden

Ungefähr 1.000 Gedichte hat Herta Müller auf diese Art bereits gebastelt, immer dann, wie sie sagt, wenn sie nicht schreibt. Das heißt: Diese Art der Gedichtproduktion ist für sie nicht dasselbe wie Schreiben. Denn bis zu einem gewissen Grad muss sie sich die Worte hier nicht ausdenken. Sie muss sie nur finden.

Im anschließenden Gespräch mit der Radiojournalistin Silke Behl wird deutlich, wie befreiend die Produktion dieser Gedichte für Herta Müller sein muss. Sie setzt das Gesicht einer schnurrenden Katze auf, als sie erzählt, wie sehr sie das Ausschneiden und die Mechanik des Hin- und Herschiebens auf dem Tisch genießt. Schneiderin wollte sie einmal werden, sagt sie. „Die Wörter sind da!“, ruft sie. Und dann: „Es läuft wie von selbst!“ Und wieder muss man lachen.

Und doch. Viele dieser Gedichte von Herta Müller sind nicht nur komisch. Immer wieder sind sie auch Vorläufer oder Nachläufer, wie sie sagt, ihrer großen Themen. Dann handeln sie manchmal eben auch von ihrer Verfolgung durch das Regime Ceauescus, bevor sie von Rumänien nach Deutschland kam – oder vom Suff des Vaters, der bei der Waffen-SS gewesen war.

Der Unterschied zu ihrer Prosa: Im Normalfall pflegt Herta Müller Misstrauen gegenüber der Sprache, die so leicht vor den Karren der Macht zu spannen ist. Sie müht sich, die faden Worte in andere Kontexte zu stellen, ihnen neues Leben einzuhauchen. In ihren Gedichtcollagen gelingt all das vergleichsweise unangestrengt. In Herta Müllers eigenen Worten: „Nicht selten kroch im Gebrauch aus dem dunklen Rock der kleinen Wörter eine blöde abgedrehte Laus mit einer Flöte heraus.“

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