Interview über Geschlechterkonflikte: Es wird alles nur noch geiler

Wie werden Frau-Mann-Beziehungen nach #MeToo besser? Ein Gespräch mit den Buchautorinnen Jagoda Marinić (Sheroes) und Sophie Passmann (Alte weiße Männer).

»Ich kann jeder Schwäche lieben, außer Humorlosigkeit.« – Feministinnen Marinic (l.), Passmann in Berlin im Januar 2019. Bild: Paula Winkler

taz FUTURZWEI: Frau Marinić, Frau Passmann, Sie sind beide öffentlich hörbare und sichtbare Frauen, haben sich durchgesetzt, haben Einfluss und damit Macht. Wie haben Sie das gemacht?

Sophie Passmann: Einfach die Schnauze nicht halten.

Das ist Ihr Erfolgsprinzip?

JAGODA MARINIĆ

 

Jahrgang 1977, geboren in Waiblingen.

Schriftstellerin, Autorin, politische Essayistin, lebt in Heidelberg und leitet dort das Interkulturelle Zentrum.

 

Das Buch: Sheroes: Neue Held*innen braucht das Land. S. Fischer, 2019 – 128 Seiten, 12 Euro

Ein Gesprächsversuch zwischen Frauen und Männern nach #MeToo.

 

 

SOPHIE PASSMANN

 

Jahrgang 1994, aufgewachsen in Südbaden.

Satirikerin, Radiomoderatorin, Autorin für Jan Böhmermanns Neo Magazin Royal, SPD-Mitglied.

Lebt in Köln und Berlin.

 

Das Buch: Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch. KiWi, 2019 – 256 Seiten, 12 Euro

Fünfzehn Gespräche mit Männern, die Macht und Status haben.

Passmann: Das laute Sprechen ist nicht das Erfolgsprinzip allein, aber das ist mit Sicherheit ein Teil der Methode. Da sind wir schon bei einem ganz wichtigen Aspekt aus deinem Buch, Jagoda, sich über gewisse Ideen hinwegzusetzen, wie man zu sein hat, und mit einem gewissen Selbstbewusstsein Dinge zu tun und nicht sofort in Handlungsunfähigkeit zu erstarren, wenn irgendjemand kritisiert, weil man vielleicht eine junge Frau ist, die feministische Dinge sagt. Es reicht aber nicht, einfach nur ständig da zu sein und die Klappe aufzureißen. Man muss zwischen fünfzehn anderen Gedanken auch mal einen besonders klugen haben, der Leute dann beeindrucken kann oder zumindest mal zum Nachdenken bringt. Man kann eben nicht erwarten, dass irgendwann jemand klingelt und sagt: Du wirkst in deinem stillen Kämmerlein so beeindruckend. Schreib doch mal was für uns.

Jagoda Marinić: Mir ist es passiert.

Ja?

Marinić: Es gab und gibt ja Leute, die scouten und sichten. Nicht jeder sucht von sich aus das Rampenlicht. So wie nicht jeder von seinem Talent weiß. An Social Media ist einerseits reizvoll, dass die Entscheiderriege wegfällt, man kann da nicht von irgendwelchen Gatekeepern stumm gestellt werden. Das macht es andererseits aber oft extrem nervig, weil jeder »Hier!« und »Ich!« schreit. Da fallen die Ruhigeren wieder auf ihre Weise auf.

Wie wichtig war Twitter für Ihren Erfolg?

Passmann: Mir wurde im letzten Jahr gerne mal aufgedrückt, ich sei so dieses Girl aus dem Internet und hätte einfach angefangen zu twittern und dann sei mir alles zugefallen. So war es nicht. Ich habe beim Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet. Ich habe eine Moderatoren-Ausbildung, ich habe studiert, ich habe während des Studiums geschrieben. Parallel zum vielen Twittern hatte ich einen Lebenslauf, der mir erlaubt, auch Sachen zu machen, die ich jetzt mache. Twittern war trotzdem wichtig, weil ich da natürlich eine Reichweite generiert habe und generieren kann bis heute, die ich im Hörsaal nicht generieren konnte. Aber am Ende des Tages reicht es nicht, auf Twitter laut zu sein. Muss man schon ein bisschen mehr können als das.

Warum gibt es im künstlerischen Bereich Satire und Humor kaum Frauen?

Passmann: Wenn ich mir die deutsche Satirelandschaft anschaue, muss ich eher sagen: Wo sind eigentlich die lustigen Männer? Es gibt viele Männer, die machen Dinge mit großem Selbstbewusstsein auch in Fernsehshows, vor Kameras, hinter Mikros, auf Comedy-Bühnen. Die kommen eine ganze Stunde ohne eine handwerklich richtige Pointe aus. Wenn ich mir die Frauen anschaue, die in der Satirelandschaft gerade Erfolg haben und gute Sachen machen, dann gibt es, grob geschätzt, neunzig Prozent wirklich gute Leute. Bei den Männern nur die Hälfte.

