Internetzugang in der Provinz: Verdurstet in der Breitbandwüste

Das lahme Internet auf dem Land ist ein Problem. In Mahlsdorf geht ein Mann über die Dörfer, der für Glasfaser Überzeugungsarbeit leistet.

„Erleben, was verbindet“ heißt ein Slogan der Telekom. Bild: imago/ Christian Thiel

SALZWEDEL taz | „Ende Januar hatte ich eine Woche kein Internet“, sagt Hartmut Beierlein und lacht. Der Sarkasmus ist deutlich herauszuhören. „Man wird ja als Unternehmer unglaubwürdig, wenn man tagelang keine E-Mails beantwortet.“ Beierlein trägt ein apfelgrünes Firmensweatshirt. Der 48-Jährige besitzt in Mahlsdorf, einem 500-Seelen-Ort in der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts, eine kleine Werbefirma, die von Autobeschriftung bis Briefbögen alles anbietet. Druckvorlagen, Entwürfe, Layouts schickt er übers Internet, sofern er Zugang hat.

Hundert Kilometer von hier, hinter den endlosen Wiesen und Feldern, verspricht die CeBIT in Hannover jede Menge digitalen Lifestyle, Business Communication und die „Broadband World 2012“. Von Mahlsdorf aus betrachtet ist Hannover ein digitaler Garten Eden, aus dem frisches Wasser im Überfluss sprudelt. Bei Hartmut Beierlein kommt nichts an, er verdurstet in der Breitbandwüste.

Was hat er nicht alles veranstaltet, um einen zuverlässigen Zugang zum Internet zu bekommen. Beierlein hat eine DSL-Satellitenantenne am Giebel, eine LTE-Antenne auf dem Dach, ein Mobiltelefon, einen Surfstick und einen Telefonanschluss. Manchmal glaubt er selber nicht, was er gerade erzählt: „Bis letztes Jahr sind die Leute hier mit’m Modem gesurft!“ Surfen ist dabei wohl nicht das passende Wort. Etwa zweihundert Euro zahlt er im Monat für Internetzugänge, die ihn regelmäßig im Stich lassen. Der neue Mobilfunkstandard LTE ist derzeit das einzige, halbwegs funktionierende System. Die Funkversorgung ist schwach.

„Es kostet viel Geld, Zeit und vor allem viel Nerven“, fasst Beierlein zusammen. „Und es ist ein Wettbewerbsnachteil.“ Plötzlich rennt er los, sucht etwas, kommt mit einem Papier zurück. „Hier!“ Als wollte die Telekom Beierlein verhöhnen, legt sie zur Telefonrechnung stets den aktuellen Prospekt über Highspeed-Datentarife und Business-DSL bei, Motto „Erleben, was verbindet“. „Hier war zu DDR-Zeiten Ende im Gelände!“, lacht er auf und schließt: „Wenn noch über Cloud Computing nachgedacht wird, dann ist hier definitiv Feierabend.“

Grenzland Altmark

Die Altmark lag stets am Rand. Erst war sie Grenzland zu den Slawen, später der westlichste Zipfel der Mark Brandenburg, in der DDR lag sie im mausetoten Winkel von Sperrgebiet und Splitterminen an der innerdeutschen Grenze. Jetzt ist sie der nördlichste Zipfel Sachsen-Anhalts, 39 Einwohner pro Quadratkilometer. So viel Leere hat in Deutschland nur die benachbarte Prignitz im Brandenburgischen zu bieten.

DSL (Digital Subscriber Line) kommt auf der „letzten Meile“ von der Vermittlungsstelle, wohin das Datensignal bereits per Glasfaser übertragen wird, zu den Anschlüssen in den Häusern und Wohnungen mit einfachen Kupferdrähten aus. Allerdings sinkt bei einem Abstand von mehr als zwei Kilometern zwischen Vermittlungsstelle und Anschluss die Übertragungsgeschwindigkeit erheblich.

VDSL (Very High Speed Digital Subscriber Line) ist eine Weiterentwicklung und bietet deutlich höhere Geschwindigkeiten als DSL.

