Islamexperte über Mossul-Offensive: „Nicht nur symbolische Niederlage“

Der IS wird schrittweise aus der Stadt im Irak vertrieben. Doch die Auffanglager sind zu klein für alle fliehenden Zivilisten, meint Guido Steinberg.

Irakische Polizisten ruhen sich am 19.03.2017 in Mossul (Irak) während der Gefechte zwischen irakischen Sicherheitskräften und Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat auf einem Sofa aus.

Seit Monaten dauern die Kämpfe an: Polizisten, die auf Seiten der Regierungstruppen kämpfen, am Sonntag in Mossul Foto: dpa

taz: Herr Steinberg, seit Oktober versuchen regierungstreue Truppen, die Terrormiliz „Islamischer Staat“ vollständig aus Mossul zu vertreiben. Im Ostteil der Stadt waren sie erfolgreich. Wie sieht es westlich des Tigris aus?

Guido Steinberg: Die Operation im Westen scheint im Moment sogar etwas schneller abzulaufen als die im Osten, die insgesamt vier Monate dauerte. Es gibt teils heftige Kämpfe, aber die Regierungstruppen rücken schrittweise vor. Es geht so langsam, da immer noch bis zu 800.000 Zivilisten in der Stadt sind.

Die Regierungstruppen hatten ihre Offensive am Wochenende zusätzlich wegen schlechten Wetters unterbrechen müssen. Die Kampfpause nutzten Tausende Bewohner, um zu flüchten. Wohin fliehen die Zivilisten?

Die Zivilisten flüchten sich zunächst in den Süden der Stadt, wo die UN Auffanglager errichtet haben. Die Versorgungslage in der Stadt ist katastrophal, doch der IS verbietet auch Zivilisten die Flucht. Deshalb sind immer noch viele Menschen in der Stadt gefangen. Die Erfolge der Regierungstruppen führen aber schon jetzt zu einer kleinen Fluchtwelle, für die die bestehenden Lager zu klein sein dürften.

Vor bald drei Jahren nahm der IS Mossul ein. Damals hörte eine breite Öffentlichkeit erstmals von der Terrorgruppe. Wäre die vollständige Rückeroberung der Stadt also vor allem ein symbolischer Sieg?

Mossul war und ist die wichtigste Hochburg des IS. Als seine Vorgängerorganisation „al-Qaida im Irak“ 2004 von den Amerikanern aus Falludscha vertrieben wurde, zogen sich seine Kämpfer hierhin zurück. 2007/2008 schien die Gruppierung schon vollständig geschlagen, doch konnte sie sich in Mossul halten, bis sie 2011 zu einem erstaunlichen Comeback ansetzte. Es ist deshalb kein Zufall, dass Abu Bakr al-Baghdadi in dieser Stadt das Kalifat ausrief. Der Verlust von Mossul wird für den IS also sehr viel mehr als eine wichtige symbolische Niederlage sein.

Wer ist an der Mossul-Offensive gegen den IS beteiligt?

Es sind vor allem irakische Regierungstruppen, darunter mehrere von den USA für die Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung ausgebildete Spezialeinheiten. Auch amerikanische und europäische Kräfte sind im Hintergrund an den Kämpfen beteiligt. Die von den USA angeführte Koalition fliegt auch Luftangriffe, die allerdings mit dem Vorrücken der Bodentruppen an Intensität nachgelassen haben.

Sind auch die umstrittenen schiitischen Milizen beteiligt?

Die irakische Regierung hat den schiitischen Milizen die Sperrung der Verbindungslinie von Mossul nach Syrien übertragen. Die letzte Straße wurde Anfang März von ihnen geschlossen. Sie kämpfen vor allem in und um die Stadt Tal Afar (westlich von Mossul, Anm. d. Red.).

geb. 1968, ist promovierter Islamwissenschaftler. Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin beschäftigt er sich vorrangig mit terroristischen Gruppierungen, der Krisenregion Irak/Syrien sowie den Staaten der Arabischen Halbinsel. Von 2002 bis 2005 war er Referent für Internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt.

Werden diese Kräfte von der lokalen Bevölkerung als „Befreier“ akzeptiert?

Die schiitischen Milizen sind bei den Sunniten verhasst und gefürchtet, weil sie in anderen Städten und Regionen schwere Verbrechen begangen haben. Vor allem haben sie in einigen Gegenden näher an Bagdad ganze Ortschaften zerstört und ihre sunnitischen Bewohner vertrieben. Auch zahlreiche Morde an Gefangenen und Zivilisten, Entführungen und Folter werden ihnen zugeschrieben.

Hat denn die Zentralregierung in Baghdad die Kontrolle über diese Milizen, mit denen sie ja – etwa bei der Mosul-Offensive – kooperiert? Oder hören sie auf den Iran?

Die Zentralregierung versucht sie zu kontrollieren, aber das gelingt ihr nur teilweise. Die wichtigsten Milizen sind vollkommen unabhängig von der Regierung und dem Einfluss der iranischen Revolutionsgarden ausgesetzt, die auch Militärberater stellen. Insbesondere die Badr-Organisation, die auch das irakische Innenministerium kontrolliert, gilt als Instrument Irans im Irak.

Die schiitischen Milizen im Irak haben sich in den sogenannten „Volksmobilisierungseinheiten“ zusammengeschlossen? Sind die mit der libanesischen Hisbollah vergleichbar, die als Miliz und als politische Partei die Interessen des Irans im Libanon vertritt?

Die iranische Führung würde gerne eine Organisation wie die Hisbollah gründen und sie ist diesem Ziel mit dem Aufbau des Milizenbündnisses unter der Führung von Badr näher gekommen. Diese Miliz herrscht auch über weite Teile der wichtigen Provinz Diyala bei Bagdad. Es könnte geschehen, dass dort ein Staat im Staate ähnlich wie im Libanon entsteht. Noch gibt es aber starke Kräfte im Irak, die genau dies nicht wollen. Viel hängt davon ab, wie die neue US-Regierung mit diesem Problem umgeht.

Lässt sich sagen, je größer die Erfolge im Irak gegen den IS, desto mehr bröckelt die Autorität der Zentralregierung im Irak?

Das ist etwas zu scharf formuliert, denn wenn Mossul fällt, wird dies vor allem ein Sieg der Zentralregierung sein. Allerdings muss sie anschließend große Teile der schiitischen Milizen tatsächlich unter ihre Kontrolle bringen. Gelingt dies nicht, droht eine weitere Schwächung der irakischen Zentralregierung.

Was wird auf die Rückeroberung von Iraks zweitgrößter Stadt folgen? Städte wie Tikrit, Falludscha und Ramadi, aber auch Ost-Mossul wurden dem IS ja bereits wieder entrissen. Wie ist die Erfahrung dort?

Die Erfahrungen in einigen dieser Städte und dem Umland waren so schlimm, dass die schiitischen Milizen in Mossul auf Druck der USA an den Rand gedrängt wurden. Es bleibt zu hoffen, dass sie in Tal Afar auf schlimmere Gewalttaten gegen die Bevölkerung verzichten und keinen Zugang nach Mossul erhalten. Für eine künftige Beruhigung der politischen Lage im Irak ist es zwingend, dass nicht noch mehr religiös motivierte Gewalttaten verübt werden.

Lesen Sie auch: “Sie werden keinen Staat aufbauen“ (Interview mit Guido Steinberg im Juni 2014, kurz nachdem der IS Mossul eingenommen hatte.)

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