Irrer Deal für Polizei in Meck-Pomm: Erkennen gegen Schießen

Mecklenburg-Vorpommern führt zum 1. Januar die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte ein. Im Gegenzug soll auch der „finale Rettungsschuss“ eingeführt werden.

Jetzt auch in Mecklenburg-Vorpommern erlaubt: der „finale Rettungsschuss“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

SCHWERIN taz | Für Polizeibeamte in Mecklenburg-Vorpommern (MV) gilt ab dem 1. Januar die Kennzeichnungspflicht. Laut Innenministerium sollen die sogenannten geschlossenen Einheiten der Landespolizei bei Einsätzen wie Demonstrationen oder Fußballspielen eine fünfstellige Nummer tragen, durch die sie nachträglich identifiziert werden könnten. Damit soll die Strafverfolgung bei Übergriffen durch Polizisten ermöglicht werden. Die Einführung der Kennzeichnung war im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU vereinbart worden.

Dennoch kommt die plötzliche Umsetzung überraschend, nicht nur, weil Innenminister Lorenz Caffier (CDU) als vehementer Gegner der Kennzeichnung bekannt ist. Noch im November hatte sein Ministerium auf eine Kleine Anfrage der Linken kein Einführungsdatum mitgeteilt. Ebenfalls überraschend kam eine weitere geplante Neuerung: Im Zuge der Überarbeitung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG), dem Polizeigesetz Mecklenburg-Vorpommerns, soll nach dem Willen des Innenministeriums der „finale Rettungsschuss“ eingeführt werden.

Der Rettungsschuss erlaubt es Polizisten, als Ultima Ratio beispielsweise einen Geiselnehmer zu erschießen, wenn sonst das Leben Dritter in Gefahr wäre und andere Mittel keine Aussicht auf Erfolg versprächen. In den meisten Bundesländern gibt es bereits eine entsprechende Regelung. Freilich konnte der Schuss auch in Mecklenburg-Vorpommern auch bisher schon über das Polizeigesetz gerechtfertigt werden, nur seine wörtliche Erwähnung darin fehlte bisher.

Die Linke wittert einen Tauschhandel: Es sei zwar höchste Zeit, dass der Innenminister seinen Widerstand gegen die Kennzeichnungspflicht aufgebe, aber auch bedauerlich, dass dies „ganz offensichtlich durch einen koalitionsinternen Tauschhandel zustande kam – offenbar als Gegenleistung zur Einführung des sogenannten finalen Rettungsschusses“, sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Peter Ritter.

Rettungsschuss-Debatte schon 1992

Dessen SPD-Kollegin Martina Tegtmeier weist das zurück: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Der Rettungsschuss sei ein „Wiedergänger“ und besitze für bestimmte Gruppen offenbar eine große Symbolkraft. „Ein zwingender Anlass für eine gesetzliche Regelung besteht nicht“, sagt Tegtmeier und ergänzt, dass sich selbst aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei an der polizeilichen Praxis kaum etwas ändern würde.

Auch die CDU weist den Vorwurf als „nicht nachvollziehbar“ zurück: „Einzelne Instrumente sollten nicht gegeneinander ausgespielt oder als ‚Tauschhandel‘ lächerlich gemacht werden“, teilte ein Sprecher mit.

Eine politische Debatte über den Einsatz tödlicher Gewalt durch die Polizei im Nordosten liegt lange zurück: Den letzten Versuch der Einführung des Rettungsschusses gab es 1992. Damals lehnten SPD, PDS und FDP das Vorhaben ab. Dann verschwand es 25 Jahre in der politischen Versenkung, bis die AfD im Sommer 2017 eine Gesetzesinitiative einbrachte, um die vermeintliche Regelungslücke zu schließen. Die CDU signalisierte, dass die Einführung ohnehin geplant sei, und die AfD zog ihren Entwurf daraufhin zurück.

Mit der Novelle des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes hat die Kennzeichnungspflicht nichts zu tun, denn sie soll nicht Teil des Gesetzes, sondern lediglich als Verwaltungsvorschrift erlassen werden. Theoretisch könnte der Minister sie im Alleingang wieder abschaffen, sollte sie unbequem werden. Ihm zufolge dürfte dieser Fall aber ohnehin nicht eintreten: Es seien auch ohne Kennzeichnungspflicht bisher keine Fälle bekannt, in denen Polizisten durch die ermittelnden Behörden nicht identifiziert werden konnten.

Trotz Videos wurde Schubs-Polizist wohl nicht identifiziert

Der Fall des Fanbeauftragten des Fußballvereins Hansa Rostock, Uwe Schröder, ist ein solches Beispiel. Im Rostocker Ostseestadion wurde er 2014 von einem Polizisten der in der Regel vermummt auftretenden Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) geschubst, getreten und verletzt. Erst als Medien zwei Jahre später ein Video des Vorfalls veröffentlichten, begann die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung im Amt zu ermitteln.

Das Verfahren gegen einen schubsenden Polizisten sei mangels Tatverdacht eingestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Die Identität eines zweiten Beamten, der Schröder trat, habe nicht festgestellt werden können. Schröder selbst sagt, er sei nie über den Fortgang der Ermittlungen informiert worden.

Ob Fußballfans, politisch aktive Menschen, die Demonstrationen besuchen, oder Anwälte – für sie ist es eine Binsenweisheit, dass Betroffene von Polizeigewalt die Beamten besser nicht selbst anzeigen. Ermittelt werden die Täter selten, Gegenanzeigen wegen Widerstands und entsprechende Strafverfahren sind dafür die Regel. Wenn Caffier konkrete Fälle vermisst, ist dies nicht zuletzt ein Ergebnis fehlender Identifizierbarkeit, bemerkte auch Ritter auf Twitter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.