LTE (Long Term Evolution) ist der Mobilfunk-Standard der vierten Generation 4G (UMTS ist 3G). LTE erlaubt einen deutlich schnelleren Internetzugang als die bisherigen Mobilfunknetze. Die Geschwindigkeit der Zugänge ist meist ähnlich schnell wie bei DSL.

Satelliten-DSL ist eine Alternative, um flächendeckend und unabhängig von einem Kabel per Satellitenantenne einen Highspeed-Zugang zum Internet zu bekommen.

FTTH (Fibre to the Home) bedeutet Glasfaser bis ins Haus und gilt als die zukunftsfähigste Lösung, da sich Datenmengen von mehr als 10.000 MBit/s (DSL 10.000.000) übertragen lassen. Der Wechsel von Kupfer zu Glasfaser auf der „letzten Meile“ ist allerdings kostspielig. Führend in Europa ist Litauen, wo fast 30 Prozent aller Haushalte solche Anschlüsse nutzen, es folgen Norwegen, Schweden, Slowenien. In Deutschland sind es 0,4 Prozent.

CeBIT: Von heute bis Samstag ist die CeBIT in Hannover für Besucher geöffnet, Schwerpunktthemen sind Vertrauen und Sicherheit in der digitalen Welt (Managing Trust), Cloud Computing und Mobilität und Internet. Partnerland ist Brasilien.

Doch wer brennt ernsthaft darauf, in Dörfern wie Mahlsdorf kilometerlange Leitungen zu verlegen? Landrat Michael Ziche aus Salzwedel, der acht Kilometer nördlich gelegenen Kreisstadt. „Weil Marktversagen vorliegt, schaffen die Gemeinden Infrastruktur“, referiert Ziche. Der 50-Jährige sitzt im Amtszimmer, hat schon über die Priorität schneller Internetzugänge gesprochen und erzählt von seinem Traum: Dass die Kinder derer, die einst aus der Altmark fortgezogen sind, zurückkehren werden, weil es hier eine florierende Wirtschaft, gut bezahlte Jobs und vor allem schnelles Internet gibt.

Seine Idee: Wenn es sich für die großen Netzbetreiber nicht rechnet, müssen die Kommunen einspringen. Sie sollen die Grundlage für ein Glasfasernetz schaffen und Leerrohre bis in jedes Haus verlegen. Diese Erdarbeiten sind der teuerste Posten auf dem Weg zur Glasfaser-Technologie. „FTTH“ – Fibre to the home – dieses Kürzel geht dem Landrat inzwischen genauso flink und oft über die Lippen wie das Wort Zweckverband.

Pacht für die Leerrohre

Wenn die Rohre liegen und es ausreichend Interessenten gibt – 60 Prozent sollten es sein – würden sich Betreiber finden lassen, die Glasfaserkabel durch die Rohre ziehen und ihre Dienste anbieten. Diese würden an die Kommunen eine Pacht für die Leerrohre zahlen. Damit könnten die Kommunen wiederum das Projekt finanzieren und dann hätte die Altmark Turbo-Zugang zum Internet.

Damit nicht jede Gemeinde einzeln baggern muss, wollen die Kommunen kooperieren. Noch im Frühjahr soll der „Zweckverband Breitband Altmark“ gegründet werden. Wenn alles läuft, werden die ersten Altmärker im Jahr 2013 auf Glasfaserkabeln ins Netz surfen. Dieser Plan firmiert in der Staatskanzlei in Magdeburg inzwischen als „Vorzeigeprojekt Sachsen-Anhalt“.

CDU-Mann Zische hat sich vom Traktoristen zum Verwaltungsfachmann, später zum Kämmerer hochgearbeitet. Im Jahr 2008 wurde er zum Landrat gewählt. Nun ist er außerdem der IT-Visionär des Landes. Sein Adlatus ist Axel Schulz. Seit dem Herbst ist der 33-Jährige über die Dörfer gezogen und hat das Projekt auf Gemeinderatssitzungen vorgestellt. Er hat dabei ein Stückchen Leerrohr und Glasfaserkabel vorgezeigt, gepredigt, dass der Internetzugang so wichtig ist wie Strom und Wasser, hat den Gemeinderäten die Unterschiede zwischen DSL, LTE und FTTH erklärt und schließlich den Glasfaseranschluss bis ins Haus als „finale Breitbandinfrastruktur“ gelobt.