Warum läuft das öffentlich-rechtlich so?

Passmann: Das hat viel mit Förderung zu tun, mit einer sexistischen Förderung. Letztes Jahr hat, glaube ich, ZDF neo zwei neue Late-Night-Shows pilotiert, beide mit weißen Männern. Da sage ich: Davon haben wir genug. Männer profitieren von dieser Förderung und in der Erziehung mit Sicherheit davon, dass sie eher auf laut sein und lustig sein getrimmt werden als Mädchen. Frauen verbieten sich dann oft selber den Mund, wenn es um Witze geht, und haben Angst, nicht beliebt zu sein und nicht liebgehabt zu werden und zu unbequem zu sein, zu laut zu sein, zu schwierig. An der Struktur kann ich zumindest akut nichts ändern, aber an einer Idee von Weiblichkeit schon. Ich kann mich fragen: Hindere ich mich selber an so einem Prozess, zu werden, was ich bin? Vielleicht muss ich Grenzen übertreten, weil es dann erst spannend wird.

Frau Marinić, Sie haben den klassischen Weg gewählt, Bücher geschrieben, Kolumne in der taz und Seite vier der SZ. Sie lesen die linksliberalen Oberstudienrätinnen und Oberstudienräte?

Marinić: Zunächst mal finde ich, der Selbstdarstellungsvorwurf betrifft nicht nur Männer. Wir sind in einem Zeitalter der Selbstdarstellung und umgeben von viel hohler Luft, die man hochdrehen kann auf spannende Medien. Das ist ein Zeitgeist. Wir sehen Leute, die drehen Sachen hoch, für die sie drei Millionen Follower finden, dafür, dass sie ihren linken Arm ausstellen und da eine Gucci-Tasche dranhängt. Wenn Sie in diesem Kontext meinen Weg »klassisch« nennen, bitte. Im Kern wollte ich das, was du gesagt hast, Sophie: Den Mund aufmachen. Ich wollte hörbar werden im politischen Diskurs. Als Schreibende. Aber gleichzeitig wollte ich nicht so richtig ans Licht.

Wie passt das zusammen?

Marinić: Eigentlich hat Suhrkamp mich ans Licht gezerrt. Ich war sehr für die Freiheit, fern von Öffentlichkeit erwachsen zu werden. Das hat die Generation jetzt, glaube ich, schon nicht mehr, da gehört das Öffentliche fast zwanghaft zum Leben. Ich komme ja quasi vor Twitter. Ich war 21, als ich entdeckt wurde, und 23, als ich 1999 mit einem Buch an die Öffentlichkeit trat. Ich fand das schon einen absurden Vorgang, dass das eigene Denken plötzlich so eine öffentliche Resonanz erhält. Alles, was heute normal ist, schien mir früher absurd. Da war Schreiben Denken. Die Leser, das Publikum, das war nicht immer im Kopf. Heute ist alles Publizieren ein intensiver Austausch mit dem Publikum. Jede Kritik muss verarbeitet werden. Ich fand das nicht gut. Nach meinem ersten Buch wollte ich erst einmal eine Pause, weil ich dachte, ich will lesen, trinken, erfahren.

Passmann: Ich will auch lesen, trinken, erfahren. Vor allem trinken.

Marinić: Ich wollte es nicht in der Öffentlichkeit. Ich wollte nicht alles, was ich denke, sofort an den Reaktionen von außen überprüfen. Ich wollte eine Gärungszeit, ich wollte ein gefestigtes Ding in mir haben. Aber irgendwann war mir das zu isoliert – der deutsche Autor und sein Elfenbeinturm. Und dann kam die Lust, mich in den Diskurs einzumischen – aber auch das auf Nachfrage. Ich war anfangs total gegen Role Models, auch im Migrationsbetrieb. Ich habe dann in den USA gemerkt, dass du diese inneren Bilder brauchst, die dir und anderen zeigen, was möglich ist.

Der Hashtag #MeToo hat ab Ende 2017 der Öffentlichkeit eine Ahnung über das Ausmaß sexueller Belästigung und Übergriffe gegeben, meist von Männern in Machtpositionen. Sie haben beide Bücher geschrieben, in denen es darum geht, nach #MeToo mit Männern zu sprechen, damit etwas besser wird, für Frauen, aber auch für Männer. Sie setzen auf die Gespräche im Privaten, Frau Marinić, am Küchentisch. Warum?

