Interview Ex-Titanic-Chefredakteur: "DDR? Kenn ick nich!"

Achtzehn Jahre Wiedervereinigung - Anlass genug für Martin Sonneborn, In seinem Film "Heimatkunde" den Osten zu erkunden. Dort fand er Hundekotbehälter neben Faschismusmahnmalen und Schleim im Pool.

Martin Sonneborn recherchierte ganz investigativ für seinen Film. Bild: smac film

taz: Herr Sonneborn, für Ihren Film "Heimatkunde" sind Sie sechs Wochen lang mit einem Kamerateam durch den Berliner Speckgürtel gewandert. Bei Ihrer "Expedition in die Zone" haben Sie skurrile Bekanntschaften gemacht. Wie haben Sie diese Protagonisten aufgestöbert?

Martin Sonneborn: Die meisten Begegnungen entstanden spontan. Ich habe das Gespräch gesucht mit Leuten, die mir komisch vorkamen. Und wenn wir an einer Tankstelle vorbeikamen, lag es natürlich nahe, dort eine Wurst oder ein Bier zu nehmen und mit den Leuten zu sprechen.

Sie hatten eine Satire im Sinn?

"Heimatkunde" ist als nichtsatirischer Film angelegt. Wir waren schließlich nicht unter falscher Flagge unterwegs. Und wenn jetzt die Zuschauer im Kino lachen, dann liegt das daran, dass ich unfähig bin, mich ernsthaft mit Leuten zu unterhalten.

Sie hatten ja stets den Kameramann dabei. Wirkte das nicht abschreckend auf Ihre Gesprächspartner?

Es hat mich sehr überrascht, dass die meisten Leute es für völlig normal halten, dass eine Kamera dabei ist. Das Privatfernsehen hat die Leute so geprägt, dass man eher hindrängt, wenn da eine Kamera kommt.

Unterwegs treffen Sie einen Gärtner, der sich mit Bäumen unterhält, weil er den Glauben an die Menschheit verloren hat. Sie sprechen mit Imbiss-Besitzern, die von reichen Jet-Set-Kunden träumen, aber bei denen dann doch der Jauchewagen vorfährt. Ein Straßenbahnführer beschwert sich, dass der Mauerfall seinen Straßenbahnfahrplan durcheinandergebracht hat. Betrachten Sie Ihre Gesprächspartner als Ihre Opfer?

Als Opfer sehen wir die Leute natürlich nie, nur als mögliche Lieferanten von komischem Filmmaterial. In Marzahn kamen wir auf die Plattenbauten zu und da sehe ich jemanden oben auf dem Balkon. Da rufe ich und es entwickelt sich ein Gespräch. Der Mann hat mir erzählt, dass die Plattenbauwohnungen im Osten viel besser seien, weil sie alle den gleichen Schnitt haben und man beim Umzug die Auslegware einfach mitnehmen kann, weil sie überall passt. Ich bin halt aufnahmebereit für alles, was mir entgegenkommt, und offen für interessante Dinge, die sich meist auch erst im Gespräch ergeben.

Wenn Sie mit jemandem reden, entsteht Realsatire. Ist das ein angeborenes Talent?

Ich befürchte, das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben, das hat mit Telefonstreichen angefangen, und wenn in der Schule später was los war, war ich meistens verantwortlich. Die Frage ist: Wie verpacke ich meine Kritik? Man kann zum Alkoholiker werden, man kann in den bewaffneten Widerstand gehen, man kann in die Politik gehen, was wir ja seit 2004 mit der Partei "Die Partei" bewerkstelligen, und man kann Satire machen.

Mit der Sie immerhin einmal die Fußball-Weltmeisterschaft ins Land geholt haben, weil anscheinend ein Fifa-Delegierter ein Bestechungsfax der Titanic für echt hielt. Mit ihrer Satire führen Sie im Film einen erfolgreichen Kampf gegen Hundekotbehälter …

… In Stahnsdorf wurde gerade ein neuer Platz eingeweiht, mit einem Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Es gab zwei Bänke, ein bisschen Grün und ein paar Bäume. Es gab daneben allerdings auch noch vier große, nagelneue, überdimensionierte und um das Mahnmal herum platzierte sogenannte Hundekotbehälter. Wir haben den Bürgermeister gefragt, in welchem Zusammenhang die Hundekotbehälter zum Mahnmal und zum Hitlerfaschismus stünden. Er wurde vor laufender Kamera immer wortkarger. Die Kamera war noch nicht ganz aus, da rollte schon ein Abrisskommando an, um zwei Behälter zu entfernen.

Welche Begegnung während Ihrer Wanderung fanden Sie besonders schräg - oder besonders traurig?

Die bizarrste Situation war im Asylbewerberheim Stolpe-Süd. Ich habe mich mit einem Abu Abbas unterhalten, der seit elf Jahren dort eingesperrt ist und darauf mit einem gewissen Galgenhumor reagiert. Auf meine Frage, wie lange er hier jetzt leben wird oder muss, hat er geantwortet: "Bis ich sterbe", und angefangen zu lachen. Das zeigt Ausnahmesituationen, mit denen man sonst nicht konfrontiert wird, in denen unser Staatsgebilde versagt und falsch läuft. Dann ist es gut, so etwas zeigen zu können.