Kosten für die gesamte Altmark – neben dem Kreis Salzwedel gehört auch der Landkreis Stendal dazu – stattliche 95 Millionen Euro, vorfinanziert durch Kredite und Fördermittel. Trotzdem haben nahezu alle Kommunen eine „Absichtserklärung zur zukunftsfesten Breitbandversorgung“ unterzeichnet. Schulz hat ganze Arbeit geleistet.

Und wie hat er die Ratsmitglieder, viele von ihnen im höheren Alter, für das 95-Millionen-Projekt erwärmt? „Das war kein Problem“, erzählt Schulz. Wer nicht selbst Internetnutzer ist, bei denen haben die Kinder und Enkel die nötige Einsicht befördert. Vielleicht war Schulz auf den Dörfern auch deshalb so erfolgreich, weil er kein IT-Ingenieur ist, sondern weil er eine Story erzählen kann. Er hat in Schweden Ethik studiert und dort gesehen, dass Breitbandnetze auch fernab der Zentren wirtschaftlich betrieben werden können.

Für Schulz bringt einzig FTTH die Lösung. Er zeigt auf eine Sachsen-Anhalt-Karte an der Wand, die die Breitbandabdeckung zeigt. Überschrift: „Noch viele weiße Flecken“.

Das Dorf Ritze ist so ein Fleck. „Grundsätzlich ist das eine gute Idee“, würdigt Ulrich Ungewickell die Pläne des Landrats. Der 67-Jährige ist Ortsbürgermeister dreier Dörfer mit zusammen 500 Einwohnern. Er sitzt in seinem Wohnzimmer und sucht nach lokalpolitisch korrekten Worten. Natürlich, auch Ungewickell hat der Absichtserklärung zum FTTH-Ausbau zugestimmt.

Tägliche Internetuser sind Sonderfälle

Wer will schon als Blockierer dastehen? Aber wer wird noch dabei sein, wenn die Verträge vorliegen? Werden dann 60 Prozent der Haushalte unterschreiben? „Wer soll da mitmachen, bei der Altersstruktur?“, wirft er ein. „Hat der Landrat auch gesagt, ob sich die beiden Landkreise an der Finanzierung beteiligen?“ Ungewickell blickt streng. Sollen das Risiko nur die Kommunen tragen? Und das kleinste seiner Dörfer, Klein Chüden, hat nicht mehr als 20 Einwohner.

Ungewickell selbst hält sich als täglicher User eher für einen Sonderfall. Einmal wollte er die Dorfchronik als PDF über Modem rausschicken. „Der Rechner hat sich heißgelaufen“, berichtet er. Keine Frage, schnelles Internet müsse her. Aber wie? „Man muss die Palette ausschöpfen“, sagt er sibyllinisch – Glasfaser, LTE, Satelliten-DSL. Nach „finaler Lösung“ klingt das nicht.

Und was nutzt Ungewickell selbst? „Ich habe UMTS“, sagt er und greift zum Smartphone. Allerdings stehen ein paar Eichen seinem schnellen Zugang zum Internet im Weg. Für einen FTTH- Vertrag wird sich Ungewickell dennoch nicht erwärmen. Ein Festanschluss lohne nicht, da er vier Monate im Jahr auf Achse sei. Im Frühjahr macht er sich mit seiner Frau stets nach Ungarn auf den Weg. Der Caravan wartet schon vorm Haus.

Apropos Autobahn – die Gegend hat nicht nur mit dem Daten-Highway ein Problem. Salzwedel gilt als die am weitesten von einer Autobahn entfernte Stadt Deutschlands. Doch auch das ändert sich nun. Derzeit wird an einer Autobahn gebuddelt, die die Altmark durchschneiden wird.

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