Marinić: In den USA haben zweihundertfünfzig Männer ihren Job verloren und wurden in weiten Teilen von Frauen ersetzt. Als klares Zeichen. Da geht es darum, zu sagen, ihr missbraucht eure Macht, wir geben sie jetzt Frauen. In Deutschland hat #MeToo nicht stattgefunden, das ist das irrste Ding, da gibt es außer Dieter Wedel keinen großen Namen, der gefallen wäre. Im Kulturbetrieb und anderswo gibt es die Fälle, aber es gibt keine Namen. Auf der Ebene haben wir versagt.

Wir?

Marinić: Auch wir Frauen. In meiner ersten Kolumne über #MeToo kritisierte ich, dass wir die Chance zum Gespräch nicht nutzen. Danach bekam ich viel Post von Männern, die schrieben: Liebe Frau Marinić, ich lasse die Chance nicht verstreichen, sondern ich möchte das Gespräch nicht öffentlich führen, weil da so viel Hysterie ist. Aber mit meiner Frau und meinen Freunden reden wir viel drüber. Oder einer schrieb: Ich habe Frau und Tochter, Frauen, die ich liebe, das beschäftigt mich, dass ihnen das auch widerfahren kann. Was ich sagen will: Wenn wir es schaffen, im Privaten einen anderen Gesprächsmodus aufzubauen, dann sehe ich die Chance, dass das gesellschaftlich eine Bewegung ins Rollen bringen wird, die wir bei #MeToo versäumt haben. Das meine ich mit Sheroes: Allen, denen es gelingt, jetzt doch noch etwas daraus zu machen, ermöglichen es, neue Rollenbilder zu finden. An den Briefen merkte ich, dass da auch verdammt viele Männer darunter sind.

Frau Passmann, Sie gehen mit dem konfrontativen Begriff »alter weißer Mann« in »Schlichtungs«-Gespräche mit fünfzehn Männern. Aber damit ist eine Festlegung getroffen.

Passmann: Nein. Ich gehe eben nicht mit einer Feststellung rein, sondern bin fünzehnmal mit der Frage eingestiegen: Sind Sie ein alter weißer Mann? Das Ziel war, Männer darüber sprechen zu lassen, was Männlichkeit und ihr Blick auf Männlichkeit heute ist, weil der sich durch #MeToo und die neuesten Weiterentwicklungen von Feminismus verändert, die eben nicht mehr nur Quoten im Büro infrage stellen oder vielleicht mal Dinge im Haus, sondern jeden Bereich des Lebens.

Sie sprechen mit Robert Habeck, Kai Diekmann, Ulf Poschardt, Sascha Lobo, Werner Patzelt, Micky Beisenherz, Ihrem Vater – manche geben sich Mühe, andere haben so gar keine Lust auf ein Gespräch über alte, weiße Männer.

Passmann: Je öfter man diese Frage an einen Mann stellt, desto öfter zeigt sich, dass dieser Begriff wahnsinnig fluide ist und eigentlich das Gegenteil von einer starren Festlegung. In jedem Gespräch gab es andere Schwerpunkte und vor allem andere Begründungen, warum man kein alter, weißer Mann ist, warum es einem vielleicht egal ist, wenn man so bezeichnet wird. Wieder andere haben einfach auf einer Metaebene auf das Problem geblickt und haben gesagt: Der alte weiße Mann ist ein Verhalten der Welt gegenüber.

Marinić: Genau. Das ist ein Schlagwortbegriff für eine bestimmte Machtposition in diesem System. Es ist ein Bild, das die Funktion hat zu zeigen, dass über Jahrzehnte bestimmte Männer Macht auf sich vereinigen und andere ausschließen. Übrigens schließen sie auch andere weiße Männer aus.

Passmann: Das Wichtige für mich ist, dass ich in keinen Moment jemandem unreflektiert die Bühne gebe. Und ich habe fünfzehnmal völlig unterschiedliche Argumentationen und Begründungen und Definitionen von diesem Begriff bekommen. Das zeigt vor allem auch, dass dieser Begriff etwas mit Männern macht und dass es ganz unterschiedliche Methoden sind, wie man damit umgehen kann. Ich habe gemerkt, dass an dem Begriff tatsächlich viel mehr dran ist, als einfach nur stellvertretend für ein Machtkonstrukt zu stehen. Wie auch gerade die #MeToo-Debatte und insgesamt eine neue Bewegung des Feminismus verunsichert er einen Mann in jedem Bereich. Und ich habe keine Bauchschmerzen mit der Verunsicherung von Männern. Ich finde sogar, seid gerne alle verunsichert, jahrelang, dann wisst ihr, wie es ist, mal nicht der weiße Mann zu sein.

• Die Fragen stellte Peter Unfried, Chefredakteur von taz FUTURZWEI.

Dies ist Teil 1 des Gesprächs zwischen Jagoda Marinić und Sophie Passmann. Teil 2 über die neuen Sheroes, Michelle Obama, Alexandria Ocasio-Cortez und wie man „das Beste aus dem anderen herauslieben“ kann, lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der neuen taz FUTURZWEI.

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