Hatten Sie eigentlich nie Angst, in eine brenzlige Lage zu geraten?

Nein. Eine gefährliche Situation gab es, als ich in Schönefeld in einem Pool voller Schleim stand. Das Wasser war vier Jahre nicht abgelassen. Ich glaube, den Mann verklage ich. Er hat gesagt, er hat immer Chemie da reingekippt, noch aus DDR-Beständen. Das grenzt an Körperverletzung, was die mit mir gemacht haben.

Wie wäre es mit einer Wiederholung Ihrer Wanderung in einigen Jahren?

Weil sich etwas verändert in der Zeit? In vier Jahren wäre das Wasser in dem Pool noch grüner - insofern würde ich davon Abstand nehmen. Es wächst sicher zusammen, mit jedem Jahrgang, der geboren wird. Aber jungen Leuten wird das Wissen einfach fehlen. Wir sind vielen jungen Menschen begegnet, die nichts über die DDR wussten, gar nichts. "DDR? Kenn ick nich!" Einmal sagten zwei sechzehnjährige Mädchen, ja, das haben wir in der Schule gehabt. DDR, das war so was wie Krieg. Das Ausmaß, in dem die DDR unbekannt ist oder glorifiziert wird, hat mich schon überrascht.

Seit dem Titanic-Titelbild der "Zonen-Gaby" sind Ostdeutsche immer wieder Zielscheibe Ihrer Satire. Als "Partei" fordern Sie den Wiederaufbau der Mauer. Ist das wirklich noch witzig?

Vor allen in den ersten Jahren nach der Wende konnten wir uns im Osten am Telefon alles erlauben, man hat wirklich überhaupt nichts in Frage gestellt. Wir freuen uns, wenn wir Widerspruch und Zorn provozieren. Witze über die DDR funktionieren so lange, wie das Land geteilt ist - nein, solange sich das Leute nicht eingestehen. Das war einer der Gründe, warum wir 2004 die "Partei" gegründet und den Wiederaufbau der Mauer gefordert haben: weil in den Feuilletons überhaupt keine Debatte darüber stattfindet, ob wir vielleicht doch sehr getrennt sind, wir - und die da drüben. Es hat Spaß gemacht, das von einer offiziellen Plattform aus zu thematisieren. Die Mauer ist übrigens nur ein populistisches Vehikel - wir werden sie nicht einfach bauen, wenn wir an der Macht sind, sondern eine Volksbefragung durchführen. Wenn da demokratische Mehrheiten zustande kommen, bauen wir sie, sonst eben nicht. Ich bin da ganz unentschieden. In jedem Fall würde sie ansprechender aussehen, nicht so grau, sondern begrünt, in die Beobachtungstürme könnten Diskos rein. Das wäre etwas für die jungen Leute.

Seit zwei Jahren leiten Sie die Satire-Rubrik "Spam" bei Spiegel Online. Viele finden die Seite eher mäßig witzig. Funktioniert die Titanic-Masche im Internet nicht?

Es gibt gewisse Grenzen, die wir uns entweder selber aufzeigen oder die wir von Zeit zu Zeit aufgezeigt bekommen. Mit Stefan Aust als Chefredakteur des Spiegels war einiges nicht möglich.

Sie meinen den Skandal um die Fotos von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan. Einer posierte mit einem Totenschädel in der einen und seinem Penis in der anderen Hand. Auf "Spam" gab es daraufhin eine Bildstrecke von einem Mann in Uniform mit umgehängtem Plüschpenis. Lange standen diese Bilder nicht im Netz.

Das war ein Signal von Aust persönlich. Seitdem haben wir relativ wenige Probleme. Es gibt einen CDU-Abgeordneten, der nicht wollte, dass wir ihm Dinge in den Mund legen. Da ging es um die Diätenerhöhung. Wir haben ihn sagen lassen: Wenn das nicht klappt, gehe ich nach Tschechien oder Schweden und lasse mich da wählen. Also die übliche Abwanderungsdrohung von Unternehmen, auf die Politik gemünzt. Er sagte, wir sollen das rausnehmen, seine Wähler seien zu dumm, das zu kapieren. Das muss jetzt gerichtlich geklärt werden. Im Netz ist das wegen der konservativen bis weltfremden Rechtsprechung schwieriger als beim Titanic-Heft. Aber es muss möglich sein, im Netz Satire zu machen.

Vermissen Sie den Redaktionsalltag bei der Titanic?

Ich habe in Frankfurt über der Redaktion gewohnt. Das war schon schön, in die Redaktion zu kommen, Zeitung zu lesen und zu gucken, wo liegt ein Witz auf der Hand. Ich wollte nie etwas anderes machen, es ist das Beste, was man machen kann. Aber Titanic ist ja mehr etwas für die wilden Jahre.

INTERVIEW: JAN STERNBERG

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