Interview Pflegemissstände in Bremen: „Wo sollen die Leute denn hin?“

Mit einer Schließung des Alloheim-Pflegezentrums Marcusallee ließen sich Missstände nicht lösen, sagt Reinhard Leopold von der Initiative „Heim-Mitwirkung“.

Zwei Hände eines alten Menschen greifen einen Haltegriff.

Für Angehörige ist der Blick hinter die Kulissen von Pflegeeinrichtungen meist schwierig Foto: dpa

taz: Herr Leopold, nachdem vergangene Woche drastische Bilder aus dem Alloheim Marcusallee veröffentlicht wurden, hat der SPD-Abgeordnete Klaus Möhle die sofortige Schließung des Heims gefordert. Unterstützen Sie das?

Reinhard Leopold: Die Schließung sollte immer die allerletzte Maßnahme sein. Meiner Meinung nach ist Klaus Möhles Vorstoß Populismus, um sich selbst in die Öffentlichkeit zu bringen. Er selbst war derjenige, der vor ungefähr anderthalb Jahren den Hinweis gegeben hat, dass die Schließung von Pflegeeinrichtungen problematisch ist, weil die Menschen dann ja woanders untergebracht werden müssten. In der Tat gibt es in diversen Einrichtungen Belegungsstopps und in anderen keine freien Plätze – das heißt: Wo sollen die Leute denn bitteschön hin?

Aber so kann es ja nicht weitergehen…

Nein. Aber eine Schließung löst die Probleme nicht.

Was dann?

Die Linksfraktion hat jetzt einen Bürgerschaftsantrag gestellt, in dem sie eine personelle Aufstockung der bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht, also der Heimaufsicht, fordert. Auch wir sowie die CDU forderten dies schon im Oktober letzten Jahres, als es um die Erneuerung des Heimgesetzes ging. Denn die Regelprüfungen durch die Heimaufsicht, die eigentlich einmal im Jahr in jeder Einrichtung gemacht werden müssen, finden nur zu 24 oder 25 Prozent statt. Man kann an den monatlichen Prüfungsergebnissen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und des PKV-Prüfdienstes ablesen, dass Bremen seit über einem Jahr das Bundesland ist, das in der medizinischen und pflegerischen Versorgung in Pflegeheimen am schlechtesten abschneidet.

Und das liegt an der Heimaufsicht?

In ihrer Arbeit gibt sie sich alle erdenkliche Mühe. Aber neun Stellen bei der Heimaufsicht, von denen, soweit ich weiß, nicht einmal alle Vollzeitstellen sind, reichen nicht aus. Verantwortlich dafür sind die Sozial- und die Finanzsenatorin.

Reinhard Leopold, 62, ist Gründer der Bremer Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ und Regionalbeauftragter des Pflegeschutzbundes BIVA e. V.

Hat die Heimaufsicht früh genug auf Klagen von Angehörigen und Mitarbeitenden des Alloheims reagiert hat?

Sie ist da nach eigenem Bekunden ja schon seit mindestens anderthalb Jahren dran und das wissen wir auch durch Rückmeldungen von Angehörigen. Insofern: Ja. Aber was wir bereits seit langer Zeit bemängeln und was auch hier gilt, ist die Beratungsfunktion der Heimaufsicht.

Was meinen Sie damit?

Das bedeutet, dass die Heimaufsicht nicht nur kontrolliert, sondern auch als eine Art Unternehmensberater auftritt. Dabei hat sie hier keinerlei Expertise. Was sie als Beratung anbietet, kann also sogar schädlich sein, weil sie fachlich nicht fundiert ist. Hinzu kommt, dass die Beratungen kostenlos sind. Heime sparen so eine teure, externe Qualitäts- und Unternehmsberatung durch eine Fachfirma. Dabei könnten die Kosten dafür durchaus ein Anreiz für die Betreiber sein, Mängel so schnell wie möglich abzustellen. Ich kenne andere Bundesländer, in denen es kostenpflichtig ist, wenn die Heimaufsicht bei Mängeln auf der Matte stehen muss. Es kann nicht sein, dass das im Haushaltsnotlageland Bremen kostenlos ist.

Wenn die Heimaufsicht Einrichtungen Anordnungen erteilt, stellt sie ihnen das aber durchaus in Rechnung…

Da wäre allerdings zu hinterfragen, wann die ersten Anordnungen erfolgen. Die kommen in der Regel ja erst, wenn Beratungsgespräche nichts gebracht haben. Und Gebührenbescheide in Höhe von fünf- oder zehntausend Euro sind doch für solche Riesenkonzerne wie Alloheim eine Lachnummer.

Also sollte die Heimaufsicht direkt eine externe Unternehmensberatung anordnen?

Das wäre wünschenswert, zumal dann auch die Heimaufsicht die Möglichkeit hat, entsprechende externe Gutachten zu prüfen. Ich bin davon überzeugt, dass das zu schnelleren und besseren Ergebnissen führen würde. Und mit dem eingesparten Geld für die bislang unentgeltlichen Beratungen könnte wenigstens zum Teil mehr Personal finanziert werden.

Wie soll es angesichts der Probleme Angehörigen möglich sein, sich ein einigermaßen realistisches Bild einer Pflege-Einrichtung zu machen?

Deutlich einfacher wäre es für Angehörige, wenn die Heimaufsicht ihre Berichte über Pflegeeinrichtungen veröffentlichen würde. Das war gesetzlich auch schon einmal so vorgesehen, ist aber leider nie geschehen – und im novellierten Heimgesetz ist das einfach gestrichen worden. In ihrem Bürgerschaftsantrag fordert die Linksfraktion auch, die Prüfergebnisse der Heimaufsicht zeitnah und mindestens einmal jährlich ohne informelle Einschränkungen, im Internet zu veröffentlichen. Das ist leider schon lange überfällig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.